zurück 21.2.1896, Freitag ID: 189602215

"Die Presse" Nr. 51 berichtet auf S. 2 des Abendblatts von einer Diskussion zwischen Liberalen und Antisemiten, in der eine Begebenheit mit Bruckner (als Begründung einer antisemitischen Einstellung) zur Sprache kommt:
"     Döbling. In der gestern abgehaltenen Versammlung des Fortschrittsvereins im 19. Bezirk kam es zwischen Antisemiten und Liberalen zu heftigen Auseinandersetzungen. [... Obmann Oesterreicher erwartet Besserung der Wirtschaftslage nach Verdrängung der Antisemiten ...].
     Der antisemitische Bezirksausschuß Gutmann machte für den Rückgang auf wirthschaftlichem Gebiete die Liberalen verantwortlich. (Ohorufe.) Dr. Deckel sprach sein Bedauern über die antisemitische Kampfweise aus. (Beifall.) Dr. Fochler erklärte, daß er gegen die Ideale eines wahren Liberalismus keinen Einwand erhebe, er sei ein Feind des persönlichen Antisemitismus, dieser habe keine Berechtigung. Zur Motivirung seines jetzigen Antisemitismus erzählt er: Mit Andacht habe er dem Spiele des Meisters Bruckner gelauscht, der bei einer Messe bei der ergreifendsten Stelle mit lauter Stimme sich accompagnirte. Da habe er einen "Judenbuben" rufen gehört: "Was krächzt der Alte?" Und diese Aeußerung habe ihn zum Antisemiten gemacht. Dr. Böhm stellte den Dr. Fochler als Typus der Antisemiten hin, die nicht wissen, wo der Antisemitismus anfängt und wo er aufhört. Man sollte nicht glauben, daß ein intelligenter Mensch, weil er von einem Judenbuben gestört worden sei, Antisemit werden könne. Wenn Dr. Fochler dieser Messe nicht beigewohnt hätte, wäre er heute noch Liberaler. (Heiterkeit und Rufe: Sehr gut!) Dr. Fochler scheine an seinen Antisemitismus selbst nicht zu glauben, dieses Pharisäerthum beherrsche heute leider das öffentliche Leben. [... fortschrittlich-nationale Leute] leben nur von jener Wuth, von jenem Hass gegen eine Race, die sie in das Volk künstlich hineingetragen haben, und weil dieses Handwerk seinen Mann nährte so bleiben sie ihm treu. (Beifall.)
     [...]." (*).
 
Etwas ausführlicher berichtet davon das Neue Wiener Abendblatt Nr. 51 (= Neues Wiener Tagblatt) auf S. 4:
"                         Aus Döbling.
     Der Fortschrittsverein im neunzehnten Bezirke hielt gestern im Saale "zum weißen Kreuz" in Döbling eine sehr zahlreich besuchte Versammlung ab, der auch die Wortführer der Antisemiten in diesem Bezirke anwohnten. [... deren Ausfälle wurden zurückgewiesen ... gründliche Abfertigung für Dr. Fochler ... Dr. Oeckhel bedauert "die antisemitische Kampfesweise" ...].
     Dr. Fochler erklärte, daß er gegen die Ideale eines wahren Liberalismus keinen Einwand erheben könne, sein Vater sei ein von fortschrittlichen Gesinnungen erglühter Mensch gewesen und er selbst sei ein Feind des persönlichen Antisemitismus. Dieser habe keine Berechtigung. Er erzählte dann eine Episode aus seiner Studentenzeit: er sei beim Anhören einer Bruckner'schen Messe durch einen Juden, der sich abfällig über das Mitsingen Bruckner's äußerte, gestört worden und das habe ihn gepackt, dadurch sei er Antisemit geworden.
     Dr. Böhm stellte den Vorredner als Typus der Antisemiten hin, die selbst nicht wissen, wo der Antisemitismus anfängt und wo er aufhört. Man sollte fast nicht glauben, daß ein intelligenter Mensch deswegen, weil er beim Anhören einer Messe gestört worden sei, Antisemit werden könne. Dr. Böhm versicherte, daß er die Empfindung habe, als ob Dr. Fochler an seinen Antisemitismus selbst nicht glaube, dieses Pharisäerthum beherrsche heute leider das öffentliche Leben. [... fortschrittlich-nationale Leute] leben nur jener [sic] von Wuth, von jenem Haß gegen eine Race, die sie in das Volk künstlich hineingetragen haben, und nachdem das Handwerk seinen Mann nährt, so bleiben sie ihm treu. (Beifall.)
     [... nicht alle Jugend sei deutschnational ...]." (**).
 
Die Neue Freie Presse Nr. 11313 kündigt auf S. 6 die Aufführung des "Te deum" am 23.3.1896 an:
"     [Der Dank der Stadt Laibach.] Man berichtet uns aus Laibach: Der aus 170 Sängern und Sängerinnen bestehende Chor des hiesigen Musikvereins "Glasbena matica" hat beschlossen, der Stadt Wien den Dank für ihre wirksame Hilfeleistung bei der durch die Erdbeben=Katastrophe geschaffenen Nothlage in solenner Weise auszudrücken; der genannte Musikverein wird zwei Concerte in Wien veranstalten, die am 23. und 25. März d. J. im großen Musikvereinssaale stattfinden werden und deren Erträgniß dem Wiener Armenfond, dem Verein vom Rothen Kreuz und der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft zufließen soll. Die Mitglieder des Vereins werden in Nationalcostümen auftreten und unter Leitung des Dirigenten Hubad im ersten Concert Compositionen von Galus, einem krainischen Componisten des sechzehnten Jahrhunderts, in Wien noch nicht aufgeführte Chorwerke von Dworzak und Fibich und das Tedeum von Bruckner bringen. Im zweiten Concert wird Dworzak's "Geisterbraut"aufgeführt. Die Mitwirkung des in Leipzig engagirten Tenors Buczar, eines Slovenen, sowie des Hofopern=Orchesters ist gesichert. [... in heutiger Sitzung des Gemeinderats beschlossen ...]." (***).
 
Auf Seite 2 des Abendblatts wird zwar von der Döblinger Versammlung berichtet, allerdings ohne die Bruckner-Begründung für den Antisemitismus zu erwähnen: "[...] Dr. Fochler erklärte, er selbst sei ein Feind des persönlichen Antisemitismus, dieser habe keine Berechtigung. Er erzählte dann eine Geschichte, warum er Antisemit geworden sei, und nahm dann seine Parteigenossen gegen den Vorwurf der Reaction in Schutz. Dr. Böhm bemerkte hierauf, daß er die Empfindung habe, als ob Dr. Fochler an seinen Antisemitismus selbst nicht glaube; dieses Pharisäerthum beherrsche heute leider das öffentliche Leben. [...] " (°).
 
(Festkonzert zum 125jährigen Bestehen des »Haydn«-Vereins unter J. N. Fuchs (°°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189602215, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189602215
letzte Änderung: Feb 21, 2023, 17:17