zurück 13.4.1896, Montag ID: 189604135

Besprechung der 1. Symphonie im Grazer Extrablatt Nr. 102 (Orchester und Dirigent schlecht):
„      *** (Viertes Orchesterconcert des Steiermärkischen Musikvereines.) Das Wort Orchesterconcert erinnert uns an ein in musikalischen Kreisen vielfach besprochenes Thema über unsere darniederliegenden Concertverhältnisse. [… Übelstände, Situation des Musikvereins, der ungünstige Einfluss eines „Reformators“, der …] seinen Gewaltstreich ausführte, dem das frühere Orchester, das sich unter Dr. Muck bewährte, zum Opfer fallen musste. Seit dieser Zeit, und niemand kann es leugnen, stammt die allgemeine Orchesternoth. Das Programm[,] es brachte nur wenig. Zwei Bruchstücke einer neuen Oper von Hugo Wolf. Sie sind nicht am Platze, wo für erprobte symphonische Werke wenig Raum ist. Die ursprünglich geplante Aufführung der Faust=Ouverture von Richard Wagner scheiterte an dem geringen Können des Orchesters, das, aus Schülern, Dilettanten und Militärmusikern bestehend, sich auch dem allgewaltigen Bruckner gegenüber als zu schwach erwies. Auffallend war auch die Unruhe des Dirigenten Erich Degner, dem die Beherrschung eines Orchesterkörpers zu fehlen scheint. Niemals können wir uns einverstanden erklären mit Instrumentationsversuchen an Clavierstücken, zumal an Beethoven. Er ist uns ohne Degner lieber.“ [keine Signatur] (*)
 
und durch Dr. Fr. v. Hausegger im Grazer Tagblatt Nr. 102 auf S. 1f:
"Viertes Concert des steiermärkischen Musikvereines.
     Anton Bruckner und Hugo Wolf! Wer in einem Bilde gegenwärtig Musikverhältnisse schildern wollte, der müsste diese beiden Erscheinungen in dessen Mittelpunkt stellen. Bruckner, der bedeutendste Symphoniker, Wolf, der eigenartigste Liedercomponist der Zeit, beide in österreichischen Landen geboren, beide in ihrer Heimat wirkend, beide dazu berufen, deren Stolz zu sein! [... Vorurteile Neuem gegenüber sollte die Kritik beseitigen ... stattdessen: Vernichtungsfreude ...]. Ist es nothwendig, dass derjenige, welcher Brahms verehrt, Bruckner verabscheuen muss, als gäbe es sonst ein bigamisches Verhältnis? Parteigegensätze dieser Art sind künstlich geschaffen worden und wahrlich nicht zum Vortheile unseres Kunstlebens.
     Ich habe dies berührt, weil es beiträgt, den Ueberzeugungsmuth, welchen unser Musikverein bei der Zusammenstellung seiner Vortragsordnungen bekundet, nach Verdienst zu beleuchten. Es ist ja nicht bloß eine Ehrenschuld, die man abträgt, wenn man Bruckner pflegt, wenn man Wolf zu Worte kommen lässt. Sie gehören der Zeit an, in der wir leben, aus und mit der wir empfinden; in ihnen als berufenen Vertretern derselben ofenbart dieses Empfinden seinen edelsten Gehalt; sich ihrem Verständnisse verschließen, hieße sich dem Entwicklungsleben der modernen Tonkunst entziehen.
     Und das wahre Kunstwerk beansprucht für sein Verständnis nichts anderes, als gekannt zu sein. Allerdings bedarf es zu diesem Behufe auch eines vorurtheilslosen Entgegenkommens. Obwohl uns die Persönlichkeit Bruckners nicht mehr fremd ist (wir hatten hier bereits seine dritte, vierte, fünfte und siebente Symphonie gehört), tritt sie uns doch in seiner ersten vorgestern vom Musikvereine gebrachten Symphonie so eigenartig entgegen, dass der erste Eindruck des Werkes nicht genügen kann, sich mit ihr voll vertraut zu machen. [... Fabel als Vergleich: ein Ungeheuer kann nur durch drei Küsse erlöst werden (beim 3. Mal wunderbare Verwandlung) ...] Dem Ausharrenden ist Bruckners Symphonie die Entzauberung sicher nicht schuldig geblieben. Der lebhafte Beifall, welchen sie beim größten Theiles der Zuhörerschaft, namentlich jener, welche die Gelegenheit nicht versäumt hatten, sie auch in der Generalprobe zu hören, erfahren hat, lehrte dies.
     Freilich, die Beschränkung des Meisters zeigt dieses Werk noch nicht. Blüte drängt sich hier an Blüte in üppigster Fülle, keine der anderen den Raum zur nöthigen Entfaltung gönnend, in ihrem Reichthum aber Zeugnis gebend von der Unerschöpflichkeit des Bodens, dem sie entkeimen. Ueberquellende  Erfindung, Freude am Wechselspiel der Töne, Schwelgen in Klangmischungen, eine gewisse Unruhe in der Begier, alles zu sagen, was nach Aussprache drängt, alles zu leisten, was ein ungezähmtes Können zu leisten vermag, geben der Symphonie den Charakter mangelnder Abgewogenheit, formaler Unklarheit. Nicht die Hand des Ziergärtners erkennt man in ihr, aber das Walten einer reichen jedes Zwanges spottenden Natur. Wer diese Symphonie mit späteren dieses Tondichters vergleicht, dem wird dessen Entwicklung im Sinne sich steigernder Formvollendung nicht entgehen. An Gedankenfülle, an dionysischer Kraftäußerung, an lenzhafter Lebensfreude wird sie kaum von einer der ihr folgenden übertroffen.
     Hugo Wolf hatte dem Vereine das Vorspiel und ein Zwischenspiel zu seiner vor kurzem vollendeten Oper "Der Corregidor" zur Erstaufführung überlassen. [... über diese Programmnummer und Beethovens Bagatellen ...].
     Dem Orchester, welches dem Musikvereins zu Gebote steht, war mit den ausnehmend schwierigen Werken, welches es zu bewältigen hatte, eine große Aufgabe zugefallen, die es unter der umsichtigen und thatkräftigen Leitung des Herrn Degner in überraschend glücklicher Weise löste.
                                             Dr. Fr. v. Hausegger." (**).
 
Hedwig Abel erwähnt in ihrem Feuilleton »Concerte« in der Montags-Revue Nr. 15 auf S. 3 auch die Aufführung des »Te Deum« [am 23.3.1896]:
„             Concerte.
     
Im vierten Gesellschaftsconcert hat Carl Reinecke seine jüngste Symphonie in G-moll den Wienern vorgeführt. [… über dieses und andere Konzerte …].
     In stattlicher Anzahl ist der Laibacher Musikverein (Glasbena Matica) nach Wien gekommen, um zwei große Dank= und Wohlthätigkeitsconcerte zu geben. Sie waren glänzend besucht, die Damen konnten sich an den Goldhauben der Krainerinnen nicht sattsehen; nebenbei fanden sie auch ihren Gesang schön. Die Laibacher sind vortrefflich geschult, sie singen rein, sicher, wenn auch nicht immer klangschön. Oder sollte es nicht blos Zufall gewesen sein, daß im „Madrigal“ von Jakobus Gallus (Handl, Hanel) die Tenore ein störendes Krähen erhoben? Außer dem Madrigal, das der Krainer Gallus just vor dreihundert Jahren geschrieben, hörten wir im ersten Concert noch originelle, von Chormeister Hubad harmonisirte slovenische Volkslieder, von denen wir „Hoch oben klingt’s“ und „Der Reif“ nennen, ferner eine „Frühlingsromanze“ von Fibich, Lieder von Foerster und Redved und das Bruckner’sche „Tedeum“. Das zweite Concert trug einen rein persönlichen Charakter. [… Dvorak … andere Konzerte …]. H. Abel.“
(***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189604135, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189604135
letzte Änderung: Dez 01, 2023, 22:22