zurück 11.6.1896, Donnerstag ID: 189606115

Das Musikalische Wochenblatt Nr. 24/25 berichtet auf S. 322 - 324 von der 32. Tonkünstler-Versammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Leipzig, erwähnt dabei mehrmals Bruckners Symphonien und stellt Fehler des Programmbuchs richtig:
"                        Musikbriefe.
Die 32. Tonkünstler-Versammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins in Leipzig.
     So Mancher unserer Leser dürfte überrascht sein, als Berichterstatter über das vorstehend genannte Kunstereigniss diesmal nicht einen einheimischen Referenten, sondern den langjährigen Wiener Correspondenten ders "M. W." zu vernehmen. Die Sache kam mir selbst ganz unerwartet. [... über Kammermusikkonzerte, Nikisch mit Richard Strauss und Brahms (entgegen den Statuten – "bedeutende, wenig gehörte Tonwerke" – auf dem Programm) ...]. Nun ist Brahms' Cmoll-Symphonie wohl allerwärts in Deutschland als Eine der bedeutendsten Schöpfungen nach Beethoven bekannt und anerkannt, während man von Bruckner's erster, zweiter, fünfter, sechster Symphonie – kolossale Werke, die, was man auch sonst gegen sie einwenden möge, auf die Dauer doch nicht völlig ignorirt werden können – auf reichsdeutschem Boden so viel wie Nichts weiss. Aber auch die sogenannte Romantische Symphonie (No. 4, Es dur) des Wiener Altmeisters, welche sich durch ihre reiche, blühende Melodik und Klangpracht zur Aufführung besonders empfohlen hätte, oder auch die dritte (R. Wagner gewidmete) in D moll, selbst die in den riesenhaftesten Dimensionen gehaltene achte (welche freilich ihre erste und bisher einzige reichsdeutsche Aufführung bereits am 18. December 1895 durch Capellmeister Nicodé in Dresden erlebte) wären den meisten Besuchern des Musikfestes völlig neu gewesen und hätten wohl auch auf dieselben, nach der hier jeder Musik entgegengebrachten, so hoch rühmenswerthen Aufmerksamkeit ihre Wirkung nicht verfehlt. Eben diese unverbrüchliche Aufmerksamkeit, welche man besser Kunstandacht nennen könnte, dieser dsadurch erzeugte schöne Contact zwischen Spieler und Dirigenten einerseits und dem Publicum andererseits waren es wohl, welche diesmal auch die Wirkung der Brahms'schen Cmoll-Symphonie, wie des Strauss'schen "Don Juan" so mächtig erhöhten. [...]. Uebrigens drängen mich einige auffallend irrige Angaben in dem für die Leipziger Tonkünstler-Versammlung ausgegeben Programmbuch, nochmals auf die von dem Allgemeinen deutschen Musikverein etwas vernachlässigte Bruckner-Pflege zurückzukommen. Es heisst nämlich S. 13 des Programmbuches, dass 1885 auf der Tonkünstler-Versammlung in Carlsruhe das Adagio der Esdur-Symphonie Bruckner's zur Aufführung gekommen sei. In Wirklichkeit handelte es sich damals um das erhabene Trauer-Adagio aus der siebenten, in Edur geschriebenen Symphonie des Tondichters. Dass bei dieser Verwechslung im Programmbuch nicht lediglich ein Druckfehler mitspielt, bezeugt der gleich darauf folgende, von der Tonkünstler-Versammlung in Sondershausen (1886) die Aufführung des 1. und 3. Satzes "aus derselben Symphonie" meldende Passus. Wirklich wurden dort das erste Allegro und Scherzo der Es dur-Symphonie (seither unter dem Namen der "romantischen" bekannt) aufgeführt, aber zu dieser gehörte eben das im Jahr vorher in Carlsruhe gespielte Adagio (aus der Edur-Symphonie) keineswegs. Dass einige Zeilen später als Tonart der siebenten Symphonie Bruckner's falsch A dur statt des richtigen E dur steht, ist möglicherweise ein Druckfehler. Immerhin spricht es für kein seitens der Leitung des Allgemeinen deutschen Musikvereins dem Wiener Altmeister dargebrachtes besonders liebevolles Interesse, wenn erstlich das Programmbuch nur fünf Aufführungen Bruckner'scher Werke (und darunter nicht eine vollständige Symphonie) zu verzeichnen hat und bei diesen fünf Angaben überdies drei Irrthümer zu berichtigen sind. Man verzeihe diese kleine Abschweifung, welcher ich mich im Interesse eines noch zu wenig gewürdigten genialen Tondichters nicht entziehen zu können glaubte. Nun, nachdem ich, was ich bezüglich Bruckner's dem Allgemeinen deutschen Musikverein gegenüber auf dem Herzen hatte, offen herausgesagt, seien Meister Nikisch und das prächtige Orchester um so herzlicher bedankt für ihre grossartigen Leistungen am 29. Mai. [...].
                        (Schluss folgt.)" [Signatur am 25.6.1896: "Dr. Theodor Helm."] (*).

Im »Stuttgarter Musikbrief« auf Seite 326 wird mitgeteilt, daß in einem Abonnementkonzert des Kgl. Hofkapelle das Adagio der 7. Symphonie aufgeführt wurde [am 16.2.1896]:
"                  Stuttgart.
     Es ist Zeit, auch in diesen Blättern einmal wieder der musikalischen Thätigkeit unserer Residenzstadt zu gedenken, welche namentlich im Norden unseres gesammten Vaterlandes nicht eben in dem Ruf einer sogenannten "musikalischen" Stadt steht. [...].
     Richten wir zunächst unser Augenmerk auf die Abonnementconcerte der k. Hofcapelle, deren Leitung seit Abgang von Herman Zumpe unser neuer Hofcapellmeister Dr. Obrist übernommen hat. Wer die ungewöhnlichen Dirigenteneigenschaften dessen Vorgängers kennen lernte, der hier eine Popularität erlangt hatte, wie sie je kaum einem Musiker vor ihm zu Theil wurde, wird leicht ermessen, dass es für den Nachfolger des Ersteren keine leichte Aufgabe war, dessen Erbschaft anzutreten. Umsomehr gereicht es dem noch jungen und sehr veranlagten Dirigenten zur Ehre, wenn sich schon heute, nach kaum einjähriger Thätigkeit, alle Anzeichen mehren, dass wir in demselben einen sehr schätzenswerthen Ersatz gewonnen haben.
     Unter den in die Programme aufgenommenen symphonischen Werken kamen zu trefflicher Aufführung: [...]. In einer weiteren Novität, dem 2. Satze (Adagio) aus der 7. Symphonie von Ant. Bruckner lernte unser Concertpublicum zum ersten Male diesen Tonsetzer kennen, dessen Bedeutung in diesem breit angelegten Werke namentlich intelligenteren musikalischen Zuhörern zu bester Ueberzeugung gelangte. [... weitere Komponisten, andere Konzerte, Solisten ...].
                       (Fortsetzung folgt.)" [Signatur am 9.7.1896: "– d – "] (**).

Auf Seite 329Aufgeführte Novitäten«) ist die Brünner Aufführung der 2. Symphonie [am 25.3.1896] verzeichnet:
"Bruch (M.), "Dithyrambe" f. Tenorsolo, Chor und Orch. (Brünn, 2. ordentl. Conc. des Musikver. [Kitzler].) Bruckner (Ant.), 2. Symph. (Ebendaselbst.)" (***).

Die Zeitung The Indianapolis News Nr. 61/8263 berichtet auf S. 5 in der 3. Spalte von Bruckners Gesundheitszustand:
"              The Larger Musical World.
[...]
     Anton Bruckner, the Austrian composer, is fast failing in health. He is suffering from heart disease and his case is reported as hopeless." (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189606115, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189606115
letzte Änderung: Sep 30, 2023, 9:09