zurück 17.12.1896, Donnerstag ID: 189612175

Artikel von Theodor Helm im Musikalischen Wochenblatt Nr. 52 auf S. 694 - 697 (Ergänzung zu der biographischen Skizze in den Heften 1 bis 5 des Jahrganges 1886 [30.12.1885, 14.1.1886, 21.1.1886, 28.1.1886]):
"                    Biographisches.
                     Anton Bruckner.

(Eine Ergänzung zu der in No. 1–5 des Jahrganges 1886 des "Musikalischen Wochenblattes" enthaltenen biographischen Skizze.)    (Schluss.)
     Das Ansehen, welches Bruckner durch die ihm von der ersten Universität Oesterreichs verleihene Doctorwürde in der Jahreswende 1891/92 erlangt hatte, wurde im Laufe des Kalenderjahres 1892 noch gehoben. [(der komplette Text ist über den Link abrufbar) ... 3. Symphonie (Ferdinand Löwe) und 4. Symphonie (Josef Schalk) in der Musik- und Theaterausstellung ... 8. Symphonie am 18.12.1892 als alleiniges Werk ...] und zwar bei dennoch ungeschwächtem Massenbesuch und einem Enthusiasmus des Publicums, welcher, so von Bruckner selbst kaum erwartet, diesen aufs Tiefste ergriff. [... am 26.3.1893 [recte 23.3.1893] erste Konzertaufführung der f-Moll-Messe ...] ungeheuchelte, lawinenartig vorbrechende Begeisterung der Hörer. [... "Te deum" am 10.1.1886 ... Erfolge außerhalb Wiens ...].
     Der Verlauf des Kalenderjahres 1893 wurde unserem Meister durch seine wachsende Kränklichkeit verbittert, immer häufiger erschienen jene wassersüchtigen Anschwellungen, welche, bedenklich die Herzthätigkeit einschränkend, endlich auch Bruckner's Tod herbeiführen sollten. [... wegen der ärztlichen Anordnungen keine Konzerte ...].
    So ging – vielleicht wegen übertriebener Vorsicht der genannten Concertunternehmungen – das Musikjahr 1893/94 bei uns ohne bemerkenswerthe Bruckner-Aufführungen vorüber. Für diesen Ausfall in Wien wurde Bruckner reichlich entschädigt durch die – nach uns vorgelegenen zahlreichen Journalberichten – geradezu glänzenden Triumphe, welche der reconvalescente Tondichter in Berlin feierte – gelegentlich der Wiederaufführung seines "Te Deum" und seiner siebenten Symphonie –, sowie durch die begeisterte Aufnahme der contrapunctisch kunstvollsten, aber eben darum auch vielleicht schwerst verständlichen seiner Symphonien (No. 5, Bdur) bei ihrer überhaupt ersten (von  Capellmeister Franz Schalk, dem Bruder des Wiener Musikers Josef Schalk, vortrefflich geleiteten) Aufführung in Graz (8. April 1894) [recte 9.4.1896]. [... viele Aufführungen anlässlich des 70. Geburtstags ... Umzug ins Belvedere ...am 18.12.1895 drei Symphonie-Aufführungen ... 4. Symphonie 5.1.1896, "Te deum" 12.1.1896...] Es waren die letzten Aufführungen eigerne Werke, welchen Bruckner beiwohnte; das letzte Concert, das er aber überhaupt besuchte, war ein ausserordentliches der Philharmoniker, in welchem auf Verlangen Rich. Strauss' Humoreske "Till Eulenspiegel" wiederholt wurde und Rich. Wagner's biblische Scene "Das Liebesmahl der Apostel" den grossartigen Schluss bildete [29.3.1896]. Damals sah ich Bruckner zum letzten Mal im Musikvereinssaale Hans Richter seinen Dank aussprechend für den empfangenen grossen Kunsteindruck; fast bis zum Skelett abgemagert musste die Erscheinung des Meisters in Jedem seiner Verehrer die unabweisbare Befürchtung einflössen, dass nun seine Tage gezählt seien. Und so war es auch. [... 11.10.1896 ... Leichenbegängnis 14.10.1896 ... Einstellung der Presse ...]. Mit einer einzigen Ausnahme – der Stimme des Hrn. Richard Heuberger, welcher, als die Reste des Verblichenen noch nicht der Erde übergeben waren, in zwei Blättern zugleich, nämlich in der "Neuen Freien Presse" (hier als Stellvertreter Hanslick's) und im "Wiener Tageblatt" als [sic](selbständiger Musikreferent) ein hinrichterliches Verdict über den Künstler Bruckner fällte, damit so rasch kommend, als wäre es ihm vor Allem darum zu thun gewesen, die Bedeutung der beschlossenen grossartigen Trauerfeier herabzudrücken. Jeder Unparteiische vermag sich hineinzudenken, wie bitter alle Freunde und Verehrer Bruckner's diesen Mangel an Pietät empfinden mussten, der allerdings einige Wochen später durch das Geschreibsel einer gewissen Hedwig Abel, die sich unter Anderem erfrechte, Bruckner als einen "Curpfuscher im Contrapunct" zu bezeichnen, noch weit überboten wurde.
     Ueber das Verhalten des Stellvertreters Hanslick's zu dem todten Musik-Titanen schrieb aber kürzlich der geistreiche Dr. Robert Hirschfeld, der neue Musikreferent der Kaiserl. "Wiener Zeitung", in deren Beiblatt "Wiener Abendpost" (Nr. 270 vom 21. November 1896) einen so treffenden Artikel, dass ich mir nicht versagen kann, hier einige besonders markante Stellen herzusetzen. Man bedenke dabei, dass nicht ein voreingenommener Parteigänger Bruckner's spricht, sondern ein nach allen Seiten unabhängiger Kunstkritiker, der zugleich zu den begeistertsten Verehrern Brahms' gehört:
      "Hässliche Dinge standen am Anfange der Musiksaison. Noch deckte die Erde die sterblichen Reste Anton Bruckner's nicht, da wurde unter der Maske der "Ehrlichkeit" schon peinlicher Zank begonnen. Man glaubte der ungeduldigen Weltgeschichte gleich fertige Urtheile über den todten Meister eingeben zu müssen; man legte mit bedauerlicher Anmaassung dem gewaltigen Symphoniker Vermahnungen und Rathschläge, wie er es hätte machen sollen, auf die Bahre. Der furchtbare Tod reisst einen ruhmwürdigen Sohn des Vaterlandes aus dem Kreis der Lebenden und setzt einem Menschenleben, welches in hartem Ringen einzig den höchsten Idealen der Tonkunst, der Symphonie und Messe, in erhabenem Kraftgefühle zustrebte, grausam die Grenze; noch ist der Sarg nicht gezimmert, welcher den Körper des todten Meisters zur ewigen Ruhe bringen muss, – da ist schon die stilistische Ferienaufgabe herausgebracht, welche uns durch grosse Selbstbespiegelung und kleine Bosheiten von den allgemein menschlichen Gefühlen der Trauer zur Bewunderung feuilletonistischen Zierwesens hinlenken soll. Die "ethische Gesellschaft" in Wien, wenn sie den Namen verdient, müsste in solchen Fällen ihres Amtes waltren. Wäre es wirklich ein Unglück gewesen, wenn wir einen schaffenden Künstler, welcher nur auf den Höhen der Kunst gewandelt war, noch einige Stunden "überschätzt" hätten? Musste die strahlbereite Wasserspritze noch vor dem Leichenbegängniss auffahren? Ja, Cliquendiener reiten schnell!" –
     Nach dieser nur zu gerechtfertigten persönlichen Abwehr kommt Dr. Hirschfeld auf die Zukunft der Bruckner'schen Musik zu sprechen und sagt diesfalls unter Anderem Folgendes:
     "Bruckner's kunstgeschichtliche Stellung kann heute durch die geistreichsten Feuilletons nicht mehr erschüttert oder verschoben werden.
     Wir stehen heute noch mitten im Kampfe [... Textauszüge nach dem Original ...] wie denn auch Bruckner schon Wagnerisch geschrieben hat, ehe noch eine Note von Wagner sich in seine Einsamkeit geschlichen hatte". (Sehr wahr! vgl. die 1863 [sic] componirte Dmoll-Messe!) Nachdem nun Hirschfeld noch einige wohlmeinende Vorschläge bezüglich etwaiger Kürzungen in Bruckner'schen Werken gemacht, sagt er schliesslich:
     "Bruckner's Zeit wird sicher kommen. [... Text wie im Original ...] wie seine unerschöpfliche Phantasie stets neubildet und neu gestaltet, so lange ihm Themen zuströmen."
     Ich habe als überzeugter Verehrer des heimgegangenen Meisters den warmen Worten meines hochgeschätzten Collegen hier Nichts weiter hinzuzufügen, als den Wunsch, dass seine Prophezeiung, die Zukunft der Bruckner'schen Kunst angehend, sich vollständig erfüllen möge. Vorderhand hat des Meisters siebente Symphonie im ersten Wiener Philharmonischen Concert der begonnenen Saison eine so glänzende Aufnahme gefunden, wie ihr bei Lebzeiten Bruckner's in eben diesen Concerten nicht beschieden gewesen. Kann man dies nicht als ein günstiges Omen betrachten, dass der grossartige Schlussgesang des "Bruckner'schen "Te Deum": "Non confundar in aeternum" am Ende doch Recht behalten werde, wider alle Zweifler und factiösen Gegner? Ich wenigstens lasse mir diesen Glauben nicht nehmen.   Theodor Helm.
          Nachtrag zu dem Bruckner-Artikel.
     Im Druck erschienen sind von Bruckner'schen Compositionen ausser kleineren Kirchenstücken (Graduale, "Ave Maria", Antiphonien, einem "Tantum ergo" u. s. w.) das "Te Deum", drei grosse Messen, der 150. Psalm für Soli, Chor und Orchester, die Männerchorwerke mit Orchester "Germanenzug" (in Linz preisgekrönt) und "Helgoland" (Festgabe zum 50jährigen Jubiläum des Wiener Männergesangvereins), mehrere Männer- und gemischte Chöre ohne Begleitung, endlich sieben Symphonien und das Streichquintett in F dur.
     Von den Chorwerken erschienen [(der komplette Text ist über den Link abrufbar) ... Partituren und Klavierauszüge, auch bei den Symphonien und dem Quintett ... erwähnt werden: Josef Schalk, Stradal, Rättig, Gutmann, Doblinger, Haslinger, Schlesinger, Johann Groß (S. A. Reiss), Rebay & Robitschek ... Franz Brunner ...].
     Für eine ausführliche Bruckner-Biographie hat Einer der begeistertsten Verehrer des Meisters, Hr. Aug. Göllerich, jetzt Director des Musikvereins in Linz, seit Jahren Daten gesammelt und wird er wohl mit der Herausgabe dieses vielversprechenden Werkes nicht zu lange zurückhalten.              Th. H." [vgl. den Nachtrag vom 30.12.1896] (*).

Über die Planung von Bruckner-Gedenkzimmern in Wien und Linz berichtet der Alpen-Bote Nr. 101 auf S. 5:
"                 Verschiedenes.
                              Steyr,
17. December.
     (Erinnerung an Anton Bruckner.) Gleich nach dem Ableben des Componisten Bruckner wurde von Seite des Testamentsvollstreckers, des Wiener Gemeinderathes Dr. Reisch, die Anregung gegeben, im historischen Museum der Stadt Wien ein Bruckner=Zimmer einzurichten, ähnlich dem Grillparzer=Zimmer, in welchem die Hinterlassenschaft Bruckners, sein Clavier, nachgelassene Handschriften, Orgelpartituren, Porträts, wertvolle Stücke des Mobiliars &c, aufzubewahren wären. Wie das N. W. Tagbl." [13.12.1896] hört, wurde diese Anregung im Rathhause abgelehnt, und zwar wegen Raummangels, dagegen hat sich das Landesmuseum in Linz bereit erklärt, ein solches Bruckner=Zimmer zu schaffen, falls ihm der bezügliche Nachlass überantwortet wird. Es ist gewiss bedauerlich, bemerkt das genannte Blatt, dass das städtische Museum damit um eine wertvolle Bereicherung kommt. Es zeigt sich eben immer mehr, dass die Anregung des früheren Bürgermeisters Dr. Prix, gelegentlich des Regierungs=Jubiläums Sr. Majestät des Kaisers ein eigenes städtisches Museums=Gebäude zu eröffnen, wohlbegründet war." (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189612175, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189612175
letzte Änderung: Okt 02, 2023, 10:10