zurück 27.11.1906, Dienstag ID: 190611275

Besprechung (signiert "Dr. H. F.") des Konzerts vom 25.11.1906 mit dem "Germanenzug" im Brünner Tagesboten Nr. 554 auf S. 4:
     "[…] Zu seinem ersten Jahreskonzert hat sich der Verein den Farbenglanz des Orchesters erborgt. Im Wettstreit mit der Schallkraft der Instrumente erstarkte auch die Kraft der Kehlen; ansehnliche Tonfülle und frische Stimmkraft waren diesmal am Werke. An dramatisch pulsierenden Werken, wie Bruchs »Frithjof« oder Hegars »Das Herz von Douglas«, an der feierlichen Getragenheit von Schuberts »Allmacht« und an Bruckners kampfgerüstetem »Germanenzug«. […] Als freundliche Bruckner-Erinnerung rief sein markiger »Germanenzug« zu Tönen und Äußerungen der Begeisterung. […]" (*).

Die Indiana Tribüne Nr. 82 (Indianapolis, Indiana) berichtet auf S. 6 vom Berliner Musikleben und kommt dabei auf die Aufführung der 8. Symphonie [am 29.10.1906] zu sprechen:
"         Berliner Plauderei.
                   Berlin, 5. Nov. 1906.
     In der Krankenküche an der Brüderstraße wird in der nächsten Zeit sicherlich ganz besonders gut gekocht werden, denn dem Institut ist am letzten Freitag eine große Einnahme zugeflossen, die Einnahme, die Geraldine Farrar mit ihrem Abschiedskonzert erzielte. [... ausführlich über diese Sängerin und ihre Konzerte ... für Salome kaum geeignet ...].
     Die Woche war abermals mit musikalischen Genüssen bin an den Rand gefüllt, und auch der Begierigste vermochte lange nicht Alles zu schlürfen. Nikisch dirigirte im zweiten Philharmonischen Konzert Bruckner's achte Symphonie, die hier vor zehn Jahren unter Weingartner's Leitung so gut wie gar keinen Erfolg gehabt hatte. Seitdem hat sich eine richtige Brucknergemeinde gebildet, die womöglich noch intoleranter ist, als die frühere Brahmsgemeinde: wer nicht mit anbeten will, wird mit Achselzucken als Ignorant abgethan. Trotzdem riskire ich die Behauptung, daß es in dieser achten Symphonie keinen Satz giebt, der ungetrübten künstlerischen Genuß gewährt. Es wimmelt von interessanten Einzelheiten, desgleichen von Wagner=Reminiszenzen, die theilweise bis hart an die Grenze des Erlaubten gehen, aber überall vermißt man Perspektive und Zielbewußtsein im Aufbau. Es ist, als schaue Bruckner durch ein kleines Loch in der Wand auf eine herrliche Landschaft hinaus. Er sieht nur schöne Einzelheiten, aber er kann den Zusammenhang des Ganzen nicht fassen, und was sich von all der Schönheit in seiner Seele widerspiegelt, entbehrt der idealen Symmetrie. Die meisten Zuhörer mochten zwar anderer Ansicht sein, denn beklatscht wurde die Symphonie mit ordentlicher Vehemenz. Allerdings war denn auch die Interpretation, die Nikisch dem schwierigen Werke zu theil werden ließ, eine bewunderungswürdige. Nikisch ist und bleibt ein ganz meisterlicher Orchesterleiter.
     Und dabei soll nicht unerwähnt bleiben, [... über die haltlosen Scheidungsgerüchte ...].
     In demselben Philharmonischen Konzert ließ sich auch der nicht mehr ganz kleine Mischa Elman hören, der nunmehr sechzehnjährige Violinist [...]
     [... über Kammerkonzerte (Brüsseler und Böhmisches Streichquartett (Carl Hoffmann, Josef Suk, Georg Herold (für Oskar Nedbal), Hans Wihan, außerordentlich gut), annähernd so gut wie das Kneisel-Quartett [aus Chicago] ...].
     Und wer besucht nun diese endlosen Berliner Konzerte? Leere Stuhlreihen bekommt man eigentlich nie zu sehen, [... viele Amerikaner und Engländer im Publikum, hauptsächlich aber Berliner mit ernstem Kunstinteresse ...] sie können bei solch' treuem Konzertbesuch einer strengen musikalischen Geschmackserziehung garnicht entrinnen. Von jenen gedankenlosen, plappernden Konzertbesuchern, wie man sie in New York in Hülle und Fülle findet, merkt man nichts in Berlin. Und wehe Demjenigen, der sich vor dem Ende eines Stückes zu entfernen versucht: er wird derartig ausgezischt, daß er in seinem ganzen Leben keinen zweiten derartigen Versuch wagt.
                                                         August Spanuth." (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 190611275, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-190611275
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11