zurück 18.11.1920, Donnerstag ID: 192011185

Brief von Hermann Scherchen [Leipzig] an Auguste Maria Scherchen:
     »[...] Das Quartett hat gestern ausgezeichnet gespielt, ich habe mich gefreut, welche starke Wirkung die Proben hinterlassen haben. Schade, daß Du Bruckner nicht hörtest; nun draußen in Thyrow wirst Du ihn auf Deinem Flügel ständig von mir zu Gehör bekommen. Bei dem Adagio, bei diesen Tränen, diesen Sehnsüchten eines heiligen Einsamen schämte ich mich gestern so sehr unserer Schamlosigkeit, daß wir das, weil es »Kunst«, einer genießenden, satten Menge darbieten. [...]« (*).

Aufführung der 3. Symphonie unter Othmar Schoeck in St. Gallen (**).

Kurt Singer erwähnt in seiner Konzertumschau "Das Lied von der Erde" im Berliner Volksblatt "Vorwärts" Nr. 567 auf S. 3 beispielhaft auch Bruckners 9. Symphonie:
"     Aus dem Schaffen jedes genialen Künstlers ragt irgendwie ein Werk hervor, das den ganzen Menschen, die verdichtetste Kraft und den allerletzten Ausdruck einer seelischen Individualität mit packenden, leibhaftigen Gesten enthüllt; Höhepunkte, Zusammenraffungen, Lebens-Extrakte, gespiegelt und geklärt im Symbol der Kunst, oft genug selbst dem genialen Willen nur in der Stunde der Todesnähe erreichbar. Bachs H-Moll-Messe, Beethovens letztes Streichquartett, Mozarts "Requiem", Bruckners "Neunte", Verdis "Vier heiligen Gesänge". Solch ein Wunder, abgetrotzt dem Lächeln des Todes und umleuchtet von den Sternen aller guten, sehnsuchtstiefen, wehmütigen, schönheitstrunkenen Welten ist auch Mahlers "Lied von der Erde". [...]." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 192011185, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-192011185
letzte Änderung: Jun 11, 2024, 10:10