zurück 17.11.1872, Sonntag ID: 187211175

Besprechungen des vorgestrigen Konzerts in der »Deutschen Zeitung« Nr. 317 auf S. 8, signiert "F. G." (*), dem »Fremdenblatt« Nr. 317 auf S. 5 [nicht signiert] (**), in der »Presse« Nr. 317 auf S. 19 (signiert »E. S.«) (**a), im Neuen Fremdenblatt Nr. 317 auf S. 22 (= Feuilletonbeilage, S. 2) (signiert »h.« [= Theodor Helm?]) (**b), in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 96 auf S. 3 (signiert »Florestan«) (**c) und, von Ambros, in der »Wiener Zeitung« Nr. 264 auf S. 10 (***). [Texte weiter unten!]

(1. Philharmonisches Konzert unter Dessoff mit Werken von Beethoven, Schumann (1. Sinfonie) und der 2. Serenade von Volkmann (°)).

(An der Wiener Oper Wiederaufnahme der Oper »Der häusliche Krieg« und Premiere von Webers »Abu Hassan« unter Herbeck (°°)).

Textauszüge aus den Besprechungen:

(*) Deutsche Zeitung:
»(Orgel=Concert.) Um die volle Gewalt der neuen, von Herrn Friedrich Ladegast erbauten Orgel wirken zu lassen, hatte die Gesellschaft der Musikfreunde für den gestrigen Feiertag Mittags ein Orgel=Concert arrangirt. [... über den chaotischen Andrang ... überfüllt, teilweise Doppelbuchungen ... August Fischer, Lewinsky, Weilen ...] Die Wahl jener Bach'schen Toccata, wie überhaupt der meisten Stücke des Concertes war nicht geeignet, eine Idee zu geben von der höchsten Gewalt, deren das Instrument fähig ist. Der Improvisation des Herrn Bruckner gelang es sogar, der Orgel ihre schwächsten Seiten abzugewinnen. Nichtsdestoweniger folgte das Publicum mit Interesse und lebhaftem Beifalle den Orgelvorträgen; zwischen denselben wiederholte der Singverein jene schönen altdeutschen Chöre vom letzten Sonntag. Ferner sang Frau Wilt mit ihrer gewaltigen Stimme die "Allmacht" von Schubert und Herr Walter jenes süßsaure Pasticcio, welches in der Welt noch immer unter dem Namen der Kirchen=Arie von "Stradella" herumläuft.
        F. G.« [Franz Gehring] (*).

(**) Fremdenblatt:
»(Orgel=Konzert*) [Fußnote: *) Wegen Erkrankung unseres ständigen Referenten von einem anderen Fachmann.] Das Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde, das Mittags am 15. November stattfand [... Bemerkungen über die Orgel selbst und einige Kritikpunkte bei A. Fischer: Registrierung und Stückeauswahl ...] Die Improvisation, der Prüfstein eines Organisten, der nicht blos Mechaniker ist, die Herr Prof. Bruckner folgen ließ, war eine höchst interessante bis zu dem Punkte hin, wo durch eine Störung im Hebelwerk dem Künstler der unangenehme Zufall passirte, daß ein Ton stecken blieb und daher das Spiel unterbrochen werden mußte. Herr Bruckner wählte zum Anfang ein Motiv aus seiner großen Messe, welche in der Augustinerkirche zur Aufführung kam, das er virtuos durchführte, immer Neues daraus gestaltend und durch Register=Kombinationen frappante Klangwirkungen entwickelnd. Zum Schlusse führte Herr Bruckner die österreichische Volkshymne in reicher kontrapunktischer Ausführung vor, mit der er reichlichen Beifall erntete. [... Marie Wilt, Herr Walter, Singverein ...] Schließlich sei noch erwähnt, daß Herr Lewinsky ein Gedicht "Die Orgel" von Weilen mit bekannter Meisterschaft sprach, und damit das Publikum hinriß.« (**).

(**a) »Presse«:
» - Am Freitag Mittags fand im großen Gesellschaftssaale das erste Orgelconcert zur Einweihung des neu erbauten Instruments statt. [... Fischer, Lewinsky, Marie Wilt, Herr Walter ...] Das Programm ließ an wirksamer Anordnung Manches zu wünschen übrig, es ermüdete durch zu große Länge und verfehlte zum Theil den nächsten Zweck des Concertes, dem Publicum ein effectvoll abgestuftes Bild von dem Reichthume des Instruments an den mannichfaltigsten Klangwirkungen vorzuführen. Die Improvisation des Herrn Bruckner, welche eine derartige Bestimmung haben mochte, befriedigte am wenigsten, der bekanntlich so kunstfertige Virtuose hatte überdies das Unglück, über ein Register zu stolpern. Zu Ausführlicherem über die verschiedenen Leistungen wird sich nächstens ein Anlaß bieten. Schließlich sei nur noch erwähnt, daß auch der anwesende Erbauer der Orgel, Herr Ladegast, von dem Publicum ausgezeichnet wurde.
E. S.« [Eduard Schelle] (**a).

(**b) Neues Fremdenblatt:
»Orgel-Konzert.
   Das musikalische Ereigniß der Woche ist das große Orgel=Konzert im Musikvereinssaale und die mit demselben verbundene erste öffentliche Vorführung der [...] neuen Orgel der Gesellschaft der Musikfreunde. [... Kritik am enttäuschenden Klang der Orgel ...] Herr Fischer hat uns noch mehr enttäuscht als die Ladegast'sche Orgel im Ganzen. Gewiß, daß die letztere unter den Händen unseres Bruckner, der eine längere Improvisation zum Besten gab, mehr Effekt machte, als unter jenen des Dresdner Gastes. [... Kritik an Fischers Bach-Spiel und an Liszts »BACH«-Phantasie ...] In der Bruckner'schen Improvisation, die zuerst etwas selbstgefällig eine Sekundenfigur auf dem Gewoge Wagner'scher und Liszt'scher Harmonien schaukelnd, endlich in die reich umspielte Haydn'sche Volkshymne („Gott erhalte”) mündete, ereignete sich ein kleiner Unfall. Es wurde nämlich zur Unzeit eine fagotähnliche [sic] Stimme (in e) berührt. Das klang verdammt komisch und - unanständig. Auch sonst machte sich bei diesem ersten Debüt der neuen Orgel allerlei außermusikalisches Geräusche bemerkbar. [...] Das Konzert war massenhaft besucht und wurde Herr Ladegast wiederholt hervorgerufen.
h.« (**b).

(**c) Wiener Sonn- und Montags-Zeitung:
          "Concerte.
     Zur Einweihung des Ladegast'schen Orgelwerkes fand am 15. d. M. um die Mittagsstunde das erste Orgelconcert im großen Musikvereinssaale statt. [... zahlreiches Publikum, Enttäuschung, Orgelmusik nicht populär ...]
     - An dem Concerte betheiligten sich der Orgelvirtuose Herr August Fischer aus Dresden, der den ihm vorausgehenden Ruf vollkommen bestätigte, und Herr Professor A. Bruckner. [... Fischer mit Literaturspiel ...] Herr Bruckner hingegen gab eine Improvisation zum Besten, deren erster Theil sein Thema in langsamem Zeitmaß etwas allzulang entwickelte und von gewissen Figurationen gar nicht loskommen konnte, worauf dann aber eine energische Fuge und zum Schluß eine schöne Paraphrase der österr. Volkshymne folgte. Bedauerlicherweise hatte der Improvisator das Malheur, daß eine Ventilklappe den Schließdienst versagte, und daß beim Plenissimo die Windlade Athembeschwerden bekam, wofür einige Zuhörer nicht übel Lust verspürten, Herrn Bruckner verantwortlich zu machen. Uebrigens ernteten beide Organisten reichlichen, wohlverdienten Beifall. [... Weilen, Lewinsky, Hinweise auf den Inhalt des Gedichts ... über einen Liederabend, den der Mantel des Verschweigens verhüllen möge ...]    Florestan." (**c).

(***) Wiener Zeitung
»Musik.
Bülows zwei Neuromantiker=Abende. Das erste Wiener Orgelconcert.
Von A. W. Ambros.
     Ehe ich von dem Orgelconcerte im Saale des Musikvereinsgebäudes spreche, worin die neue Ladegast'sche Orgel sich dem Publicum bestens präsentirte [... ausführlicher Bericht über Bülow ...] Das Orgelconcert war massenhaft besucht, alle Welt wollte das Weltwunder der neuen Orgel hören. [... positives Urteil über August Fischer ...] Neben gearbeiteten Stücken der beiden Bach und Mendelssohns hat ein Improvisator, der mit ähnlichen Mitteln wirken soll, einen schweren Stand und sei er ein zweiter Hoffhaimer oder Kerl, die sich durch ihre Orgel=Improvisation beide den Ritterschlag verdienten. Bei Herrn Bruckners Improvisation passirte das Unglück, daß das eine Register (Trompete, 4 Fuß) in einem Tone einen Moment lang versagte. Das Publicum ließ es ihn zum Glück nicht entgelten. [... Jos. Weilen, Lewinsky, Marie Wilt, Herr Walter ...] Dieses erste Orgelconcert öffnet dem hiesigen Concertwesen ganz neue Pfade - die Folgen werden sich erst in der Folge völlig zeigen."« (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187211175, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187211175
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11