zurück 19.12.1877, Mittwoch ID: 187712195

Besprechung der 3. Symphonie durch Franz Gehring in der »Deutschen Zeitung« Nr. 2143 auf S. 1f:
»      Feuilleton.
             Musik.
     Am Sonntag, Nachmittags gegen 2 Uhr, hat das verheißungsvolle Interregnum, welches Josef Hellmesberger als Leiter der Gesellschafts=Concerte führte, sein Ende erreicht. [... über die ersten Programmnummern ...]
     So war also das sonntägliche Concert ein höchst genußreiches, bis Hellmesberger den Dirigentenstab niederlegte. Es folgte dann eine neue Symphonie von Anton Bruckner unter des Componisten Leitung. Viele Ziuhörer schienen nichts Gutes zu ahnen, und da die Zeit auch schon ziemlich vorgerückt war, suchten sie das Weite. Die Folge erwies, wie klug sie daran gethan hatten. In der That bekamen wir ein höchst absonderliches Werk zu hören, welches eher eine bunte, planlose Aneinanderreihung von Fetzen musikalischer Ideen genannt werden könnte, statt mit dem schon an und für sich wohlklingenen Namen "Symphonie" bezeichnet zu werden. Der Componist, welcher bekanntlich im Jahre 1873 ein "Concert zum Schlusse der Weltausstellung" gab, ist unstreitig ein Ortiginal; er muß aber wenige oder gar keine Freunde haben, sonst hätten ihn diese wohl verhindert, sich der komischen Scene auszusetzen, daß der große Musikvereins=Saal sich allmälig immer mehr leerte, je weiter die Ausführung der Symphonie vorschritt. Schließlich klatschten sogar einige Spaßvögel sehr lebhaft Beifall, indem sie "Bis" und "Da capo" riefen. Es wurden bei dem Herausgehen aus dem Saale Stimmen laut: Herbeck trage die Schuld an dem für Wiens Musikzustände höchst bedauerlichen Ereignisse, daß ein solches Werk zur Aufführung gelangte, Herbeck habe die Symphonie zugelassen. Damit hat es wohl seine Richtigkeit, aber man bedenke, daß Herr Bruckner Professor am Conservatorium ist, daß ferner Richard Wagner die Widmung der Symphonie angenommen hat: durfte unter solchen Umständen Herbeck interveniren oder hätte er mit seiner Intervention etwas ausgerichtet? Die Beantwortung dieser Fragen liegt auf der Hand. Lassen wir die Todten in Frieden ruhen!
     Am Abend dieses für die Wiener Musikzustände denkwürdigen Sonntags [... über andere Konzerte ...]
                             Franz Gehring.« (*).

Eine in der Neuen Freien Presse Nr. 4783 auf S. 5 veröffentlichte Zuschrift beklagt das rücksichtslose Verhalten des Publikums, speziell beim Konzert am 16.12.1877:
     "(Im Concertsaale.) Wir erhalten folgende Zuschrift: "Es ist leider ein besonders in der letzten Zeit hervortretender Uebelstand, daß ein großer Theil des Publicums, welches die Mittagsconcerte (philharmonische wie Gesellschafts=Concerte) im großen Musikvereinssaale besucht, lange vor dem Schlusse und sowol nach wie auch während der einzelnen Sätze des letzten Musikstückes massenweise den Concertsaal verläßt und dadurch für die ganze musikalische Aufführung wie für die übrigen Zuhörer eine unverantwortliche Störung hervorruft. [... so erreichte] die Nervosität einer großen Mehrheit des Publicums ihren Höhepunkt in den drei letzten großen Concerten (zweites philharmonisches Concert mit Herbeck's Symphonie, die "Jahreszeiten", und gestern bei der Symphonie von A. Bruckner). Man man für die Composition ode rfür den Componisten wie immer gestimmt sein, und mag auch de Zeitpunkt des Concertschlusses etwas weiter vorgerückt sein, so war es doch Unrecht, die Pietät für einen unvergeßlichen und kürzlich erst so allgemein betrauerten Todten, wie später die Achtung für den dirigirenden Componisten vollständig beiseite zu legen und massenweise - als ob es Allen plötzlich unwohl geworden wäre - vor und während der letzten Nummer davonzulaufen; am Schlusse sah beidemale der Dirigent fast mehr Musiker als Zuhörer im Saale. [... Vorschläge zur Abhilfe: die öffentliche Meinung stärken, Saaltüren schließen ... der Musikvereinssaal solle dazu erhoben werden], was er immer war und sein soll, zu einem Tempel der Kunst! Mehrere eifrige Concertbesucher." (**).
 
 
 
 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187712195, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187712195
letzte Änderung: Jun 18, 2023, 9:09