zurück 27.5.1883, Sonntag ID: 188305275

Bruckner spielt Orgel beim Hochamt um 8 Uhr in der Dreifaltigkeitskirche in der Alservorstadt. Es erklingen Werke von Kempter (Messe), Josef Haydn (Graduale) und Ch. Pasching (Offertorium mit Altsolo). Darauf um halb 9 Uhr Fronleichnamsprozession (*).

(**) Artikel Hans Paumgartners mit (Beschreibung der 7. Symphonie) in der Wiener Zeitung Nr. 119 auf S. 3f:
           »Feuilleton.
                Musik.
          Anton Bruckner.

     Ein echtes Volkskind, von bester oberösterreichischer Art, ist der Hoforganist und Professor am Conservatorium Herr Anton Bruckner. Seine Jugendzeit verfloß in den einfachen, stillen Verhältnissen eines oberösterreichischen Landschullehrers, bis der Abt von St.=Florian und späterhin der Bischof von Linz die Begabung und zwar zunächst des Organisten Bruckner erkannten und denselben zuerst als Stiftsorganisten nach St.=Florian und später als Domorganisten nach Linz beriefen.
   In Linz, der freundlichen oberösterreichischen Landeshauptstadt, fing allmälig die schöpferische Begabung Bruckners zu reifen an. Verschiedene Männerchöre, unter Anderem "Der Germanenzug", lenkten die Aufmerksamkeit auf Bruckners Schaffenstalent, und da er überdies als einer der ausgezeichnetsten Theoretiker auf dem Gebiete des Generalbasses und der Harmonielehre weit über seine Fachcollegen emporragte, so wurde der einstige Landschullehrer zum Professor der genannten Fächer am Wiener Conservatorium ernannt, welcher Anstellung bald die Ernennung Bruckners zum Organisten in der k. k. Hofcapelle folgte.
   An Johann Herbeck hatte Bruckner stets den wärmsten Freund, und er bezeichnete den frühen Tod Herbecks, der ja für das Kunstleben Wiens überhaupt ein sehr schmerzliches Ereigniß war, auch noch als ein großes Unglück für sein eigenes Schaffen und Wirken. Herbecks sicherer Blick hatte in dem schlichten, nur zu bescheidenen Manne rasch die kräftige Begabung erkannt; in der einfachen Hülle schlummerte ein edler Kern, den Herbeck mit liebevollster Förderung zu schönstem Leben weckte. Unter Herbecks Leitung wurden Bruckner'sche Messen in der Hofcapelle so wie eine Symphonie in C-moll in einem der Geselllschaftsconcerte aufgeführt. Aber auch ein Größerer hatte Anton Bruckner die künstlerische Mission voll und ganz zugesprochen: Richard Wagner. - Als Bruckner einst in den Siebziger Jahren eine Ferienreise unternahm, führte ihn sein Weg auch nach Baireuth. Er stellte sich dem Meister vor und übergab ihm eine seiner Symphonien (in D-moll). Richard Wagner, der Bruckner rasch liebgewonnen hatte, nahm großes Interesse an der Symphonie, die er wiederholt als ein »echtes Werk« hervorhob.
     Leider fand jedoch Bruckner nicht jene allgemeine Anerkennung in Wien, die sein Wirken und Streben verdient. Die Musiker wußten dies und jenes an den originellen Werken auszusetzen, vor Allem: daß denselben der leichte Fluß der Gewöhnlichkeit mangle. Mit Müh und Noth gelang es Herrn Hans Richter, vor zwei Jahren in einem von den Philharmonikern veranstalteten außerordentlichen Concerte gegen manche Einwände die Bruckner'sche Symphonie in Es-dur auf das Programm zu setzen, ein scheinbares Wagniß, welches aber von dem glänzendsten Erfolge belohnt wurde. Die Symphonie gefiel außerordentlich, und unter stürmischem Beifalle mußte nach Schluß der Aufführung der Compositeur immer wieder vor das Publicum treten und sich verneigen. In der That ist die Es-dur-Symphonie eines von den besten Bruckner'schen Werken. Von prächtiger Frische und Naivetät der Erfindung in den Themen, ist sie zugleich so klar und überzeugend in der Form, daß man sie unbedingt zu den glücklichsten Erfindungen auf dem Gebiete der modernen symphonischen Musik überhaupt zählen muß. Bruckner, welcher sich ausschließlich auf das Gebiet der Symphonie geworfen hat, ist in dieser Kunstgattung bereits bis Nr. 7 angelangt. Von seiner siebenten Symphonie in E-dur, dessen letzten Satz der Autor noch nicht beendet hat, liegen uns die drei ersten Sätze in der Partitur vor.
   Es ist eine charakteristische Eigenschaft Bruckners und ein Ausfluß seiner echten Begabung, daß er in seinen Symphonien sofort ohne langes Suchen bereits in den ersten Tacten mit einem bedeutungsvollen durchwegs originellen und individuellen Hauptthema beginnt. So auch wieder in dem ersten Satze seiner "siebenten", in welcher Horn und Celli unter tremolirenden Geigen das Hauptthema - zunächst in den Naturtönen des Hornes - anheben. Die Bratschen treten hinzu, der Gesang wird reicher, leidenschaftlicher bis er beruhigend zur Tonart leitet und nunmehr das Hauptthema von Geigen und Holzbläsern wieder aufgenommen wird. Bald tritt das zweite (Gesangs=)Motiv hinzu, von Oboe und Clarinette angestimmt und von zart gestoßenen Achteln der Trompete und der zwei ersten Hörner begleitet. Die Bässe und späterhin die Geigen nehmen das Gesangsmotiv auf und führen dasselbe nach H-dur, wo zuerst Hörner und Trompete und dann Holzbläser nunmehr höchst charakteristisch - von pizzicirten Streichern begleitet - das zweite Motiv wie in einem ritterlichen Marsche weiter geleiten, bis die ersten Geigen das Wort ergreifen und das - nunmehr umgekehrte - Gesangsmotiv mit einer prächtigen leidenschaftlichen Steigerung (auf Fis als Orgelpunkt) und nach einer originellen, wiewohl etwas wunderlichen Ueberleitung (in H-moll und Fis-moll) nach H-dur führen, zugleich den ersten Theil das Satzes sanft=lyrisch wie in einer liebesseligen Stimmung mit dem Nachklange der zwei ersten Hörner beschließend. Sehr gern benützt Bruckner zur Durchführung des ersten Satzes seiner Symphonie das Hauptmotiv in der Umkehrung. So auch in dem ersten Satze seiner E-dur-Symphonie, in welchem Clarinette und Oboe im Wechselspiele das umgekehrte Hauptthema unter den geheimnißvollen Klängen der drei Posaunen immer wieder anstimmen. Schmerzlich nahmen [sic] die Celli nunmehr auch das zweite Motiv (gleichfalls in der Umkehrung) auf; ein kleiner lyrischer Ruhepunkt in G-dur vermag nicht den leidenschaftlichen Zug des Ganzen zu hemmen; mit tragischer Gewalt stürzt das fortwährend umgekehrte Hauptthema in vollem, glänzendem Orchester nach C-moll und F-moll, bis es nach einer interessanten harmonischen Ueberleitung (Es-Septime) wieder in seiner ursprünglichen Gestalt in der Haupttonart uns begrüßt. In glanzvollen,lange ausgesponnenen E-dur-Dreiklängen schließt der erste Satz.
    Im zweiten Satze treten die Tuben in der Verwendung auf, wie sie Wagner in der Trilogie zuerst in das moderne Orchester eingeführt hat. Ein edler Trauergesang in Cis-moll (wie wenn er den Manen Richard Wagners geweiht wäre) wird überraschend von einer anmuthigen, reizend belebten Serenade in Fis-dur unterbrochen; ein liebliches Spiel ruft uns von der Trauer zu reizvollem Lebensgenusse zurück. Wieder ertönt die Trauerklage, da unterbricht sie abermals die Serenade - diesmal in As-dur; doch bald bringt der Trauerklang - zum dritten Male wiederkehrend - die kurze Freude zum Schweigen und beschließt den zweiten Satz in den ausgehaltenen Dreiklängen der Tuben feierlich in Cis-dur.
   Der dritte Satz ist ein übermüthiges Scherzo (in A-moll), in welchem über dem eigentlichen, von den Geigern unisono gespielten Motiv die Trompete mit einer gleichsam herausfordernden Fanfare das Gegenmotiv anstimmt. Das Trio des Scherzo (die Pauke schlägt die vier ersten Tacte allein), ein anmuthiger, liederartiger Gegensatz zu dem stürmischen Scherzo, ist von reizender Erfindung und muß im Orchester prächtig klingen. Die drei besprochenen Sätze haben in uns das lebhafteste Verlangen nach baldigster Vollendung des letzten Satzes und damit des ganzen Werkes wachgerufen. Letzthin haben Schüler Bruckners (in erster Reihe das verdienstvolle musikalische Brüderpaar Schalk) in engerem Kreise einen Bruckner=Abend veranstaltet, in welchem auch ein Streichquintett des gefeierten Tonkünstlers zur Aufführung gelangte [7.5.1883]. Das seelenvolle Adagio in Ges-dur mit seinem breiten, innigen Gesange begeisterte alle Anwesenden; insbesondere wurden die anwesenden Collegen Bruckners aus dem Lehrkörper des Conservatoriums nicht müde, dem Autor ihre Bewunderung auszusprechen. Merkwürdiger Weise findet Bruckner noch immer schwer einen Verleger!
   Nur die einzige D-moll Symphonie ist im Verlage der Wiener Firma Rättig erschienen, während die schöne,vor zwei Jahren von den Philharmonikern unter so großem Beifalle aufgeführte Es-dur=Symphonie noch nicht gedruckt ist. Es berührt peinlich, daß Bruckner, der an Originalität der Begabung und musikalischem Können seinesgleichen sucht, in Wien nicht mehr gefördert wird.
   Bei dem Mangel an bedeutenden modernen symphonischen Werken sollten Bruckners bedeutsame Symphonien eine doppelt willkommene Gabe sein. Aber was nicht gleich bei dem ersten Durchspielen wohlgefällig anmuthet wie der Gruß alter, wohlbekannter Freunde, ist häufig das Gediegenere. In die eigenartige Sprache des wirklich Begabten muß man sich immer erst hineinfinden. Diese Sprache nicht nur selbst zu verstehen, sondern sie auch den Musikkörpern und der Zuhörerschaft verständlich und schließlich liebgewohnt zu machen, ist eben Aufgabe der Leiter der musikalischen Unternehmungen, denen wir ein liebevolles und eingehendes Studium der Bruckner'schen Werke lebhaft anempfehlen.
Dr. Hans Paumgartner.«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188305275, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188305275
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 13:13