zurück 15.3.1890, Samstag ID: 189003155

Im Pester Lloyd Nr. 73 erscheint in der 1. Beilage [S. 5f] eine Besprechung der f-Moll-Messe (Teilaufführung am 5.3.1890) von Theodor Helm.
          "Wiener Musikbrief.
     Am letzten Sonntag ist nach sechsjähriger Pause wieder Berlioz' "Requiem" an uns vorübergerauscht, und zwar diesmal nahezu in seiner orchestralen Urgestalt mit 30 bis 40 Posaunen, Trompeten und Hörnern, 16 Kesselpauken und wie die kolossale Instrumentation weiter lautet. [... über dieses und weitere Konzerte ...]
     Fast gleichzeitig hat der Wiener Akademische Wagner=Verein, dessen ruhig besonnener Vorstand sich schon im Oktober vorigen Jahres durch eine eigens zu diesem Zwecke einberufene Generalversammlung von seinen fanatischen antisemitischen Elementen zu befreien wußte, einen erneuten Beweis seiner künstlerischen Lebensfähigkeit gegeben. Er führte nämlich unter Herrn J. Schalk's Leitung - nach vielen sorgfältigen Proben - an seinem letzten internen Musikabend das Kyrie und Gloria aus Anton Bruckners großer F-moll-Messe so trefflich auf, daß die Wirkung trotz des fehlenden Orchesters, welches durch Klavier und vom Konservatorium beigestellte Trompeten und Posaunen nur nothdürftig ersetzt wurde, eine gewaltige war. Bei der höchst imposanten, mit jedem Themen-Einsatze gleichsam neue Feuermassen der Begeisterung entzündenden Schlußfuge des Gloria kam es uns wieder so recht zum Bewußtsein, um wie viel zu wenig anerkannt eigentlich unser genialer Bruckner heute noch sei, obgleich er im nächsten September bereits sein 66. Jahr erreicht. Wer schreibt denn in der Gegenwart noch solche Meßsätze, wie die neulich gehörten? Nur Beethoven's große Messe in D (Bruckner's Hauptvorbild), die Bach'sche in H-moll, dann etwa noch die Graner Messe von Liszt bieten diesfalls Vergleichungspunkte. Einen besonderen Reiz erhielt der besagte Abend des Wagner-Vereins noch dadurch, daß an demselben Frau Rosa Papier zum ersten Male vollständig des früh geschiedenen Peter Cornelius' Liedercyklus "Trauer und Trost" vortrug.
     [... über weitere Konzerte, Opernaufführungen und Liszts "Heilige Elisabeth" ...] Die letzte - siebente oder achte - Wiederholung der dramatischen Legende fand am vergangenen Dienstag zu Ehren der Frau Cosima Wagner statt, welche von der Wirkung dieser vielleicht populärsten Schöpfung ihres Vaters und besonders von der poetischen Leistung des Frl. v. Ehrenstein in der Titelrolle tief ergriffen war. Auch über die letzte Wiener "Rheingold"-Vorstellung, in erster Linie van Dyck's Loge, sprach sich Frau Cosima sehr günstig aus.
                    Dr. Theodor Helm."


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189003155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189003155
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08