zurück 22.12.1890, Montag ID: 189012225

Brief Bruckners an die Wiener Philharmoniker:
    Dankt Orchester und Hans Richter für die Wiedergabe der 3. Symphonie (*).

Brief Bruckners an Paul Heyse:
    Dankt für das Schreiben, erläutert die 4. Symphonie. Die Meinung der Neuesten Nachrichten [Porges] über das Finale habe ihn gekränkt; eine Themenzusammenfassung gebe es nur in der 8. Symphonie. Er habe in München keine solchen Kritiker wie Brahms in Wien. Nach dem Erfolg der 3. Symphonie gestern werde Hanslick wohl wieder seine »Liebe« bezeugen (**).

Kritik (signiert »-n.«) über die 3. Symphonie im »Vaterland« Nr. 349 auf S. 3:
    "Viertes philharmonisches Concert. Es scheint, daß sich bei unseren Philharmonikern nachgerade doch die Ueberzeugung Bahn gebrochen hat, daß es mit der consequenten Ignorirung unseres großen vaterländischen Tondichters Anton Bruckner nimmer weiter gehe; denn das Programm des vierten Abonnementconcertes wies - man höre und staune! - Bruckner's D-moll=Symphonie (Nr. 3) auf, ein Werk, welches, Richard Wagner gewidmet, trotz seiner nicht allzu großen Jugend jetzt erst seine erste Aufführung bei den Philharmonikern erleben durfte! Die Umarbeitung, welcher Bruckner die Partitur der Symphonie unterzogen hat, war gewiß von Vortheil für das grandiose Werk, welches an Klarheit und Prägnanz der einzelnen Stimmungsmomente sehr viel gewonnen hat. Daß diese Aufführung zum Anlasse enthusiastischer Ovationen für Bruckner wurde, läßt sich wohl denken. [... nach 1. Satz kolossaler Lorbeerkranz ... Beifallsstürme] wie man es bei den Philharmonikern kaum noch erlebt hat. [... demonstrativer Charakter ... Brahms' zweite Symphonie war kürzlich in der Mitte des Programms: "Anhörzwang" für das Publikum ...] Bruckner's Werk bildete gestern den Schluß des Programmes - es scheint also, daß, wenn man auch weniger Aufmerksamkeit gegen Bruckner hatte, so doch unbedingt das Vertrauen in die Zugkraft seines Werkes ein bedeutend größeres gewesen sein muß. Sapienti sat. - [... Beethoven, Brodsky mit Grädeners Violinkonzert], welches wir nur wegen Raummangels nicht so eingehend würdigen können, als es dasselbe verdienen würde.     -n." (***).

Weitere Besprechungen erscheinen
in den Publicistischen Blättern Nr. 51 [auf S. 3?]:
          "Philharmonisches Concert.
     Das gestrige Concert der Philharmoniker brachte zwei Erstaufführungen: ein Violin=Concert von H. Grädener und die D-moll-Symphonie von Bruckner. Ersteres präsentirte sich - von Herrn Adolf Brodsky mit hübschem aber kleinem Ton, nicht ganz reiner Intonation, guter Technik und etwas kühlem Vortrag gespielt - als eine nicht gerade kurzweilige Composition: die bare, auf fünf Linien geschriebene Erfindungslosigkeit. Diesen Vorwurf kann man wohl der Bruckner'schen Symphonie nicht machen. Der Autor dieses Werkes hat sogar so viel zu sagen, Bekanntes und Unbekanntes, daß er gar nicht dazu kommt, seine Gedanken zu ordnen. Von logischer Entwicklung findet sich bei ihm keine Spur; Alles ist mosaikartig aneinandergereiht. Stellen von wirklicher Schönheit wechseln mit solchen von geradezu unschöner Wirkung, ein Thema wird ein paar Tacte lang musikalisch ausgesponnen und dann, ganz plötzlich und unmotivirt, abgebrochen, kaum horcht der Hörer mit Vergnügen auf ein stimmungsvolles Pianissimo der Streicher, wups wird er durch ein Fortissimo der Blechbläser aufgeschreckt.
     Der einheitlichste und gleichzeitig auch beste Satz scheint uns der dritte, ein prächtiges Scherzo zu sein. Für die Bruckner=Gemeinde gibt es bekanntlich kein "Besser" oder "Bestes" bei ihrem Meister, bei ihnen ist Alles himmlisch, was von ihm stammt. Und so tobten denn die Leute schon nach dem ersten Satze bis der Componist erschien und dieses Schreien und Stampfen wiederholte sich nach jedem Theile der Symphonie und artete zum Schlusse zu einem wahrhaften Beifalls=Crawall aus. Die Mehrzahl des Auditoriums sah und hörte dieser wüthenden Demonstration zuerst kopfschüttelnd und dann ärgerlich zu. Als Eingangsnummer des Concertes figurirte Beethoven's "Leonoer=Ouverture Nr. 2." [keine Signatur].
(°),

in der Österreichischen Volkszeitung Nr. 349 auf S. 2:
    "Philharmonisches Konzert. Zum erstenmal ist Anton Bruckner gestern in den Philharmonischen Konzerten erschienen. Sechsundsechzig Jahre ist der Mann alt geworden, sein Ruf ist in alle Welt gedrungen, aber die Philharmoniker glaubten sich ihm verschließen zu sollen, bis eben die erdrückende Novitätennoth sie zwang, dem Zorn der geschworenen Bruckner=Feinde zu trotzen und mit der Aufführung der dritten Symphonie des Altmeisters einen schüchternen Versuch zu machen. Der Versuch ist unbefriedigend ausgefallen. Es war eine Aufführung "von der Parteien Haß und Gunst entstellt". Glaubten die Einen, selbst himmlische Schönheiten des Riesenwerks belächeln zu sollen, so waren Andere dafür so maßlos in ihrer Begeisterung, daß man des Genusses und Urtheils nicht froh werden konnte. Es ist unbestreitbar: Bruckner hat auch in dieser Symphonie seinen unendlichen Reichthum nicht zu Rathe gezogen und es mag ärgerlich sein, wenn er ein schönes Gedanken=Gespinnst, gerade wo es am Färbigsten und Leuchtendsten ist, mitten durchschneidet und wieder was Anderes anfängt; aber die Fülle der Eingebungen, die großartige Gewalt über das Orchester, den Hochflug seiner Ideen wird man Bruckner nicht in Abrede stellen können, und so viel hat die gestrige Aufführung sicherlich erwiesen, daß sich das Publikum, der vorurtheilslose Theil desselben, an Bruckner theils bereits gewöhnt hat, theils gewöhnen lassen wird. Herr Bruckner wurde unzähligemale gerufen und dankte persönlich in seiner bekannten Weise. Richter, der treffliche Dirigent, hatte alle Mühe, sich des glücklichen Gefeierten zu erwehren. - Ein neues Violinkonzert von Grädener, einem sonst liebenswürdigen Musiker, ist in allen Theilen von gediegener Langweile und wurde von Herrn Brodsky entsprechend gespielt.      B. B-t." (°°),

in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 51 (signiert »V.«) auf S. 5:
     "(Das IV. Philharmonische Concert) brachte uns gestern nebst der Leonoren=Ouverture Nr. 3 ein in Wien noch unbekanntes Violinconcert von H. Grädener in D-dur und die D-moll-Symphonie von A. Bruckner, welch letztere seit einer Reihe von Jahren nicht mehr zur Aufführung gelangt war. [... positiv über das Violinkonzert und den Solisten Brodsky ... über den Beifall und vereinzelte Proteste dagegen ...] man muß sie aber entschieden verurtheilen, wenn sie, wie es der Fall ist, geradezu politischen Motiven entspringen. So ziemlich dieselben Gründe waren es ja auch, welche gleich darauf dieselben Leute zu stürmischem Beifall anläßlich der Bruckner=Symphonie begeisterten. Denn, wenn es auch gewiß nicht zu leugnen ist, daß diedieselbe [sic] - besonders in einzelnen Themen - schöne Gedanken enthält, so ist sie doch eben so gewiß weit entfernt, einen solchen Erfolg nur ihrem musikalischen Werthe allein verdanken zu können.          V." (°°°)

und im Wiener Tagblatt Nr. 349 auf S. 5, signiert »R. Hr.« [= Heuberger]:
     "(Viertes philharmonisches Konzert.) Stets, wenn der Name Bruckner auf dem Konzertzettel steht, weht Sensationslust im Saale; so auch gestern, als desselben D-moll=Symphonie (Nr. 3) zur ersten Aufführung in den philharmonischen Konzerten gelangte. Der Erfolg war derselbe, wie stets bei Bruckner'schen Sachen. Während die Schüler und Anhänger des Komponisten einen meisterhaft inszenirten Beifallssturm losließen, ergriff ein großer Theil des Publikums in den Pausen zwischen den Sätzen die Flucht. Der Komponist, welcher trotz seines vieljährigen Aufenthaltes in Wien seine Naivetät bewahrt hat, wurde nach jedem Abschlusse unzähligemale hervorgerufen, das heißt hervorgeschrien und erhielt einen herrlichen Lorbeerkranz. Die Wirkung, welche das Werk auf uns gemacht hat, ist eine sehr gemischte und können wir dieselbe nur annähernd wiedergeben, wenn wir sie mit dem Eindrucke vergleichen, welche manche Altarbilder aus der tollsten Zopfzeit hervorbringen. Wir sehen da ein Gemisch von fast willkürlich durcheinanderpurzelnder [sic] Extremitäten, deren Leibesangehörigkeit nicht immer zu eruiren ist; dazwischen erblicken wir ein paar wundervolle Engelsköpfe, einen extatischen Heiligen, zu Füßen des ganzen, himmlischen Getümmels vielleicht ein paar betende Landleute - das ganze farbenglühende Wirrsal durch die aufsteigenden Weihrauchwolken in ein mystisches Dunkel gehüllt. - Wie die einzelnen Theile einer Bruckner'schen Symphonie zusammengehören - das ist schwer zu entdecken. Nach einer Partie, welche anscheinend den kirchlichen Pomp einer Frohnleichnamsprozession malt und man die goldstrotzenden Prachtgewänder der Geistlichen ordentlich zu sehen vermeint, hüpft ein leichtgeschürzter Gedanke herein (so das wunderhübsche, graziöse Fis-dur-Motiv im letzten Satze), der jeder feinen Balletmusik zum Schmucke gereichte. Zwischen Kirche und Theater hat Bruckner mit feinem Instinkt einen Zusammenhang entdeckt und diesen musikalisch illustrirt - das kann kein Gesetzbuch der Welt verwehren. Den Kindern der Welt, welche eine großer zeitgenössischer Dichter dieser Tage auf Bruckner's D-moll-Symphonie in begeisterter Weise aufmerksam machte, hat wohl das reizende Trio des Scherzos und Vieles aus dem letzten Satze am besten gefallen. Im ersten Satze drängen sich zu viele Erinnerungen an die 9. Symphonie von Beethoven auf, dessen großer Genius auch segnend die Hand über das erste Thema des zweiten Satzes hält. - Alles in Allem können wir sagen, daß Bruckner's Symphonie mehr interessirt als beglückt, mehr zur Bewunderung des prachtvollen Klanges, als zur Vertiefung in den thematischen Bau auffordert. Daß die Philharmoniker das Werk des nunmehr bereits hoch in Jahren stehenden Mannes brachten, ist unseres Erachtens nur die Erfüllung einer lange versäumten Pflicht. Hätten die musikalischen Körperschaften Wiens vor zwanzig Jahren die wunderlichen Gebilde der ungezügelten Phantasie Bruckner's zur Aufführung gebracht, wir hätten jetzt vielleicht einen großen, vollwichtigen Meister der Kunst in demselben Manne zu verehren, der unserer Meinung nach in der Musikliteratur kaum eine andere Stellung einzunehmen berufen ist, wie in der deutschen Literatur der "Magus des Nord", Homann. - Vor der Symphonie wurde von Herrn Professor Brodsky aus Leipzig eine neues Violin=Konzert in D-dur von G. Grädener meisterhaft vorgetragen, ohne daß die Komposition größeres Interesse erweckt hätte; gar zu lautlos schleichen die Themen einher, gar zu gewunden drückt sich der gewiß sehr geist= und kenntnißreiche Komponist aus. - Als Eröffnungsnummer spielte das Orchester unter Hans Richter's Leistung die zweite Leonoren=Ouvertüre in unerhört vollendeter Weise; minutenlanger Beifall belohnte die Ausführenden und deren geistiges Oberhaupt.
          R. Hr." (#).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189012225, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189012225
letzte Änderung: Mär 26, 2023, 20:20