zurück 23.12.1890, Dienstag ID: 189012235

Kritik Theodor Helms »Bruckner's D-moll Symphonie« [»gestern«, also vermutlich datiert 22.12.1890] in der Deutschen Zeitung Nr. 6818 (Morgenausgabe) auf S. 1ff:
      "Bruckner's D-moll-Symphonie.
    Seit vier Jahren zum erstenmal haben gestern (Sonntag) die Philharmoniker dem genialsten lebenden Symphoniker in ihrem geschlossenen Kreise wieder das Wort vergönnt und zum zweitenmal erst wurde gestern überhaupt eine Bruckner'sche Symphonie vollständig in diesem Concerte aufgeführt. [... Text komplett und buchstabengetreu, mit geringen typographischen Abweichungen, bei 272/60-63 ...] [Schluß auf S. 3] Theodor Helm." (*).

Weitere Kritiken zur 3. Symphonie:
[Hanslick in der Neuen Freien Presse recte 24.12.1890] (**),

Heuberger im Wiener Tagblatt (***),

im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 350 auf S. 7, signiert "W. Fr." [= Wilhelm Frey], (mit Hinweis auf den bei Rättig erschienenen Klavierauszug):
     "Konzert. In ihrem vierten Abonnementskonzert der Philharmoniker vom vergangenen Sonntag [... über Brodsky und Grädeners Violinkonzert: nervöse Unruhe] und ein unentwirrbares Netz von verzierendem Arabeskenwerk. - Die nun folgende D-moll-Symphonie Anton Bruckner's - die fünfte [sic] - wurde von den intimen Freunden unseres so sympathischen und reich veranlagten Musikers zu tumultuösen Demonstrationen benützt. Das Werk in seinem ersten, etwas zu sehr gedehnten Satze mehr eine gewaltige Phantasie als ein streng geschlossener symphonischer Satz, birgt einen außerordentlichen Schatz von Motiven; das Adagio ist weit ruhiger gehalten und bringt seine tiefen Gedanken in künstlerisch abgerundeter Durchführung. Dies gilt in noch erhöhtem Maße von dem derben Scherzo und das Finale knüpft wieder an das große Thema der Neunten Beethoven's an, mit dem Bruckner dieses sein Werk auch begonnen. Die D-moll-Symphonie, die übrigens bei Th. Rättig bereits in gutem Klavierarrangement erschienen, ist nun wiederholt [!] von den Philharmonikern zur Aufführung gebracht worden. Das ist eine Genugthuung, wie sie sich Anton Bruckner nicht eklatanter wünschen kann und wie sie durch die liebevolle Theilnahme des Auditoriums nur noch in hohem Maße verstärkt wurde. Der Komponist erhielt auch einen Lorbeerkranz und für Kranz und Beifall dankte Bruckner mit jener treuherzigen Unbeholfenheit, die ihm so nobel ansteht.
          W. Fr." (°)

und »k. st.« [Königstein (siehe die Anmerkung)] im Wiener Illustrierten Extrablatt Nr. 350 auf S. 5:
   "Viertes philharmonisches Concert.
    Wenn das Beifallstoben einer Partei der Gradmesser für die Wahrheit ihrer Grundsätze wäre, dann müßte man den Componisten Anton Bruckner als den größten Symphoniker anerkennen; einen Beifall, wie ihn im vorgestrigen philharmonischen Concerte seine Symphonie in D-moll gefunden hat, dürfte Beethoven niemals gehört haben, selbst nicht zur Zeit, da sein Gehör noch intact war. [... Text (mit geringen Auslassungen und typographischen Abweichungen) bei 713/416 ...] Nicht so gut, wie Hrn. Bruckner ging es Hrn. H. Grädener mit seinem [...] Violinconcerte. [... Rüge für die niederzischende Clique ...].
   Das Beste war die glänzende Vorführung der "Leonoren"=Ouverture Nr. 2 von Beethoven [... über die dritte Ouvertüre, die in ihrem] Aufbau förmlich der dicht und präcis zusammengefaßte Empfindungsgehalt des "Fidelio" selber ist!       k. st." (°°).

Kritik (signiert ”K.” [= V. Kerbler]) über die 3. Symphonie in der Linzer Zeitung auf S. 1480f:
          "Drittes Musikvereinsconcert.
     Als vor kurzem Anton Bruckner in unserer Landesstube als Meister "in dem höchsten Genre der absoluten Musik", der Symphonie gefeiert wurde, konnten wir nur bedauern, daß es uns bisher versagt war, unseren genialen Landsmann auch als Symphoniker kennen zu lernen. [... nun bessere Voraussetzungen, z. B. verläßliche Bläser ...] Durch liebevolles, congeniales Eingehen [... Text wie bei 713/425f  ("Ueberzeugung") ...] keineswegs das Verständnis mangelt.
     Bruckner ist als Symphoniker kein Revolutionär; er hat die überkommene, schon von Beethoven erweiterte Form der Symphonie beibehalten, in dieselbe jedoch alle modernen Errungenschaften übertragen [... über Modulation, Motivverflechtung, Instrumentation ...] Um Bruckner einfach als Epigonen Wagners bezeichnen zu können, müßte man die Ursprünglichkeit seiner Ideen, die Unmittelbarkeit und den Reichthum der Erfindung wegleugnen, was selbst seine heftigsten Gegner nicht wagen.
     Allerdings schließt gerade dieser Reichthum eine Gefahr in sich, der der Componist nicht immer entgeht. Als Hagestolz nicht gewohnt, hauszuhalten, verfährt Bruckner mit seinen Ideen nicht gerade haushälterisch [...] Man könnte in dieser Beziehung auch auf Bruckner das bekannte Distichon über Jean Paul anwenden, wie man es oft auch auf Franz Schubert angewendet hat.
     Wahrhaft bewunderungswürdig ist die große thematische Gestaltungskraft des Componisten. Seine Themen, durchwegs von bedeutendem Inhalt und meist auch von großer melodischer Schönheit, weisen einen specifisch symphonischen Charakter auf und sind von Haus aus orchestral gedacht. Ueberraschend und befremdend ist zuweilen nur die Art und Weise, wie der Componist scheinbar heterogene Gedanken verbindet oder aber den natürlichen Fluß der Melodie, insbesondere durch Generalpausen unterbricht. Der Componist hat hierin seine eigene Logik, die zu erfassen nicht immer leicht ist.
     Großartig ist bei Bruckner die Macht der Steigerung, und zwar nicht sosehr dort, wo er alle Kräfte des modernen Orchesters entfesselt, sondern vielmehr dort, wo die Steigerung durch einfachere musikalische Mittel, durch gewisse melodische oder harmonische Wendungen, durch die Wiederholung einer Phrase u. dgl. bewirkt wird.
     Was speciell die D-moll-Symphonie anbelangt, [... Text wie bei 713/426 ("Aenderung") ...] bereits bis zum Abschlusse gediehen war.
     Der erste Satz der D-moll-Symphonie ist in dem Maße von Beethovens neunter Symphonie beeinflußt, daß man annehmen muß, der Componist habe sich vollkommen bewußt dem Einflusse der letzteren hingegeben. [... über die einzelnen Sätze ... liebliche Gedanken im Andante ... kräftiger, echt germanischer Humor im Scherzo ... dramatische Züge im Finale, Polka und Choral kombiniert, was ...] den Contrast des Lebens ausdrücken soll. In den Schlußtakten des letzten Satzes führen uns vier Corni, zwei Tromben [sic] und drei Trombonen in eindringlichster Weise das Hauptthema des ersten Satzes zu Gemüthe.
     Die Aufführung der Symphonie, welche die Kräfte aller Mitwirkenden in ungewöhnlichem Maße in Anspruch nahm, war, wie bereits erwähnt, so sorgsam als möglich vorbereitet, so daß das prächtige Werk bestens zur Geltung kam und zu hoffen ist, daß in absehbarer Zeit auch Bruckners vierte und siebente Symphonie zur Aufführung gelangen können. Herr Musikdirector Schreyer darf wohl das größte Verdienst an dem Gelingen der Aufführung für sich in Anspruch nehmen. Die Aufnahme der Symphonie seitens des Publicums war eine begeisterte.
     [... über das Tristan-Vorspiel und seinen "excessiv erotischen Zug" ... man könne] recht gut begreifen, wenn ein bekannter Wiener Musikkritiker meint: "Könnte diese Musik reden, die Frauen würden aus dem Concertsaal fliehen."
     Zwischen beiden Orchesternummern sang Herr Haslinger von Herrn Gruber am Clavier begleitet mit edler Wärme die Arie des Pylades aus Glucks "Iphigenie auf Tauris" und Siegmunds Liebeslied aus der "Walküre", zwei Nummern, die vollständig in den Rahmen des Concertes paßten.           K." (°°°).

Notiz Bruckners bei den Gebetsaufzeichnungen: »23. Dez. Tagblatt neues. - do Deutsche Zeitung [/] do Extra Blatt.« (#).

Brief Bruckners an Puchstein:
    Morgen könne er doch nicht kommen; bittet um einen anderen Abend. Helm, so sei zu hören, mache Hans Richter Vorwürfe - Puchstein möge das bitte nicht tun (##).

Brief Josef Schalks an Franz Schalk:
    Über den Erfolg der 3. Symphonie. Hugo Wolf habe Bruckner umarmt und geküßt, Schönaich sei von Brahms zu Bruckner geschwenkt. Der Wagner-Verein plane eine Wiederholung der Symphonie am 25.1.1891. Für die 4. Symphonie in Graz möge Franz sorgfältig proben. Ob er den Brief Paul Heyses schon kenne? Soll vor der Aufführung in der Grazer Tagespost veröffentlicht werden. Grüße von Bruckner (###).

Das Salzburger Volksblatt Nr. 292 kündigt auf S. 6 die 3. Symphonie [9.4.1891] an:
               "Internationale Stiftung: "Mozarteum."
[...]
     Der gefertigte Ausschuß eröffnet hiemit für das eilfte Vereinsjahr 1891 ein ganzjähriges Abonnement auf drei Vereins=Concerte, und werden hiefür folgende Werke zur Aufführung in Aussicht genommen: [... Beethoven, Berlioz ...] Bruckner III. (D-moll) Symphonie, [... Cherubini bis Richard Wagner ...]" (a).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189012235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189012235
letzte Änderung: Mär 16, 2023, 12:12