zurück 25.12.1890, Donnerstag ID: 189012255

In der Deutschen Zeitung Nr. 6820 wird auf S. 7 angekündigt, daß für das Wagner-Vereins-Konzert am 28.12.1890 u.a. das Credo der f-moll-Messe und zwei Sätze aus der 6. Symphonie (Klavierauszug) geplant seien:
   " - Der Akademische Wagner=Verein veranstaltet seinen vierten internen Musik=Abend in diesem Jahre am Sonntag den 28. d., um halb 8 Uhr Abends, im kleinen Musikvereinssaale. Hierbei gelangen [... Mitwirkende: Friederike Mayer, Hermann Winkelmann, A. Duesberg, Ferd. Foll, Ferdinand Löwe und der Vereinschor unter Josef Schalk ...] zur Aufführung: [...] A. Bruckner, VI. Symphonie (2 Sätze für Clavier); [...] A. Bruckner, Credo aus der F=Messe (Solo-Quartett und Chor). [...]" (*).

Die Linzer Zeitung Nr. 296 (Beilage) zitiert auf S. 1489 aus der in der »Presse« [am 24.12.1890] erschienenen Kritik Hirschfelds:
     " - Ueber die Aufführung der Bruckner'schen D-moll-Symphonie durch die Philharmoniker in Wien schreibt Doctor Hirschfeld in der "Presse": ".. Wurden die Symphonien Bruckners früher todtgeschwiegen, so werden sie jetzt todtgebrüllt. Der conservativen Kritik hat Anton Bruckner stets zum Hohn und Spott gedient. So gerieth er in die Hände politischer Parteigänger, welche auf allen Gebieten sich des "verlassenen Mannes" anzunehmen pflegen, um ihn schließlich gänzlich zu discreditiren. Dieses Schicksal droht dem verlassenen Symphoniemann, wenn die Aufführungen seiner Schöpfungen weiter unsere Concertsäle auf den wüsten Ton gewisser Wählerversammlungen stimmen werden. Mitten in dem häßlichen Gezänke steht Bruckners Werk, seine umgearbeitete D-moll-Symphonie mit ihrem mächtigen Themengerüst, gewaltig in den harmonischen Grundfesten und strahlend im kräftigsten Colorit des Orchesters. Die echt symphonischen Motive streben ins Große; unerschöpflich ist Bruckners Erfindungskraft. Was verhüllt nicht alles schon der grandiose Orgelpunkt auf D, welcher nach dreißig Takten zu dem packenden Doppelschrei des Orchesters führt! Und gleich leitet der Streicherchor dieses Felsenmotiv in der Umkehrung weiter. Die Violinen allein übernehmen wieder die Schlußphrase des Streicherintermezzos auf chromatisch absteigender Leiter, die uns zur Dominante bringt. Da wiederholt sich der frühere Vorgang - in den Trompeten erklingt das Hauptthema, und doch läßt sich von einem solchen nicht gut sprechen, da die Symphonie, großartig angelegt, einen auf mehreren Motiven ruhenden Eingang hat. In streng logischer, in jedem Takte motivischer Durcharbeitung drängt's schließlich, nachdem der Choral vorbeigezogen, über Octavenschritten der Bässe zu dem stürmischen Unisono des ersten von der Trompete eingeführten Themas, welches nun durch alle Tonräume des Orchesters schreitet. In geistvoller Weise geschieht die Rückführung zum ersten Orgelpunkt auf D. Der Schluß wird in genialster Art ebenfalls durch einen Orgelpunkt, zu dem sich ein Basso obstinato von vier Noten gesellt, vorbereitet . . . Der zweite Satz rückt nach Bruckners Gewohnheit nur um einen halben Ton nach Es-dur. Dieses Adagio leidet eher als der erste Satz an Hypertrophie der Themen, welche vielleicht mehr die Stimmung als der logische Faden zusammenhält. Trotz der stark gehäuften, den Fortgang durchschneidenden Pausen verfehlt auch dieser Theil seine tiefgehende Wirkung nicht. Im Scherzo, das wiederum nach D-moll herunterrückt, waltet Bruckner'sche Kraftlaune, ein naturwüchsiger Humor, den sprühende Erfindung belebt. Aus dem Finale - es strebt in cyklischer Weise wieder zum ersten Satze hin - sei nur das entzückende zweite Thema in Fis-moll [sic] herausgehoben, welches sich so graciös über die aufsteigende Scala erhebt. Eine Analyse hätte nur dann Sinn und Wert, wenn wir aus der Partitur (Th. Rättigs Verlag in Wien) auch klingende Beispiele citiren könnten. Die blühende, oft üppig wuchernde Tonphantasie Bruckners, aus welcher nur plastische, helleuchtende Themen hervortauchen, seine unversiegbare, wie vom Feuer der Jugend gestählte Kraft, der Lebensmuth und die Lebensfreude, welche aus seinem Werk lodert; wer wäre so verstockt, diese Vorzüge gering zu achten? Daß der Formsinn Bruckners dagegen wenig geklärt, die Gliederung seiner Werke oft eigensinnig, sprunghaft, daß dynamische Contraste in der naivsten Weise gehäuft gern Stockungen des Tonflusses bewirken, daß schließlich der Contrapunkt und namentlich die Umkehrung öfter schon eintritt, bevor das Thema recht erfaßt worden, wollen wir nicht verschweigen. Wer aber in die Bruckner'sche Symphonie nicht einzudringen wünscht, dem sei sie nicht aufgedrängt. Es hat endlich doch jeder nur den Kunstgenuß, welchen er selbst erstrebt."" (**).

"Das Vaterland" Nr. 352 veröffentlicht auf S. 6 des Beiblatts einen Leserbrief, der auf Hanslicks Besprechung der 3. Symphonie vom 24.12.1890 Bezug nimmt:
               "Ein "guter Freund" Bruckner's.
     Wir erhalten nachstehende Zuschrift! Geehrte Redaction! Die "N. Fr. Presse" bringt in ihrer heutigen Nummer ein Concertreferat von Eduard Hanslik [sic], in welchem derselbe auch auf die Aufführung der Bruckner'schen D-moll-Symphonie zu sprechen kommt und bei dieser Gelegenheit den mißlungenen Versuch macht, ein gewisses Wohlwollen für Bruckner zu heucheln, wenngleich die ganze "Kritik" - wenn man diese Auslassungen überhaupt so nennen kann - von Bosheiten und directen Entstellungen strotzt, in welche ich mich nicht weiter einlassen will. Wenn aber Hanslik sagt: "Von Herzen gönne ich dem mir seit dreißig Jahren befreundeten, begabten (sic!) und ehrenwerthen Mann diesen Jubel, in welchen miteinzustimmen mir unmöglich ist" - so möchte ich doch fragen, wie es Hofrath Hanslik mit seiner "Freundschaft" für Bruckner zu vereinen weiß, daß er seit Jahren in gehässigster Weise durch die von manchen kurzsichtigen Dirigenten noch gefürchtete "Macht" seiner Feder Aufführungen Bruckner'scher Werke einfach vereitelt, und daß Hofrath Hanslik es vor nicht zu langer Zeit sogar vermied, auf der Straße Bruckner's höflichen Gruß zu erwidern.       Ein stiller Beobachter." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189012255, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189012255
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11