zurück 27.4.1892, Mittwoch ID: 189204275

Bericht des Deutschen Volksblattes Nr. 1190, S. 7, über die Aufführung des »Te deum« in Hamburg:
"       Anton Bruckner's "Tedeum" in Hamburg.
     Die großartigen Wiener Erfolge Meister Brucker's [sic] beginnen allmälig doch auch im Auslande ihre erfreuliche Wirkung zu zeigen. [... zuletzt Hamburg ...] Daselbst wurde am 15. d. M. das hier zuletzt kurz vor Weihnachten vorigen Jahres gehörte "Tedeum" mit einem glänzenden Erfolge aufgeführt, der umso schwerer wiegt, da in Hamburg hauptsächlich durch Bülow's Einfluß eine, unserem Meister zum Theil geradezu feindliche Richtung am Ruder ist und man daselbst Alles thut, um unser Kunstideal nicht zur Anerkennung kommen zu lassen. [... trotzdem gute Presseresonanz (z. B. Hamburger Correspondent und Hamburger Tagblatt) ...]
     In der Kritik des erstgenannten Journals heißt es:
     Herr Pollini hat sich ein entschiedenes Verdienst damit erworben, daß er sich des in seiner Art genialen Componisten angenommen und das "Tedeum" im Stadttheater vorführen ließ. Der Componist geht auch hier seine eigenen Wege, auch hier sprengt die Frische, die Kraft, ja ein gewisses Ungestüm der Phantasie, die für diese Werke übliche Form. Bruckner ragt [durch (?)] zwei Eigenthümlichkeiten hervor, die ihn zu einem originellen Componisten stempeln: die scharf gesonderte Gliederung im Periodenbau und der Reichthum an harmonischen Ausdrucksmitteln. In der Instrumentirung ist er ein Meister; er liebt zuweilen recht dicke Farben, aber nur, wo sie am Platze sind; daß er sich auch zu bescheiden weiß, ersehen wir aus dem "Te ergo", wo nur Clarinette, Viola, Celli und Bässe beschäftigt sind. – – Herrlich ist das Miserere mit den klagenden Accorden in der tieferen Lage der Hörner, Posaunen und Tuben. Geradezu von überwältigender Wirkung ist der Schluß des "Non confundar in aeternum".
     Noch begeisterter spricht sich Prof. Bödecker im "Hamburger Tageblatt" aus. In seiner Kritik heißt es:
     Aus der 1885 in Hamburg zu Gehör gebrachten E-dur-Symphonie Nr. 7 hat ein seine eigenen Wege einschlagender, mit eigenartiger Schaffenskraft ausgerüsteter Künstler zu uns gesprochen, der frei und kühn das Höchste, Gewaltigste erstrebt, und der vermöge der Meisterschaft, mit welcher er die Compositionstechnik und Alles was zum Kunsthandwerk gehört, beherrscht, sein Ziel auch zu erreichen weiß. Bruckner ist ein echter, wahrer Tondichter von lebhaftester Phantasie und außerordentlichem Gestaltungsvermögen. Die Größe und Gewalt des Ausdruckes, von dem unerschütterlich und felsenfest einsetzenden bogenlosen [?] C-dur=Anfang bis zu dem stürmisch aufjubelnden an den nur aus Grundton und Quinte gebildeten Eingang wieder ankämpfenden [sic! recte wohl anknüpfenden] Schluß ist geradezu überwältigend. Die Kraft und Energie dieser Töne kommt wirklich den machtvollen, die Seele bewegenden Worten nahe, die denselben zu Grunde liegen. Zwischen diesen, den Hörer förmlich niederschmetternden Sätzen sind kleine, innig=melodiöse, dem Soloquartett überwiesene Phrasen eingeschoben, wie bei dem weichen F-moll "Te ergo", dem ruhig gehaltenen "Salvum fac" und dem schönen "In te domine speravi", wonach die schwung= und zugvolle Fuge umso riesenhafter durchschlägt, und die kolossal anstürmenden Chöre desto gewaltiger durchdringen."
      Die Aufführung wird allgemein sehr gelobt. Herr Mahler leitete dieselbe vorzüglich und die Solisten, die Damen Bettague [recte: Bettaque] und Heink und die Herren Landau und Wiegand wurden ebenfalls ihrer Aufgabe voll gerecht. Die Aufführung einer der Bruckner'schen Symphonien [prov. WAB 86] erscheint schon in der nächsten Saison gesichert. Herr Richter möge trachten, daß ihm die Hamburger mit einer Aufführung der achten nicht den Rang ablaufen." [keine Signaturen angegeben] (*).

Theodor Helm erwähnt die Hamburger Aufführung [am 15.4.1892] auch in seinem »Wiener Musikbrief« im Pester Lloyd Nr. 101 auf S. 5 (= 1. Beilage), der eine Kurzkritik zur Aufführung der f-Moll-Messe [am 23.4.1892] bringt:
"                   Feuilleton.
          Wiener Musikbrief.

     Die Konzertsaison ist zu Ende, nachdem sie uns kurz vor Thorschluß noch eine Reihe der interessantesten Eindrücke gebracht. [... über das Konzert vom 12.4.1892 und weitere Konzerte ... Text des kompletten Artikels bei www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=pel&datum=18920427&seite=5 ... über den Musikabend des Wagner-Vereins ...] der Vereinschor endlich sang, von Herrn Schalk sorgfältig einstudirt und dirigirt, [...] unter Mitwirkung eines tüchtigen Soloquartetts drei Sätze (Sanctus, Benedictus und Agnus Dei) der großartigen F-moll-Messe unseres greisen Anton Bruckner, der kürzlich wieder mit seinem Te Deum einen glorreichen Triumph in Hamburg errungen haben soll. Wir nehmen diesen neuesten Erfolg eines lange so schwer verkannten und wider Gebühr zurückgesetzten vaterländischen Tondichters zum willkommenen Anlaß, Bruckner's Te Deum den bedeutenden Chor- und Orchesterkräften, über welche ja auch das kunstsinnige Budapest verfügt, zur gelegentlichen Berücksichtigung zu empfehlen. - - - [... über weitere Konzerte und die kommenden Aufführungen bei der Musikausstellung ... Signatur auf S. 6:]
                               Dr. Theodor Helm" (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189204275, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189204275
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11