zurück 4.5.1893, Donnerstag ID: 189305045

Brief Bruckners an Viktor Christ [Visitenkarte]: 
     Dankt der Tochter Helene Christ für einen Blumengruß und dem Papa für seine Teilnahme. Er sei immer unwohl und drei Wochen bettlägerig gewesen (*).

Im Musikalischen Wochenblatt Nr. 19 wird auf S. 280f die Aufführung der f-Moll-Messe am 23.3.1893 besprochen:
»                            Musikbrief.
                                                Wien
.
                            (Fortsetzung.)
     Von den beiden Ausserordentlichen Gesellschaftsconcerten [...  Verdis Requiem, Bachs h-Moll-Messe ...]
     Wenn es katholische Kirchencompositionen eines lebenden Musikers gibt, welche, neben Bach's H moll-Messe und Beethoven's "Missa solemnis" gestellt, nicht ganz verschwinden, so sind es das "Te Deum" und die grossen Messen unseres Anton Bruckner. Das "Te Deum" hat bereits einen Triumphzug durch die musikalische Welt angetreten, noch nie zuvor war aber eine Bruckner'sche Messe im Concertsaal aufgeführt worden. Es ist das Verdienst des für Bruckner's viel bestrittene Muse seit Jahren muthigst kämpfenden Wiener Akademischen Wagner-Vereins, am 23. März d. J. die erste Concertaufführung einer Bruckner-Messe, und zwar gerade der grossartigsten von Allen, Jener in F moll, zu Stande gebracht und trotz seiner bescheidenen Mittel mit allen Ehren vollendet zu haben. Merkwürdiger Weise wurde diese erste Concertaufführung der Bruckner'schen F moll-Messe schon vor mehr als 20 Jahren von einer Seite angeregt, welche sich heute vor der titanischen Grösse des greisen Tondichters wie stockblind verschliesst, sie wohl auch leidenschaftlich bekämpft.
     Unter dem 29. Juni 1872 schrieb nämlich die "Neue Freie Presse" wörtlich Folgendes: "Am verflossenen Sonntag kam in der Augustinerkirche eine hier noch nicht gehörte neue Messe in F von dem als Orgelvirtuose rühmlichst bekannten Organisten und Professor am Conservatorium Anton Bruckner zur Aufführung. Die Composition erregte unter den Musikfreunden Aufsehen durch ihre kunstvolle Contrapunctik und Fugenarbeit, sowie durch einzelne ergreifende eigenthümliche Schönheiten. Nicht nur durch ihre grossen Dimensionen und schwierige Ausführbarkeit, auch durch Stil und Auffassung verräth sie als ihr Vorbild die Beethoven'sche "Missa solemnis", nebenbei auch starke Einflüsse R. Wagner's. Es wäre interessant, wenn Bruckner's neue Messe ganz oder doch theilweise in einer guten Concertaufführung zu Gehör gebracht und dadurch einem grösseren Publicum bekannt würde."
     Nun findet diese von der "Neuen Fr. Presse" selbst vorgeschlagene Concertaufführung nach 21 Jahren endlich statt, sie wird von fast der gesammten Wiener Kritik nach Fug und Recht als ein Kunstereigniss begrüsst, wer aber von ihr nicht die mindeste Notiz nimmt, ist Herr Hofrath Hanslick, der eben seither von einem wohlwollenden Gönner zum unversöhnlichsten Feinde Bruckner's geworden war.*) [Fußnote: "*) Der Grund liegt einfach in der 1872 Hrn. Dr. Hanslick noch nicht bekannten begeisterten Verehrung Bruckner's für Wagner, auch war ihm damals Bruckner noch nicht als symphonischer Rivale Brahms' höchst unbequem."] Er glänzte nicht nur bei der Aufführung selbst durch seine Abwesenheit, sondern schweigt dieselbe auch in seinem Blatte vollkommen todt, während er in den nächsten Tagen darin förmlich ostentativ über eine Reihe höchste unerheblicher anderer Concerte berichtet. Ob ein solches unverfrorenes zur-Schau-tragen der Parteilichkeit, der baaren persönlichen Gehässigkeit die richtige Auffassung vom Berufe des Kritikers sei, mögen sich die Leser selbst sagen.
     Die Bruckner'sche F moll-Messe aber hat am 23. März [... mächtiger Eindruck, auch bei gegnerischen Kritikern ... Bruckner hat in der Kirchenmusik am Text] stets die wohlthätigen Schranken gefunden für seinen, wenn ungebunden (d. h. in der wortlosen, absoluten Musik sich bewegend), manchmal gar zu ungestüm durch die Wolken jagenden Pegasus. [... d-Moll-Messe bei J. Gross in Innsbruck verlegt, unlängst in Hamburg aufgeführt ...] Jedenfalls sollte sie Dr. H. Kretzschmar bei einer sich etwa als nöthig erweisenden Neu-Auflage seines trefflichen "Führers durch den Concertsaal" (Band II., Kirchliche Werke) nicht vergessen, die zur Analyse erforderliche Partitur würde er, falls sie bis dahin nicht gedruckt, mindestens in Abschrift gewiss leicht erlangen. [... kurz zu den einzelnen Sätzen, besonderes Lob für das Credo ("Et resurrexit"), Labors Interludium vor dem Benedictus ...] Die Orgelleistung des Hrn. Labor in der Bruckner'schen Messe kann überhaupt nicht genug gepriesen werden, nächst ihm wären Hrn. G. Walter's zarte Tenor- und Hrn. A. Duesberg's schöne Violinsoli zu nennen, als Chor wirkte der durch Mitglieder des Akademischen Gesangvereines verstärkte Wagner-Verein, als Orchester – horribile dictu!– die Capelle Eduard Strauss mit, welche, übrigens gleichfalls verstärkt, die gehegten bescheidenen Erwartungen weit übertraf. Mit dem Philharmonischen Orchester – diesmal leider nicht zu gewinnen – wäre der Eindruck freilich ein ungleich grossartigerer gewesen. Aber auch unter den gegebenen Verhältnissen war die Totalwirkung eine hinreissende, begeisternde . . . 
     Die Seele der im schönsten Sinne sensationellen Aufführung war Prof. J. Schalk, [... neben Ferdinand Löwe der stärkste Bruckner-Förderer ... Hans Richter gratulierte Schalk; er sei froh, dass es so guten Dirigentennachwuchs gebe ...] Ob Richter schon damals mit den soeben citirten Worten auf sein geplantes und nun glücklicher Weise doch nicht verwirklichtes Scheiden von Wien anspielen wollte? Ich komme jedenfalls in der nächsten Fortsetzung dieses Musikbriefes auf den in Wien so ungeheure Bewegung verursacht habenden "Fall Richter" eingehend zu sprechen.
                         (Fortsetzung folgt.)
[Signatur am 24.8.1893]         Dr. Theodor Helm.« (**).

Der Alpen-Bote Nr. 36 teilt auf S. 3 mit, dass Bruckner zum Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Steyr ernannt worden ist [18.4.1893, 25.4.1893].
"                   Oertliches.
                                 Steyr, 4. Mai.
     (Dr. Anton Bruckner und der Musikverein.) Bekanntlich hat die hiesige "Gesellschaft der Musikfreunde" in ihrer General=Versammlung am 18. April den einstimmigen Beschluss gefasst, Herrn Dr. Anton Bruckner die Ehrenmitgliedschaft anzubieten. Diesen Beschluss hat der Verein unserem gefeierten Landsmann mit folgendem Schreiben zur Kenntnis gebracht:
     Euer Hochwohlgeboren, Hochgeehrter Herr! Als es vor kurzem in Steyr unternommen wurde, Ihr so herrliches und erhebendes Tonwerk, die "Messe in D" zur Aufführung zu bringen, geschah dieses nicht nur unter Ihrer freundlichen Zustimmung, sondern Sie hatten außerdem die große Güte, die Theilnehmenden durch Ihre hochgeschätzte Anwesenheit anzueifern und sogar die Aufführung durch Ihre persönliche Mitwirkung auszuzeichnen. – Beinahe sämmtliche Mitglieder der "Gesellschaft der Musikfreunde in Steyr" hatten sich an dieser Aufführung betheiligt, sich und andere an der hehren Schöpfung begeistert und in allen erwachte der natürliche Wunsch, anlässlich dieses in Steyr das erste Mal erfolgten Ereignisses dem großen Meister und genialen Schöpfer dieses Tongebildes ein wenn auch bescheidenes Zeichen ihrer Verehrung, Bewunderung und Dankbarkeit geben zu dürfen.
     In diesem Sinne nun hat die General=Versammlung der "Gesellschaft der Musikfreunde in Steyr" am 18. April l. J. den einstimmigen Beschluss gefasst: Euer Hochwohlgeboren die Ehrenmitgliedschaft derselben anzubieten.
     Die Mitglieder des Vereines sind sich vollauf bewusst, dass die gütige Annahme seitens Euer Hochwohlgeboren eine große und dauernde Auszeichnung für diesen von Musikern gebildeten Verein sein würde und dass dieses bescheidene Anerbieten für Sie, als so viel umworbenen und so hoch ausgezeichneten großen Tonkünstler, nicht mehr bedeuten könne, als einen Beweis liebevoller, aus dem Herzen einfacher Männer kommenden Dankbarkeit, und es ist diesen einstimmig getheilten Gefühlen in der General=Versammlung Ausdruck gegeben worden.
     Die hochachtungsvoll und ergebenst unterzeichnete Vereinsleitung gibt sich hiermit die Ehre, Euer Hochwohlgeboren von diesem Vereinsbeschlusse in Kenntnis zu setzen.
     Für die Gesellschaft der Musikfreunde in Steyr:
  Hermann Bachtrog | Secretär.     Eduard Werndl | Vorstand.
     Von Herrn Anton Bruckner ist nun an den Verein folgendes Schreiben eingelangt:
     "Hochlöbliche Gesellschaft der Musikfreunde! Hocherfreut über die mir gewordene Auszeichnung erlaube ich mir hiemit, meinen verbindlichsten Dank abzustatten! Die Freude für mich ist um so größer, als diese Ehre von einer heimatlichen Stadt kam, wo ich so viele Gönner und Freunde besitze, und wo ich alljährlich so gerne weile. – In tiefster Verehrung Dr. A. BrucknerWien, 27. April 1893." " (***).

Bei der Geschäftsversammlung des Wiener Akademischen Wagner-Vereins berichtet der Obmann [Victor Boller] über den Erfolg und die [finanziellen] Ergebnisse der Aufführung der f-Moll-Messe [am 23.3.1893] (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189305045, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189305045
letzte Änderung: Feb 25, 2024, 16:16