In der Universitätsvorlesung berichtet Bruckner, daß er heute einem Besucher aus New York [Viktor Christ?] den Schluß von »Helgoland« vorgespielt habe (*).
Das Deutsche Volksblatt Nr. 1568 bespricht auf S. 5 den Vereinsabend des Neuen Richard-Wagner-Vereins am 10.4.1893, bei dem der 1. Satz der 4. Symphonie aufgeführt wurde:
" [Neuer Richard Wagner=Verein] 1. Bezirk, Babenbergerstraße Nr. 5. Gastwirthschaft Leber. Mittwoch, den 10. d. M., gelangten im Verlaufe des Vereinsabends unter Anderem folgende musikalische Darbietungen zur Aufführung: [... Frl. Jörg, Herr Bause, Herr Schnabl ...]; der 1. Satz der romantischen Symphonie von A. Bruckner, Claviervortrag der Herren Schnabl und Bause. – Am Mittwoch, den 17. d. M., findet eine Gedenkfeier von Richard Wagner's 80. Geburtstage statt, für welche ein reiches und würdiges Programm festgesetzt wurde. Deutsche Gäste herzlich willkommen"! (**).
Die Linzer Montagspost Nr. 14 teilt auf S. 6 mit, dass Bruckner nicht an Pfingsten [21.5.1893], sondern an Fronleichnam [1.6.1893] in St. Florian Orgel spielen werde:
„ St. Florian. Wie wir erfahren, wird Meister Bruckner nicht zu Pfingsten, sondern am Frohnleichnamstage in der Kirche zu St. Florian die Orgel spielen.“ (***).
Kritik zur Aufführung der 4. Symphonie in Troppau am 19.4.1893 in der "Lyra" XVI, Nr. 16 (435) auf S. 6 [= S. 138]:
" Troppau (Schlesien). Der Männer=Gesangverein brachte am 19. v. M., im „Hahnen=Saale” unter Leitung des Vereins=Chormeisters Herrn Friedrich Keitel folgende Vortrags=Ordnung zur Ausführung: Dr. Anton Bruckner: IV. (romantische) Symphonie in Es-dur, für großes Orchester. Richard Wagner: „Das Liebesmahl der Apostel”, eine biblische Scene für Männerchor und Orchester. IV. (romantische) Symphonie in Es-dur von Dr. Anton Bruckner [sic! zweimalige Aufführung im selben Konzert?]. Diese Aufführung war nicht nur eine Erinnerungsfeier an den vor zehn Jahren dem deutschen Volke viel zu früh entrissenen großen Tondichter Richard Wagner, sondern sie bedeutete auch eine Ehrung des größten lebenden Symphonikers Anton Bruckner. Nach beiden Seiten hin ist der Männer=Gesangverein der Aufgabe, die er sich mit der Erstaufführung dieser zwei hervorragenden Werke gestellt hat, gerecht geworden, und muß namentlich der Versuch, eine Tonschöpfung Bruckner's den Troppauer musikliebenden Kreisen vorzuführen, als geglückt bezeichnet werden. Schon die Nachricht, daß eine solche Aufführung im Werke sei, hatte allseitige Spannung und Erwartung hervorgerufen; bei der Wiedergabe der Symphonie steigerte sich aber die Begeisterung der zahlreichen Zuhörerschaft von Satz zu Satz und zum Schlusse gaben jubelnde Beifallsrufe den tiefen Eindruck zu erkennen, den dieses herrliche Werk auf die Anwesenden gemacht hat. Lebhafte Anerkennung fand auch die Vorführung des „Liebesmahls”, wobei die dreifach getheilten Chöre ebenso sicher vorgetragen wurden, wie die schwierige Recitation der „Apostel” und die mystisch wirkenden „Stimmen aus der Höhe”. Der Männer=Gesangverein war bemüht, beiden Vortragsstücken die ihrer Bedeutung zukommende sorgfältige Vorbereitung zu Theil werden zu lassen und Vereinschormeister Keitel, sowohl, als seine Sängerschaar und die im Orchester mitwirkenden Herren dürfen mit Befriedigung auf ihre Leistungen zurückblicken. Anton Bruckner wurde von dem herrlichen Gelingen seiner 4. Symphonie seitens des Männer=Gesangvereines auf schriftlichem Wege in Kenntnis gesetzt." [keine Signatur] (°).
Ernst Pick geht in einem Artikel zum 60. Geburtstag von Johannes Brahms in der Musikalischen Rundschau Nr. 10 auf S. 81-83 auch auf den Zwiespalt Bruckner - Brahms ein:
" Johannes Brahms.
(Zu seinem 60. Geburtstage.)
[...] Aber auch Bruckner wurde und wird heute noch gegen Brahms ausgespielt, nur weil sich der erstere erkühnte, auch Symphonien zu schreiben, die nicht einfach todtgeschwiegen werden können. Dass Kunstkritiker, welche ernst genommen werden wollen, auch heute noch versuchen, den Namen Bruckner seines Glanzes auf Kosten desjenigen Brahms' zu berauben, ist tief bedauerlich, aber ebenso lächerlich als fruchtlos. Anton Bruckner hat auf dem Gebiete der Symphonie und des Oratoriums reformierend gewirkt und übertrifft Brahms bei weitem an Erfindungsgabe, freier Verarbeitung von Themen, eminenter Steigerung und glanzvoller Instrumentation. Zwei Symphoniker wie Brahms und Bruckner sollen ohne Voreingenommenheit nebeneinander genannt werden. Es nützt heute nichts mehr, den Namen Bruckner's zu unterdrücken. Durch Nacht zum Lichte gelangt, leuchtet heute sein Stern so hell als derjenige Richard Wagner's, nach dessen Tod eine etwas geklärtere, vorurtheilsfreiere Beurtheilung seiner Schöpfungen Platz gegriffen hat. Muss denn, fragen wir, der Leib verwest sein, ehe sich der Geist eines Künstlers der Menschheit offenbart? [...]." (°°).
Im Österreichischen Litteraturblatt Nr. 10 bespricht auf S. 306f Josef Schalk die Ausgabe der 8. Symphonie:
" Kunst und Kunstgeschichte.
Bruckner Anton: Achte Symphonie (C-moll) für grosses Orchester. Wien, C. Haslinger, qdam Tobias; Berlin, Schlesinger. 1892. 4°. (129 S.).
Ein seltsames, ja unerhörtes Werk! Wenn in Umschau über die Erscheinungen der neueren Musiklitteratur die Beobachtung einer zunehmenden Schwäche der Productionskraft nicht geleugnet werden kann, so weist im völligen Gegensatz hiezu dieses Werk sozusagen einen Ueberschuss an Kraft auf. Der aussergewöhnliche Gebrauch aller Kunstmittel, das reichste Wissen und Können dient augenscheinlich nur dem Ausdruck eines tief bewegten Inneren, dessen Verständnis schwierig und dessen Bedeutung in unseren kraftlosen Zeiten nicht ernst genug genommen werden kann. Was uns Anton Bruckner in seiner Symphonie zu sagen hat, liegt fast ausschliesslich in der Sphäre des Erhabenen (Wort und Gedanke erlahmen auf solchem Flug) und mit keinem der grossen Meister der Vorzeit ist er hierin verwandter als mit dem grössten, Johann Sebastian Bach. Er lässt sich weder den modernen Programm-Musikern anreihen noch jenen gewandten Formalisten, die an Stelle neuer Gedanken alte Schablonen setzen. Er steht gegen beide Richtungen und den daraus resultierenden heutigen Kunstgeschmack im Nachtheil, denn Witz wie Raffinement sind ihm gleicherweise fremd, er überflügelt sie aber beide durch Naivetät und Tiefe der Empfindung.
Die reine Instrumental-Symphonie ist vielleicht das einzige Gebiet der Musiklitteratur, das sich noch vor Verflachung bis heute bewahren konnte. Der historische Ausbau ihrer grossen Formen ebenso wie die unvergleichliche Würde und Hoheit ihrer Stellung zu den übrigen Gattungen der Musik haben die productiven Kleingeister aus ihrem Kreise gebannt, ja selbst ernste und tüchtige Meister vor ihren Anforderungen kleinlaut werden lassen. Als Schumann und Mendelssohn ihre Symphonien schrieben, war die Bedeutung der Beethoven'schen Symphonie noch keineswegs Gemeingut des musikalischen Publikums geworden, ihr Inhalt bei weitem nicht in dem Maasse erkannt als dies heute der Fall ist. Nun steigt sie, je mehr uns die Zeit ihr entrückt, höher und höher empor, ein Coloss, der alles Nachgeschaffene mit seiner Wucht darniederdrückt. Ihre Form, die ganze angewandte Kunst hat man studiert, sich angeeignet und selbst erstaunlich nachgeahmt. Was frommt's? Der rein menschliche Inhalt war nicht zu überbieten! Man kann sagen: Wer hier auf den Plan tritt, ringt nicht nur als Künstler, nein als Mensch, mit allen seinen Seelenkräften um den Preis. Denn ein klingendes Abbild der Seele ihres Schöpfers ist die Symphonie durch Beethoven geworden. Und wenn wir von gutem Glauben an die ewig unerschütterliche Lebenskraft seiner Werke erfüllt sind, so gründet sich dieser Glaube nicht auf Technik und Form des Meisters, die trotz aller Vollendung mit ihrer Zeit zusammenhängen, sondern auf den Seelenadel, die sittliche Hoheit, die sie verkünden, auf das Göttliche im Menschen Beethoven.
Ein Verwandtes, auf tiefere Urkräfte des Göttlichen Deutendes glauben wir in den Tönen Bruckners erkannt zu haben. Wie er als Mensch eine anachronistische Erscheinung ist, so war es ihm auch vorbehalten, den Seelenschatz unserer Altvorderen, die ganze Fülle eines weltüberwindenden Gottvertrauens, ihre ungebrochene Lebenskraft und -Freudigkeit in sich aufzuspeichern, anderseits [sic] durch sein Genie befähigt, sie mit dem grössten Reichthume moderner Kunstmittel dazustellen. Unbesorgt um die formellen Bedenken pedantischerKunstrichter, die für alles ein Maass zur Hand haben, nur nicht für Kraft und Grösse, vertrauen wir daher auf Anton Bruckner und den Sieg seiner Werke. Wien. Josef Schalk." [siehe dazu 27.5.1893] (°°°).
Kathi Kachelmayer soll Bruckners Freude über diesen "trefflichen" Artikel geteilt haben (#).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189305155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189305155letzte Änderung: Nov 24, 2023, 9:09