zurück 10.10.1893, Dienstag ID: 189310105

Kritik Hanslicks über das Konzert vom 8.10.1893 (mit "Helgoland") in der Neuen Freien Presse Nr. 10465 auf S. 1-3:
"     Das fünfzigjährige Jubiläum des Wiener Männergesang=Vereins.
    Ed. H. Mit Kränzen geschmückt, mit Geschenken beladen, von Lob und Liebe erdrückt, schließt der Wiener Männergesang=Verein das Fest seines fünfzigjährigen Bestandes. [... über die Gründung des Vereins durch August Schmidt ...]
Mit dem Chormeister Anton Storch wußte ich nicht viel anzufangen; das finstere Gesicht des schweigsamen Mannes paßte ganz zu seinem verwahrlosten Aeußern und seinen ungefälligen Manieren. [... über die weitere Entwicklung, die Bedeutung Herbecks, Dumbas und Olschbaurs, die Festschrift von Rudolph Hofmann ...]
    Das große Festconcert des Männergesang=Vereins am 8. October zählte zu den glänzendsten Productionen dieser Art. Um den ungewöhnlich feierlichen Anlaß auch äußerlich zu kennzeichnen, hatte der Verein für dieses Concert die kaiserliche Winter=Reitschule gewählt. [...] Kremser, der mit Sicherheit und Energie die Chöre leitete, darf auch als Dirigent einen neuen großen Erfolg verzeichnen. Zur ersten Aufführung gelangten drei eigens für das Jubiläums=Concert geschriebene umfangreiche Compositionen für Männerchor und großes Orchester: „Leonidas” von Max Bruch, „Phöbos Apollon” von F. Gernsheim und „Helgoland” von Anton Bruckner. In ihrer Absicht und Ausführung erinnerten mich diese drei Novitäten an die langen, schwierigen und hochstrebenden Chorwerke, welche (1868) Liszt, Franz Lachner, Esser und Herbeck zu dem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Männergesang=Vereins gespendet hatten. Ich fand die bis zum Zerspringen gewaltsame Ausdehnung der Grenzen des Männergesangs bedenklich und meinte, nach all den Anstrengungen, diesen Musikzweig zu höchsten Zielen und selbstständiger Kunstbedeutung emporzuziehen, werde derselbe doch immer wieder mit eigener Schwerkraft in jene bescheidene Region zurückfallen, die ihm von Haus aus behaglicher und natürlicher ist. Auch in den genannten neuesten Producten dreier geachteter Meister erkenne ich keinen reellen Gewinn; sie bestärken nur den Wunsch, es möge der vierstimmige Männerchor allmälig wieder mehr in seine Heimat, die Lyrik, und in den engeren Kreis  einer poetischen Geselligkeit zurückkehren. Im Vergleich zu jenen im Jahre 1868 aufgeführten Jubiläumschören scheinen mir die vom letzten Sonntag, bei gleich bedenklicher Wahl der Gedichte, noch anspruchsvoller, noch anstrengender, gekünstelter und erfindungsärmer. Man gebe sie einmal ohne Jubiläum und in Abwesenheit der geschätzten Componisten und sehe zu, wie das Publicum, bei aller Zärtlichkeit für den Männergesang=Verein, sich dabei langweilen wird. Um mit einer Composition so spröder Stoffe und so ermüdender Ausdehnung das Publicum zu erwärmen und zu entzücken, dazu gehört das Genie eines Schubert. Auch Sonntags schienen die Zuhörer von den neuen Werken mehr ermüdet als erbaut zu sein, doch bezeigten sie den Tondichtern die ihrem Rang und Namen gebührende Achtung. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, daß wir von diesen (insbesondere von dem Componisten des „Frithjof” und „Achilleus”) ungleich frischere, gehaltvollere Stücke kennen; diesmal haben sie leider der blendenden Technik ein zu großes Uebergewicht über den musikalischen Gehalt eingeräumt und in dem gewaltsamen Streben nach größtmöglichem Effect das Geheimniß der echten Wirkung verloren." (*).

Auf S. 13 weist ein Inserat auf die Gesellschaftskonzerte mit dem "Te deum" am 15.4.1894 hin:
"           GROSSER MUSIKVEREINSSAAL.
Die 4 ordentl. und 2 ausserordentl. Concerte der Gesellschaft der Musikfreunde in der Saison 1893/94,
geleitet von dem Concertdirector Herrn Wilhelm Gericke, finden mit nachbenanntem Programme statt, u. zw.: A. Die ordentliche [... I. bis IV. ...] B. Die ausserordentl. I. am 18. Februar, Mittags ½1 Uhr: Händel, "Messias"; II. am 15. April, Mittags ½Uhr: [... Tschaikowski, Beethoven (mit Sophie Menter) ...] Götz, "137. Psalm", Bruckner, "Tedeum."(*a).

Berichte über das Jubiläumskonzert erscheinen auch in der Linzer Tages-Post Nr. 232 auf S. 3:
"     [Das Jubiläum des Wiener Männergesangvereins.] [... samstags Empfang im Rathaus ...]. – .Der Glanzpunkt der Jubiläumsfeier war das gestrige Festconcert in der Winterreitschule der Hofburg, also im Hause des Kaisers. Hiezu erschien der Kaiser, der König von Sachsen, Erzherzogin Stephanie und die Erzherzoge Ludwig Victor, Albrecht, Wilhelm und Rainer. Lewinsky sprach den Prolog von Ferdinand v. Saar. Max Bruch und Gernsheim dirigierten ihre Werke "Leonidas" und "Phöbus Apollo" selbst. Von A. Bruckner wurde ein neuer herrlicher Chor "Helgoland" aufgeführt. Sonst zierten das Programm: Schubert, Herbeck, Mendelssohn, Wagner. Als Solisten wirkten Ritter und Gustav Walter mit. – Abends fand der Festcommers in den Sophiensälen statt, an dem etwa 3000 Personen theilnahmen, und bei dem es weder an Toasten (es sprachen u. a. auch Dr. Beck aus Nürnberg, der Vorstand des Allgemeinen deutschen Sängerbundes und Bürgermeister Dr. Prix) noch an musikalischen Darbietungen fehlte." (**),

der Linzer Zeitung auf S. 1227:
„             Vermischtes.
     
– (Jubiläum des Wiener Männergesangvereines.) Zu Ehren des Wiener Männergesangvereines veranstatete Samstag der Herr Bürgermeister Dr. Prix im Festsaale des Rathhauses einen Empfangsabend. [… Ablauf des Abends … Anwesende: WMGV-Vizepräsident Hofmann, Vizebürgermeister Dr. Richter und Dr. Grübl, Präsidialsekretär Pohl …]. – – Das Festconcert fand am 8. d. Nachmittag in der Winterreitschule statt. Dem Vereine wurde die hohe Ehre zutheil, vor Sr. Majestät dem Kaiser singen zu dürfen. Die große Tribüne für die Sänger und das Orchester befand sich gerade gegenüber der prachtvoll decorirten Hofloge. […] Um halb 1 Uhr intonirte das Hofopernorchester die Volkshymne, und in der Hofloge [… Kaiser Franz Joseph, Erzherzogin Stephanie, die Erzherzoge Karl Ludwig, Ludwig Victor, Wilhelm, Rainer und Albrecht … Lewinsky spricht Prolog von Ferdinand Saar …]. Die einzelnen Nummern des Programmes wurden mit vollendeter Meisterschaft und unübertrefflicher Nuaucierung [sic] zum Vortrage gebracht. Das Hauptinteresse nahmen die drei großen Chorwerke „Phöbus Apollon“ von Friedrich Gernsheim, „Leonidas“ von Max Bruch und „Helgoland“ von Anton Bruckner als Jubiläumsgaben dieser Tondichter in Anspruch. Gernsheim und Bruch dirigierten ihre Werke persönlich; wenn dieselben bemerkt, [sic] die „Montags=Revue“, nicht tieferen Eindruck erzielten, so mag wohl der Mangel an großen, originellen Zügen die Hauptschuld tragen, für welchen auch die glänzendsten äußeren Effecte nicht zu entschädigen vermögen. Die bedeutendste Novität des Concertes, welche geniale Conception und großartigste Wirkung vereinte, war aber Bruckners „Helgoland“. Nach der vierten Nummer zog sich Se. Majestät der Kaiser mit dem König von Sachsen zurück. Am Schlusse des mehr als zweistündigen Concertes gab es natürlich noch mannigfache Ovationen für den Verein, Kremser und die anwesenden Tondichter Bruckner, Bruch und Gernsheim. Den Schluß der Jubiläums=Festlichkeiten bildete abends der Festcommers im Sophiensaale. [… Olschbaur, Beckh (Nürnberg), Dr. Prix, Alfred Grünfeld …]. Dann sprach noch Herr Stedli aus Stuttgart, welcher die Einigkeit der Deutschen mit den Oesterreichern betonte.“ (***),

der Allgemeinen Zeitung München Nr. 281, Abendblatt auf S. 1, signiert "R. H." [vermutlich Richard Heuberger].
"                   Kleine Zeitung.
[...]
     R. H. Wien, 9. Oct. Das Dichterwort "Alles in der Welt läßt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen", mag Manchem in den Sinn gekommen sein, der Zeuge des Monstre=Jubiläums des Wiener Männergesang=Vereins gewesen, das diese berühmte Corporation zur Feier ihres 50jährigen Bestandes inscenirte. [...]. – Der Sonntag war sogar mit zwei Festlichkeiten bedacht. Mittags fand das Monstre=Concert in der kais. Winter=Reitschule der k. k. Hofburg statt,  Abends ein großer Commers. [... Prolog mit Lewinsky ... Max Bruch ("Leonidas") und Gernsheim ("Phöbus Apollon") dirigierten selbst ...]. Nicht viel moderner war das prunkende, aber nicht gehaltvolle "Helgoland", das Bruckner beigesteuert hatte. Auch dieser Meister hatte die Toga umgeschlagen und lieferte eine dröhnende Schilderung des Unterganges einer römischen Flotte vor dem einsamen Felseneilande. –  Ein kleines wirksames Stück  von Kremser, "Nachtlied", das in übersehbaren Dimensionen gehalten war, fand wohl den aufrichtigsten Beifall, vielleicht auch schon um seiner geringen Ausdehnung willen. Da außer den drei einförmigen großen "historischen Gemälden" und dem Kremser'schen Stücke noch eine Anzahl anderer Nummern gesungen wurden, verließ das Publicum in etwas niedergedrückter Stimmung den Saal. "Alles in der Welt läßt sich ertragen, nur nicht eine Reihe" – von Männerchören. . . . – [... Commers ...]. – Müde von all dem Jubiliren gehen heute wieder die halb zersungenen Tenöre und Bässe ihrer bürgerlichen Beschäftigung nach und freuen sich gewiß, jetzt 25 ruhigere Jahre vor sich zu haben. Hoffentlich erinnern sich gelegentlich des 75jährigen Jubiläums noch etliche der heutigen Mitglieder der Lasten der jetzigen Jubiläumsfreuden und helfen das Festprogramm in natürlicheren Dimensionen entwerfen. Bei all der anfänglichen Begeisterung mag mancher Sangesbruder geseufzt haben: "Alles in der Welt läßt sich ertragen u. s. w. . . ." " (°)

und in der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 4665 auf S. 8:
"Jubiläum des Wiener Männergesangvereines.
                          
    Wien, 9. October.
     Gestern hat der Männergesangverein die Reihe der Jubiläumsfestlichkeiten beendet und die rege Theilnahme, welche diese Veranstaltungen getroffen, beweisen, welcher Sympathien sich unsere Meistersänger erfreuen. [...]     Der Sonntag war dem Festconcerte in der Winterreitschule gewidmte. [... Beschreibung des Ortes ... anwesend u. a.: Bischof Dr. Angerer, Graf Trauttmannsdorff, Graf Szecsen, Minister v. Gautsch, Bgm. Prix etc., Olschbaur, Kronprinzessin Stephanie, König Albert von Sachsen, die Erzherzoge Ludwig Victor, Albrecht, Wilhelm und Rainer ... Joseph Lewinsky (Prolog von Ferdinand von Saar) ... Schubert, Schumann, Herbeck, Mendelssohn, Richard Wagner ...]; im Uebrigen gab es Novitäten von Gernsheim, Kremser, Bruckner und Bruch, welche sämmtlich den Verein zu seinem Jubelfeste mit Liedesgaben beschenkt hatten und dieselben (mit Ausnahme von Bruckner) persönlich dirigirten. [...] Den Mittelpunkt des Interesses bildete Bruckner's "Helgoland", ein überaus lebendiges und farbenvolles Tonstück, das in jeder Wendung unverkennbar die Meisterhand des genialen Musikers aufweist. Der Eindruck des Werkes war mächtig; der Beifall spontan und rauschend.     Der Kaiser, König Albert von Sachsen und Erzherzog Albrecht blieben eine Stunde im Saale und verließen nach Kremser's "Nachtlied" die Reitschule. Frau Kronprinzessin=Witwe Stephanie und die Herren Erzherzoge Ludwig Victor, Wilhelm und Rainer blieben bis zum Schlusse. [... über den Festcommers ...] und erst in frühester Morgenstunde nahm das Fest ein Ende, das allen Theilnehmern unvergeßlich bleiben wird." [keine Signatur] (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189310105, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189310105
letzte Änderung: Feb 19, 2024, 13:13