zurück 10.1.1896, Freitag ID: 189601105

Kritik Josef Scheus zur 4. Symphonie [am 5.1.1896] in der Arbeiter-Zeitung Nr. 8 auf S. 7:
"     Philharmonisches Konzert. Mit keinem ihrer diesjährigen Konzerte hatten die Philharmoniker ein so lebhaftes Interesse erweckt und einen so intensiven Erfolg erzielt wie mit ihrem fünften am letzten Sonntag. Schon einige Tage vorher waren sämmtliche Sitze vergriffen, und die bei der Bewerbung darum Abgewiesenen mußten sich an der Tageskasse um Eintrittskarten in das gestopft volle Stehparterre raufen. Und das haben mit ihren Kompositionen die Modernen Richard Strauß und Anton Bruckner gethan. Welch ein Umschwung in den Anschauungen und musikalischen Ueberzeugungen des Publikums! Wie lange ist es denn her, daß man über Anton Bruckner halb wohlwollend, halb mitleidig lächelte, als über einen ja ganz gewiß talentirten, leider aber konfusen, exaltirten und extravaganten Tonsetzer, ohne Kunstverstand, ohne Logik und Formensinn! Heute hat man einen Ueberblick gewonnen über die gigantischen Formen, in denen der Meister seinen erhabenen Gedanken Ausdruck verleiht; man ist zum Verständniß ihres genialen Inhaltes vorgedrungen; man bewundert mit Andacht und Begeisterung die Kraftfülle und Inhaltsschwere seiner Themen, den grandiosen Aufbau seiner Tonsätze, die nach jeder Richtung hin vollendete technische Meisterschaft, und man kann nach der sonntägigen glänzenden Aufführung seiner Es-dur-Symphonie – der romantischen, wie er sie nennt – gelassen sagen: Bruckner kann als Symphoniker nur mit Beethoven verglichen werden. Daran ändert nichts, daß ein Theil der Zuhörer, das Modepublikum unserer Konzerte, schon nach dem ersten und zweiten Satze, der gewissenhafte Berichterstatter der "Neuen Freien Presse" sogar schon vor Beginn der Symphonie die Flucht ergriff. Herr Hofrath Hanslik [sic] suchte ja auch schon nach der zweiten Abtheilung des sechssätzigen Bach'schen Weihnachtsoratoriums das Weite und zeigt nur dann Ausdauer, wenn es sich um eine Strauß'sche Operette handelt. Den zweiten Anziehungspunkt des fünften Philharmonischen bildete Richard Strauß' Tongemälde "Till Eulenspiegel's lustige Streiche", nach alter Schelmenweise in Rondeauform für großes Orchester besetzt. [... dennoch kein "heilloser Lärm", Bravourstück, fabelhaft, Beifallsstürme ... Mozart, Mendelssohn ...] wurde mit warmem und langandauerndem Beifall aufgenommen, der sich bei der den Schluß bildenden Bruckner'schen Symphonie zu begeisterten Ovationen für den in einer Loge dem Konzert beiwohnenden allverehrten greisen Bruckner, den Dirigenten, Hofkapellmeister Richter, und seine auserlesene Künstlerschaar steigerte. Der 5. Jänner war ein Ehrentag für unsere Philharmoniker.   J. S. " (*).

Besprechung dieses Konzerts auch in der Reichspost Nr. 9 auf S. 2f des Abendblatts, signiert »G. v. B.« [Gaigg von Bergheim]:
"    – Das 5. philharmonische Concert, Sonntag, den 5. Jänner, stand unter einem glücklichen Sterne. [... Mendelssohn, Mozart, Richard Strauss (geniale Juxkomposition) ...]. Dieses Werk und seine Aufführung fanden reichen Beifall. – Als vierte Aufführung brachten die Philharmoniker zum ersten Male die große romantische Symphonie Es-dur Nr. 4 von Anton Bruckner, welche wir bereits bei anderen Aufführungen drei Mal in Wien gehört haben. Wir können diese grandiose Tonschöpfung kurzweg als eines der bedeutendsten Werke seit den classischen Symphonien Beethovens bezeichnen. Die Tonfülle und die Tonmacht, der Reichthum an tiefsinnigen Motiven, der geniale Geist, welcher das ganze durchdringt, Heroismus im ersten Satze, Mystik und Elegie im zweiten, lustige Jagd und Waldesduft im dritten, und eine thematisch und dynamisch wahrhaft  kühn durchgeführte Zusammenfassung aller Einzelheiten zu einem mächtigen Ganzen, dies alles gibt ein Bild des himmelwärts schauenden Lebenskampfes, wie er nur in Beethoven's »Eroica« oder in dessen 5. Symphonie erscheint. Wir preisen den greisen gottbegnadeten Meister, dem es trotz seiner körperlichen Schwäche vergönnt war, von der Loge aus den begeisterten Jubel der Zuhörer, den Segen seiner so lang verkannten Tonmuse, ergriffen und gerührt entgegenzunehmen.     G. v. B." (**)

und im Deutschen Volksblatt Nr. 2521 auf S. 1ff:
"                      Aus dem Concertsaal.
     In der sehr empfehlenswerthen Abhandlung über "Beethoven's Streichquartette" *) [Fußnote mit Literaturhinweis] sagt der bekannte Fachschriftsteller und Kritiker Professor Theodor Helm unter Anderem Folgendes: "Die immer gleichen, äußerlich beschränkten, dagegen der geistigen Combination eine unendliche Welt eröffnenden Mittel sind in den vier Instrumenten des Streichquartettes gegeben." [... über Bedeutung und Sonderstellung der Kammermusik und die Konzerte Fitzner, Hellmesberger und Rosé ... Tschaikowskys Pathétique im 4. Philharmonischen Konzert unter Hans Richter ...]
     Eine hohe Aufgabe hatte sich dieser ausgezeichnete Dirigent mit seiner kunstgeübten Schaar im V. Concert gestellt, mit Bruckner's (romantischer) Symphonie in Es-dur Nr. 4 und mit Richard Strauß' symphonischer Dichtung "Till Eulenspiegel's lustige Streiche". Während Bruckner's Werk für Wien nicht mehr als Neuheit gelten konnte, da die Philharmoniker die große Tonschöpfung, wenn auch nicht in ihren eigenen Concerten, bereits zweimal vorgetragen haben, war die genannte Composition von Strauß für uns ganz neu. [... volles Lob, fesselnd, viel Bravo, wenig Zischen ...]
     [... über die Vorurteile gegen Neues ...]. Dies bewies uns auch ein Nachbar im Concert, der nach seinen Aeußerungen gar mancher Aufführung schon beigewohnt haben mochte. Als der zweite Satz von Bruckner's Symphonie, das edelernste Andante begann, meinte der Biedermann: "O weh, ein Marche funébre [sic]!" Hätte denn ein solcher nicht auch volle Berechtigung und hat sich etwa schon Jemand daran gestoßen, daß Beethoven in der Eroica einen Trauermarsch aufgenommen? [...] Der stets sich steigernde stürmische Beifall, den Bruckner für sein geniales Werk in Empfang nehmen durfte, veranlaßte unseren Nachbar zur Bemerkung: "Heute sind wieder lauter Bruckner-Schüler da, die sich für ihren Meister einsetzen." Es wäre auch das nicht das Schlimmste, und gewiß verdient die Lehrthätigkeit Bruckner's alle Hochachtung, doch wir zweifeln, daß Bruckner eine so große Zahl von Schülern unterrichtet hat, als sich Händepaare für seine Symphonien einsetzen. Was würde unser Nachbar übrigens zu dem Urtheil des längst verstorbenen Hofcapellmeisters Herbeck sagen, der kein Bruckner-Schüler gewesen ist und sich über dieselbe Symphonie folgendermaßen aussprach: "Das könnte Schubert geschrieben haben; wer so etwas schaffen kann, vor dem muß man Respect haben." Diesem Urtheil müssen wir uns rückhaltlos anschließen, übte doch des greisen Meisters, des gegenwärtig größten deutschösterreichischen  Tondichters Werk erhebende und begeisternde Wirkung. Es ist nicht leicht, all' den schönen Einzelheiten gerecht zu werden. Wir wissen nicht, welcher den Vorzug zu geben, ob dem ersten Satz (mit seinem poetischen und doch wieder so eindringlichen Hornthema, dem lieblichen Vogelsang, dem schwungvollen Triolenmotiv), oder dem prächtig gesteigerten Andante, der fröhlichen "Jagd" (im Scherzo mit seinem lieblichen, echt österreichischen  Trio), oder dem gewaltigen Finale (mit seinem entzückenden Schluß. Wir müssen uns enthalten, dem Leser all' die zahllosen Schönheiten, welche die Symphonie in Gedanken und Gestaltungen enthält, aufzuzählen. Wir wollen nur noch der – bis auf ein kleines Versehen im Scherzo – äußerst gelungenen, virtuosen Wiedergabe  durch die Philharmoniker gedenken. Der Bruckner'schen Symphonie ging Mendelssohn's "Hebriden-Ouverture" voran, welches Werk, an und für sich gewiß sehr schön, uns in den Rahmen dieses Concertes nicht zu passen schien, wie wir denn auch die Mozart'sche reizende Symphonie in D lieber am Schlusse, statt zu Beginn gehört hätten.
                                              Camillo Horn." (***).

Die Ostdeutsche Rundschau Nr. 9 kündigt auf S. 9 das Konzert vom 12.1.1896 (mit dem »Te Deum«) an:
"     Das zweite ordentliche Gesellschaftskonzert findet Samstag [sic] den 12. Jänner, um  halb 1 Uhr Mittags, statt. In demselben werden zur Erinnerung an den berühmten Dirigenten und Gründer des Singvereins Herbeck's „Tanzmomente” zur Aufführung gebracht und vier der schönsten Chöre von Brahms, darunter zwei Frauenchöre mit Begleitung von Harfe und Hörnern, wiederholt. Das Konzert wird mit einer von F. Mottl bearbeiteten Ouverture von J. Ph. Rameau eingeleitet und mit A. Bruckner's mächtigem Te Deum geschlossen." (°).
 
Ähnlich schreibt die Wiener Allgemeine Zeitung Nr. 5358 auf S. 7:
"     (Gesellschafts=Concerte.) Das zweite ordentliche Gesellschafts=Concertfindet Samstag den 11. Jänner [sic] um  halb 1 Uhr Mittags statt. In demselben werden zur Erinnerung an den berühmten Dirigenten und Gründer des Singvereins Herbeck's „Tanzmomente” zur Aufführung gebracht und vier der schönsten Chöre Brahm's [sic], darunter zwei Frauenchöre mit Begleitung von Harfe und Hörnern, wiederholt. Das Concert wird mit einer von F. Mottl bearbeiteten Ouverture von J. Ph. Rameau eingeleitet und mit A. Bruckner's mächtigem Te Deum geschlossen." (°a),

Die Neue Freie Presse Nr. 11271 macht auf S. 13 mit einem Inserat auf dieses Konzert aufmerksam:
"     GROSSER MUSIKVEREINSSAAL.
      Sonntag den 12. Januar 1896, Mittags halb 1 Uhr:
Zweites Gesellschafts-Concert

       Dirigent: Concert-Director Herr Richard v. Perger.
Zur Aufführung gelangt: [... Rameau/Mottl, Brahms, Herbeck ...] 4. Bruckner: "Te Deum" für Soli. Chor, Orch. u. Orgel. [... Karten-Preise etc. ...]" (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189601105, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189601105
letzte Änderung: Sep 01, 2023, 14:14