zurück 23.12.1896, Mittwoch ID: 189612235

Kritik zur d-moll-Messe (am 22.12.1896) von Julius Schuch im Grazer Tagblatt Nr. 354 auf S. 2f des Abendblatts:
"     (Grazer Richard Wagner=Verein.) Als heuer der Herbst ins Land gezogen war, so schlossen sich des greisen Meisters Anton Bruckner Augen für immer. [... trotz zunehmender Bewunderung und Anerkennung befremdlich wenige Trauerkundgebungen in Konzerten ...]. Mag sein, dass ein mehr oder minder berechtigtes Gefühl der Schwäche, die Schwierigkeiten der Bruckner'schen Partituren siegreich zu bewältigen, daran die Schuld trägt. Nun denn, unser allzeit kunstbestrebter Richard Wagner=Verein hat gestern durch eine dem Andenken Bruckners geweihte Aufführung seiner Messe in D diese nicht zu leugnende Schlappe nach besten Kräften gutgemacht. Diese rühmliche That unseres Wagner=Vereines empfand ich auch als eine Sühne für eine unerhörte journalistische Heldenthat, die ein Wiener Kritiker, der leider unser Landsmann ist, an Bruckner verbrach [Richard Heuberger am 13.10.1896]. Dieser Mann hatte den traurigen Muth, am offenen Sarge des Meisters dessen künstlerische Ehre schmählich zu verunglimpfen. [... Gründe: "Galle über eigene Mindererfolge, Unverstand oder gar Nachbeterei" des "possierlichen Kritikergötzen Wiens." [Hanslick] ... in der Messe "Feuergeist" ohne Beeinflussung durch Wagner ... einige Stellen im Gloria und Credo werden hervorgehoben ...]. Um die gediegene Aufführung des sehr schwierigen Werkes hatte sich der Dirigent Herr Oskar Noë, der seiner heiklen Aufgabe mit großer Umsicht und vollstem Verständnisse oblag, in erster Linie ein hervorragendes Verdienst erworben. – Sehr anerkennenswert waren die Leistungen der solistischen Gesangskräfte, der Fräulein Gerbitz und Polegegg, des Herrn Dr. Copony und eines ungenannt bleiben wollenden Sängers, sämmtlich Schüler der bewährten vorzüglichen heimischen Gesangschule Kraemer=Widl. Mit kunstgewandten Händen besorgte Herr Siegmund von Hausegger die manche Schwierigkeiten bietende Clavierbegleitung. Der Musikverein hatte seinen prächtigen Bösendorfer=Flügel, der aus Albert Fiedlers Salon stammte, dem Künstler freundlichst zur Verfügung gestellt. Ein besonderes Lob ist dem neugegründeten Chore des Wagnervereines zu zollen, des das erstemal mit einem großen Chorwerke bei einer Vereinsaufführung in Thätigkeit trat. Dank dem edlen künstlerischen Eifer der recht stattlichen sangesfrohen Schar kamen die Chorsätze zu voller klangschöner Wirkung. Werk und Wiedergabe erzielten bei den zahlreich erschienenen Hörern vollen Erfolg.    Julius Schuch." (*).

Hinweis auf die Aufführung des »Te deum« am 30.12.1896 in den Münchner Neuesten Nachrichten Nr. 597 (Morgenblatt) auf S. 2:
"Theater und Musik.
[...]
     *  Zweites Konzert des Kaim=Chors. Das an 30. Dezember im großen Kaim=Saal unter Herman Zumpes Leitung stattfindende zweite Konzert des Kaim=Chors wird duch das Cherubini'sche "Requiem" eingeleitet, worauf das "Te Deum" des leider zu früh dahingeschiedenen Anton v. Bruckner [sic] sich anschließen wird. Die Solopartien sind vertreten durch Frau Meta Hieber (Sopran), Frau Elisabeth Exter (Alt), Herrn U. Schreiber (Tenor) und Herrn Kammersänger Eduard Schuegraf(Baß).- [... Kartenvorverkauf ...]." (**).

Das Deutsche Blatt Brünn Nr. 101 bringt auf S. 4 eine mit »r.« signierte Kritik zur Aufführung des »Te Deum« [am 19.12.1896]:
"      Concert des Brünner Musikvereines.
             (Sonnabend, den 19. Julmond.)
     Die Vortragsordnung des letzten Musikvereins=Concertes bot des Anregenden genug: Schumann, Dvorak, Bruckner! Alle drei Tonsetzer waren durch hervorragende Schöpfungen vertreten, und die hierorts so beliebte Betheiligung des Vereinschores an dem Concerte mit kleinen a capella=Chören entfiel diesmal glücklicherweise gänzlich. Vielmehr war die Chorleistung auf Bruckner's ehrfurchteinflößendes "Te Deum" beschränkt, in welchem Werke sie aber leider nicht den Anforderungen entsprach, die man billigerweise an sie zu stellen berechtigt gewesen wäre. Es nimmt sich sonderbar aus, wenn, allen Bemühungen des Dirigenten zum Trotz, von der stattlichen Schaar der Herren und Damen bei schwierigen Einsätzen einfach niemand singt; bei etwas mehr Sicherheit und Aufmerksamkeit, namentlich des Damenchores, hätten viele Stellen des herrlichen Werkes sicher einen nachhaltigeren Eindruck hervorgerufen. Ebenso unbedeutend war die Leistung des im "Te Deum" beschäftigten Soloquartettes, bestehend aus den Damen Beatrix Friedländer, Aurelie Kaulich und den Herren Oplustil und Schmuttermeier, von denen blos der Letztgenannte wegen der plötzlichen Uebernahme der Solopartie für den erkrankten Herrn Neuber entschuldigt werden kann. Weder durch Jugendfrische und Schönheit der Stimmen bestechend, noch an Intensität des Ausdruckes den Absichten des Meisters entgegenkommend, mussten voraussichtlich die Genannten einfach abfallen, was auch pünklich [sic] eintraf.
     Einen besseren Eindruck auf die große Menge der Zuhörer, auch den Musiker in hohem Grade fesselnd, machte [... Dvorak ... Schumanns 2. Sinfonie ...]. Die Aufführung dieses heiklen Werkes war, von einigen dynamischen Lauheiten abgesehen, eine zufriedenstellende. Hier sei auch erwähnt, dass den Herren Concertmeister Karl Koretz und Organisten A. Hofmeier vollste Anerkennung für ihre Leistungen in Bruckners "Te deum" gebührt. Herrn Director Kitzler gebührt für die sorgfältige Vorbereitung des spannenden Concertes die vollste Anerkennung.
                                                    r." (***).

Der Leserbrief an die Pall Mall Gazette Nr. 9905 auf S. 3 ist identisch mit dem an The Morning Post am 19.12.1896:
"                      SYMPHONIC WRITERS.
To the EDITOR of the PALL MALL GAZETTE.
     DEAR SIR,–A famous musical critic recently expressed the opinion that there is a sad lack of great symphonic writers of the present day, and that, although we have some worthy symphonists, yet none of them is great enough to dispel anxiety. I do not agree with this assertion. [... Brahms ist mindestens gleichwertig mit Schubert, Mendelssohn oder Schumann ...]. There are other notable symphonic composers of the latter half of this expiring century, such as Volkmann, Gade, Raff, Bruckner, Rubinstein, Tschaikowsky, and Dvorak, though the life-work of some of these masters is still of too recent a date for us to be able to judge with any degree of certainty what place their symphonies will ultimately take in the temple of everlasting fame. [... ob es erstrebenswert sei, ständig unsterbliche Meister aufeinander folgen zu lassen? ... "The fewer the better, say I." ... es würde keine Unterschiede mehr zwischen den Werken geben ... die bisherigen Meisterwerke werden noch in Jahrhunderten die Menschen entzücken ... auch in der Literatur gebe es keinen Niedergang, nur weil derzeit keiner sich messen kann ...] with Shakspeare [sic], Milton, Scott, Dickens, or Thackeray.– Yours very faithfully,      ALGERNON ASHTON.
     44, Hamilton Gardens, N.W., Dec. 18." (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189612235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189612235
letzte Änderung: Sep 12, 2023, 11:11