zurück 20.4.1936, Montag ID: 193604205

Besprechung des »Freundeskreises Bruckner-Schalk-Löwe« (*).
 
Aufführung der Zwei Festfanfaren über Themen von Bruckner von Vinzenz Goller durch die Wiener Symphoniker unter Max Schönherr bei der RAVAG Wien (**).

Aufsatz (Manuskript) von Friedrich Eckstein "Über Anton Bruckners Unbeeinflußbarkeit" (vier einseitig beschriebene Blätter, rechts oben jeweils von 1) bis 4) durchnummeriert):
"Friedrich Eckstein. | Wien, 20. April 1936. | über Anton Bruckners Unbeeinflußbarkeit.
     Es sind mir im Augenblick insbesondere drei Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung erinnerlich, welche wohl geeignet sein dürften, Bruckners Unerschütterlichkeit, was seine Kompositionen betrifft, darzutun
     Vor allem jenes Erlebnis [ca. zwei Zeilen bis zur Unleserlichkeit durchgestrichen] (vgl. "Anbruch" März-Apl. 1936), wie im Jahre 1884 Josef Schalk, bei den Vorbereitungen zur Drucklegung und eventuellen Aufführung der Siebenten Symphnonie dem Meister zum ersten Male den Anfang des ersten Satzes auf dem Klavier vortrug, und zwar in einem Tempo, welches Bruckner zu langsam und zu pathetisch erschien. Als nun Schalk an seiner Auffassung festhalten und diese verteidigen wollte, geriet Bruckner in eine solche Wut, daß Schalk sogleich erschreckt den Rückzug antrat, und so ist es denn auch bei dem von Bruckner angegebenen Tempo und Vortrag dieser Einleitung geblieben. Sonst aber kann ich mich, obwohl ich durch Jahre hindurch Zeuge der Besprechungen zwischen Bruckner und seinen an der Herausgabe seiner Werke beteiligten Schüler gewesen bin, keiner derartig ernsten Auseinandersetzung entsinnen. Niemals haben [Seite 2:] die beiden Brüder Schalk oder Ferdinand Löwe irgendeine Note oder Notierung ohne Bruckners ausdrückliche Zustimmung abgeändert, niemals ist irgendwie versucht worden, dem Meister bei solchen Beratungen etwas aufzudrängen! Die heilige Ehrfurcht, mit welcher meine verehrten Freunde Schalk und Löwe jede von dem Meister niedergeschriebene Note oder Notiz betrachtet haben, hätte jede eigenwillige oder zudringliche, nicht autorisierte Änderung von Vorneherein unmöglich gemacht; und gerade diese religiöse Scheu vor Bruckners Größe und vor der Wichtigkeit jeder von ihm niedergeschriebenen Note hat meinen Freunden jenes tiefe Verständnis seiner Werke ermöglicht, ohne welches sie sicherlich  nicht für alle Zeiten die wahren Entdecker Bruckners hätten werden können, in jenen frühen Tagen, da Niemand das mindeste Verständnis für unseren großen Meister gehabt hat!
    Darum sind auch meiner Meinung nach die Brüder Schalk und Ferdinand Löwe die einzigen Menschen gewesen denen Bruckners tiefste Intentionen aus jahrelanger vertraut[er] gemeinsamer Zusammenarbeit genau bekannt waren, [so] daß ihre Auffassung von Bruckners Werken als die einzi[g/ge] authentische zu gelten hat! –––
    Eine andere von meinen persönlichen Erinnerungen betrifft [als Ergänzung darübergeschrieben: die Entstehung] eine/r Stelle aus Bruckners Achter Symphonie, [Seite 3:] an welcher der Meister damals gerade arbeitete. Wider Erwarten erschien er eines Abends sehr verspätet in unserer Runde im Gasthause. Wortlos und in sich gekehrt saß er da. Nach einiger Zeit des Schweigens zog er aus der Rocktasche einen ganz schmalen Streifen Notenpapier hervor und breitete ihn vor sich aus. Ich gewahrte die Bleistiftskizze zu einem Bläser-Satz der achten Symphonie, der in ein Thema von eigenartigem Rhythmus überleitete. Nachdem der Meister über diese Stelle einige Zeit gebrütet hatte, sagte er zu uns: "Kinder, da müßt [durchgestrichen: I[hr] ] ihr mir helfen, denn dieser Rhythmus gefällt mir noch nicht recht. Denkt doch einmal darüber nach," vielleicht findet ihr das richtige! Wir waren einigermaßen erstaunt, aber bald wendete sich das Gespräch anderen DIngen zu, und wir gingen auseinander, ohne daß Bruckner seine gute Laune wiedererlangt hätte. Als ich dann Josef Schalk nach Hause begleitete, meinte ich zu ihm besorgt, wir sollten uns doch bemühen, Bruckners Wunsch wegen des neuen Rhythmus zu entsprechen. _"Aber geh", erwiderte Schalk, "wie kannst du so blöd sein zu glauben, einer von uns vermöchte da etwas zu finden, oder Bruckner ließe sich von uns das mindeste dreinreden! Davon kann doch nicht die Rede sein. Wenn er uns um eine solche Sache befragt, oder unsere Mithilfe verlangt, so geschieht dies nur, weil er eine innere, ihm unerträgliche Spannung [Seite 4:] um jeden Preis loswerden will. Aber gerade diese Spannung ist es, die ihm bald die einzig richtige Lösung bringt.
    Eines dritten hier in Betracht kommenden Vorfalles habe ich schon in meinen 1923 erschienenen "Erinnerungen an Anton Bruckner" Erwähnung getan. Es handelte sich damals, im Jahre 1885 [zuerst geschrieben "1985"?], um den Abdruck von Bruckners vierstimmigen a-capella-Chor "Tantum ergo" [WAB 33] in der in Regensburg erscheinenden Zeitschrift "Musica sacra", welche damals von dem bekannten Musikgelehrten, dem Kanonikus Dr. Franz X. Witt herausgegeben wurde. [Darüber ergänzt: Dr.] Witt hatte nun eigenmächtig und ohne Bruckner befragt zu haben, an dem Schluß-Amen eine Note geändert. Darüber nun war Bruckner so erbost, daß er jeden Verkehr mit der "Musica sacra", den Regensburger Caecilianern und auch Dr. Witt ein für alle Male abbrach" (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 193604205, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-193604205
letzte Änderung: Mär 13, 2023, 17:17