zurück 31.7.1875, Samstag ID: 187507315

Besprechung der d-moll-Messe durch Eduard Schelle (mit Bemerkungen zur f-Moll-Messe, zu »Christus factus est« [WAB 10] und »Ave Maria« [WAB 6] [*a]) in der »Presse« Nr. 210 auf S. 1-3:
          "Moderne Kirchenmusik.
     Die Litanei über den Verfall der Musik ist fest ebenso alt wie diese Kunst selbst und wird aller Wahrscheinlichkeit so lange forttönen, als es eine Musik gibt.
[... ausführlich über Stellung, Bedeutung und Entwicklung der Kirchenmusik, Reformbestrebungen [Cäcilianismus] speziell in Frankreich ... Stückeauswahl nicht dem Schlendrian überlassen ...]
     Wir haben ohnehin in Wien Componisten - wir nennen nur Rotter - welche das Repertoire mit schätzenswerthen Beiträgen bereichert haben, und eine Messe von Bruckner, die wir erst jüngst in der Hofcapelle hörten, bezeugt ebenfalls, daß man nicht auf alte längst bewährte Sachen allein angewiesen ist.
     Die Messe gehört zu den älteren Werken des Herrn Bruckner, der seitdem als Orgelvituos einen weitgehenden Namen erworben und in der Composition, namentlich in der Symphonie, hervorragende Leistungen aufzuweisen hat. [... eher traditionsverhaftet, die f-Moll-Messe sei freier im Ton ...] Allerdings ist die spätere Messe des Herrn Bruckner eine weit imposantere, weil größere und kühnere Contouren entfaltende Composition als die hier gedachte, allein mit dieser hat doch jedenfalls der Künstler der Kirche ein willkommeneres Geschenk gemacht als mit jener. [... über die Musik, die Themenreminiszenz am Ende des Agnus ... "echt kirchlicher Glanz" ...] Auch die zwei Einlagen: ein achtstimmiges Graduale "Christus factus est" und ein siebenstimmiges Offertorium "Ave Maria", beide a capella geschrieben, sprechen ja vielleicht noch mehr als die Messe selbst für das eminente Talent und die kirchliche Empfindung des Componisten; sie sind edel und einfach im Ton gehalten und meisterhaft gesetzt.
     Wir haben hier auf dieses Werk des Herrn Bruckner, der bekanntlich in seinen Symphonien, und zwar mit Recht, zu der Fahne des Fortschritts schwört, absichtlich so Bedacht genommen, weil es den Beweis liefert, daß man in der Kirchenmusik nicht die Schranken der noch immer auf Grund der Tradition bisher geübten Stylweise zu durchbrechen braucht, um über die Schablone hinauszugelangen und etwas Selbständiges aufzustellen.        E. Schelle." (*).
 

Auf die morgige Kirchenmusik verweisen

das Fremdenblatt Nr. 210 auf S. 6:
     "[inhaltlich wie (***)] Hoforganist Professor Bruckner wird die Orgel spielen." (**)

und die Neue Freie Presse Nr. 3926 auf S. 5:
     " - In der k. k. Hofpfarrkirche St. Augustin wird um 11 Uhr Capellmeister Eder eine Festmesse von Franz Schubert, Graduale (Altsolo) und Offertorium (Sopran= und Violoncellsolo) vom Director Krall aufführen. Die Soli werden Fräulein Linka Hranitzky, Fräulein Oberneder und Violoncell=Concertist Hilpert vortragen. Hof=Organist Professor Bruckner wird die Orgel spielen." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187507315, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187507315
letzte Änderung: Jan 30, 2024, 10:10