zurück 21.1.1886, Donnerstag ID: 188601215

Fortsetzung von Helms Artikel [14.1.1886] über Bruckner im Leipziger Musikalischen Wochenblatt Nr. 4 auf S. 46 - 48:
           »Biographisches.
                Anton Bruckner.
                    
II.
                 (Fortsetzung.)
    Indem wir uns jetzt zu den Compositionen Bruckner's wenden, müssen wir vor Allem unser Bedauern aussprechen, kein vollständiges, bis ins Detail eingreifendes Bild des bedeutenden Künstlers geben zu können, da ja die meisten seiner Werke bis auf den heutigen Tag Manuscript geblieben sind, Vieles, im Arbeitspult des Componisten streng verschlossen, selbst seinen intimeren Freunden noch unbekannt ist. [... in Wien seien nun zwei Werke zu erwarten: die 7. Symphonie und "demnächst" [sic] das "Te deum" . .. derzeit Arbeit an der 8. Symphonie ... über das Quintett (mit Notenbeispielen) ... Auflistung weiterer Werke ... über Stileigentümlichkeiten: bizarr ausschweifende Phantasie, Modulationsfreude (mit Notenbeispielen: Beginn des Quintetts und Hauptthema der 5. Symphonie) ...] (in dem vorletzten Beispiel glaubt man wieder die Tonsprache Wagner's zu vernehmen; es ist, als lägen dieser herzinnigen Triolenmelodie als motivischer Keim die Worte Brünnhildens aus dem 3. Act der "Walküre": "War es so niedrig, was ich dir that?" zu Grunde.) - - 
           (Schluss folgt.)« (*).

Auf S. 53 folgen ein Bericht über die Aufführung des »Te deum« am 10.1.1886:
»Vermischte Mittheilungen und Notizen.
[...]
      * Bruckner's "Te Deum" hatte bei seiner 1. Aufführung mit Orchester, im dritten Gesellschaftsconcerte zu Wien, am 10. Januar, trotz ziemlich mangelhafter Wiedergabe einen grossartigen, unbestrittenen Erfolg. Selbst ausgesprochene Gegner Bruckner's waren begeistert und ermüdeten nicht, den Componisten immer von Neuem hervorzurufen. [... über Schütz, bei dessen Oratorium ebenfalls] die Leistungen des Chores und besonders der Solisten viel zu wünschen liessen [...]« [keine Signatur, wegen der Ähnlichkeit des Artikel vom 12.1.1886 (u.a. »viel zu wünschen ließen«) vermutlich von Theodor Helm],

und in der "Journalschau" ein Hinweis auf den Inhalt der "Leipziger Musik- und Kunstzeitung No. 1. Die Symphoniker der Neuzeit. I. A. Bruckner. (Mit Portrait.) [...]« (*a).

Die Linzer Zeitung übernimmt auf S. 75 den Artikel der Wiener Abendpost [Paumgartner am 14.1.1886], in dem Aufführungen des Quintetts [7.1.1886] und des »Te deum« [10.1.1886] besprochen werden:
»Linz, 20. Jänner.
   * (Ein Tedeum Bruckners.) Dr. Hans Paumgartner schreibt in der "Wiener Abendpost": Die ersten Tage des neuen Jahres gehörten unserem genialen Anton Bruckner. In dem dritten Hellmesberger'schen Quartettabende wurde das prächtige Bruckner'sche Quintett, welches bereits im verflossenen Jahre so durchschlagenden Erfolg errungen hatte, mit erneutem jubelnden Beifalle wiederholt, und im dritten Gesellschaftsconcerte kam Bruckners "Tedeum", welches bereits in einem Concerte des Wiener akademischen Wagner=Vereines mit Clavierbegleitung zu Gehör gebracht worden war, nunmehr zur ersten orchestralen Aufführung. In C-dur, grandios in den herben Quinten des Orchesters an Beethoven'schen Tongeist anklingend, hebt in felsenfestem Glauben der Gesang des Chores an. Mehrfach wechselt Soloquartett mit den Massen des Chores sinnreich ab. Der Schönheiten dieses wahrhaft erhabenen Werkes sind so viele, daß uns für eine erschöpfende musikalische Analyse desselben hier kaum Platz bleibt. Von ganz besonders ergreifender Wirkung erschien uns bei der Aufführung die Stelle im dritten Absatze: "Tu devicto mortis aculeo aperuisti credentibus regna coelorum", in welcher über den brütenden Chormassen eine herrliche Melodie der Oboe so verheißungsvoll emporschwebt. Eine Machtfülle von Kraft und hoher Empfindung thronen in diesem wahrhaft genialen Werke. Hat Bruckner mit seinem Streichquintette sich einen bleibenden ersten Platz in der Kammermusik errungen (wer wird je wieder nach ihm ein so seliges Adagio in Tönen dichten?), so hat er sich mit seinem "Tedeum" würdig neben Bach und Beethoven gestellt. Denn von solch einem Geiste ist auch in das Bruckner'sche Werk lebendig=kräftig eingeströmt. Der Erfolg des Tedeum war ein ungewöhnlich stürmischer und jubelnder, das Publicum wurde nicht müde, den genialen Oberösterreicher mit dem mächtigen Charakterkopfe und dem Wesen voll Treuherzigkeit und Gemüthsinnigkeit immer und immer wieder zu rufen. Hans Richter hat mit ganzer Liebe sich dem Werke hingegeben, und Chor, Orchester und Soloquartett (die Damen Ulrich=Linde und Zips und die Herren Erxleben und Graf) thaten ihr Bestes zu Ehren Bruckners.« (**).

Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 5 bringt auf S. 24f eine Rezension zum »Te deum« [10.1.1886] und teilt mit, daß bei Th. Rättig ein von Josef Schalk bearbeiteter Klavierauszug erschienen ist:
»Concerte.
[... über Konzerte in Wien ...] Das dritte Concert der Gesellschaft der Musikfreunde [... gut besucht ... schlechte Wahl der Solisten bei Schütz ...] würdig beschlossen mit Anton Bruckner's "Te Deum", für Soli, Chor und Orchester [... wahrhaft großartiges Werk ... ] Das Ganze ist ein Meisterwerk allerersten Ranges, voll Leben, Geist und Kraft und reich an origineller Erfindung [...] In Verlag ist Bruckner's "Te Deum" bei Th. Rättig in Wien erschienen und der uns vorliegende, saubere, 36 Seiten umfassende Clavierauszug mit Text, bearbeitet von Jos. Schalk (Preis 4 Mark), wird gewiß allen strebsamen Gesangvereinen für gemischten Chor eine erwünschte Novität sein. [... Ankündigung von Berlioz' »Fausts Verdammung« ...] [signiert:] G. K.« (***).

Gustav Dömpke nutzt seine Besprechung der Vierten Symphonie von Brahms in der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 2118 auf S. 1 - 3 dazu, die kompositorische Kompetenz der Neudeutschen Schule zu bezweifeln:
"Die E-moll-Symphonie von Johannes Brahms.
     Zwei Dinge auf dieser Welt sind sehr schwer: einmal, sich einen Ruhm zu gründen, sodann, ihn sich zu erhalten. [... Brahms' Beziehung zu seinen Vorgängern ... Knappheit der Motivbildung schon in Beethovens 5. Sinfonie; deren Thema] ist für sich ein solches Nichts, daß Beethoven es mit Seelenruhe, fast mit Schadenfreude seinem ärgsten Feinde oder Nebenbuhler hätte überlassen können. Das Motiv, mit welchem die neue Symphonie von Brahms (Nr. 4, E-moll) anhebt, ist gar noch kürzer; es besteht nur aus zwei Noten. Man sollte sie heimlich, allenfalls mit dem auftactigen Rhythmus Franz Liszt, Anton Bruckner oder ähnlichen Original=Genies in die Hände spielen, um zu erleben, was sie daraus machen würden. [... ausführlich über die einzelnen Sätze, geringe Vorbehalte gegen das Finale ..] Allein er hat mit dieser ganz neuen Combination doch ein Problem aufgestellt, über welches erst die Zukunft zu entscheiden berufen ist.      G. Dömpke." (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188601215, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188601215
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 13:13