zurück 29.3.1893, Mittwoch ID: 189303295

Brief von Lothar Fleischanderl an Hans Puchstein:
     Der Neue Richard-Wagner-Verein plane für den 12.4.1893 die Aufführung des Brucknerschen Quintetts und zweier Sätze einer Beethoven-Sonate. Chamberlain werde seine Vortragsreihe über Wagner fortsetzen. Puchstein sei herzlich dazu eingeladen; vielleicht werde auch Bruckner kommen (*).

Bruckner trifft in St. Florian ein. Im Gästebuch ist verzeichnet "Dr A. Bruckner", "P. 5" [Wohnung im Prälatengang Nr. 5] und die Anzahl der Mahlzeiten mit "7" angegeben. Im Fremdenbuch ist notiert "Prof. Dr. Bruckner (7 m.)". Der Abreisetag [der 1.4.1893] ist nicht angegeben (**).
Kitzler will Bruckner in Wien besuchen, trifft ihn aber nicht an, da dieser bereits [wann genau?] nach St. Florian abgereist ist (**a).

Die Linzer Zeitung teilt auf S. 379 mit, daß Theodor Helm am 23.3.1893 über die Generalprobe der f-Moll-Messe am selben Tag geschrieben habe. Am 25.3.1893 habe Robert Hirschfeld in der »Presse« über die Aufführung (am 24.3.1893 [recte: 23.3.]) selbst berichtet:
„        Theater= und Kunstnachrichten.
     
Ueber Anton Bruckners F-moll=Messe lesen wir in der „Deutschen Zeitung“ vom 23. d. einen Bericht Theodor Helms: „Heute abends (½7 bis ½9) fand im großen Musikvereinssaale unter Professor Schalks Leitung die Generalprobe der Aufführung von Bruckners F-moll=Messe statt. Der Ausfall der Probe, der Eifer und die Begeisterung aller Mitwirkenden, berechtigte zu den schönsten Erwartungen bezüglich der morgen (Donnerstag) zu empfangenden hehren und tief ergreifenden Kunsteindrücke. Ist es für Wien schon an und für sich ein Kunstereignis zu nennen, daß überhaupt eine Bruckner’sche Messe zum erstenmale vollständig im Concertsaale zur Aufführung kommt, so steigert sich die Bedeutung dieses Ereignisses noch wesentlich durch die getroffene Wahl. Denn gerade Bruckners F-moll=Messe gehört ja zu seinen herrlichsten Schöpfungen. Reich an den zartesten und kühnsten, den innigsten und großartigsten Stellen, uns in die tiefsten Geheimnisse religiös-musikalischer Mystik einführend, dann wieder in überirdische Regionen erhebnd, wird das gewaltige Werk von keiner kirchlichen Composition der Gegenwart überragt. Ein dreifaches glänzendstes Zeugnis seiner Genialität, seiner Meisterschaft, seiner flammenden Glaubenskraft hat sich unser Bruckner in dieser Messe selbst geschrieben – für die Ewigkeit! Möge sich daher kein wahrer Kunstfreund morgen den großen Eindruck entgehen lassen!“
     Ueber die Aufführung selbst schreibt Dr. Robert Hirschfeld in der „Presse“ vom 25. d. u. a.: „Das Streben des akademischen Wagner=Vereines in den internen Abenden unter der umsichtigen und sicheren Führung seines Dirigenten Joseph Schalk gilt hauptsächlich den modernen Meistern. Mit einer vortrefflichen Aufführung der F-moll=Messe von Anton Bruckner im großen Musikvereinssaale trat der Verein über den Kreis seiner Mitglieder und Gäste hinaus. Eine andächtig gestimmte Hörerschaft füllte den ganzen Raum. Der Vereinschor war entsprechend verstärkt. Mit dem Strauß'schen Orchester, das ebenfalls vermehrt wurde, machte der Verein einen neuen Versuch, der glückte. . . . Die F-moll=Messe ist ein grandioses Werk, echt kirchlich, aus einem frommen, gottergebenen Geiste geschöpft, dem gleichwol auch die modernen Ausdrucksmittel für heilige Empfindungen dienstbar sind. Kirchlich ist die Messe, weil sie in der Stimmung an den Gemeinsinn der Gläubigen rührt, selbst bei verwickelter Structur die Deutlichkeit des Textes bewahrt und trotz aller Größe und Tiefe der Anlage ein gewisses Maß der Ausdehnung nicht überschreitet. Nach dem ersten Hören wird es schwer, den Gedanken der Messe im Einzelnen würdigend nachzugehen. Die gewaltige Fuge des Gloria sei bemerkt; die Festigkeit und Glaubensstärke in dem Motiv des mächtigen Credo; es ist mit Geist und Kraft erfaßt. Die geheimnisvollen Klänge bei den ‚sichtbaren und unsichtbaren Dingen‘; das Tenorsolo des ‚Incarnatus est", die Mystik bei ‚Homo factus est", das grandiose ‚Vitam venturi saeculi" m
it dem eingefügten Credo=Choral – damit sind die Schönheiten nicht erschöpft. Das Nachspiel des Orchesters zu den Worten ‚Qui locutus est" spricht wirklich sanft und eindringlich wie aus dem Munde Erleuchteter zu uns. Das Benedictus zähle ich mit seiner innigen, tiefempfundenen Melodik zu den schönsten und ergreifendsten Offenbarungen modernen Kirchengeistes. Diese Musik strömt direct aus dem Gefühle ins Gefühl über. Ein Interludium zu dem Benedictus hat Kammervirtuos Labor auf der Orgel mit der ihm eigenen Vollkunst und Zartheit der Empfindung, die Motive aus der Messe holend, zu tiefinnerlicher Wirkung gebracht. Dem Benedictus gleichwertig war die a capella=Einlage, das Graduale ‚Locus iste", vom Vereinschor mit Wärme und im Stile gesungen. Aus dem Orchester der Messe spricht die Eigenart des großen Symphonikers. Glanz und Fülle. . . . Eine Stimmführung, welche häufig die chormäßigen Grenzen durchbricht, das Abreißen herrlicher Gedanken, die man fortgeführt wünschte, die ausgreifenden Freiheiten, welche Bruckners Art sind, finden wir in der F-moll=Messe wie in seinen anderen großen Chorwerken. Auch die Soli sind, wie Bruckner dies liebt, häufig ohne eigentliche innere Nothwendigkeit nur so in die Messe geworfen; sie wurden von Gustav Walter, der bei hervorragend künstlerischer That nie fehlen mag, von den Damen Chotek und Wiedermann sehr rühmlich ausgeführt.“ “ (***).

Das Wiener Tagblatt Nr. 87 bringt auf S. 4 eine mit »R. Hr.« [Richard Heuberger] signierte Kritik der f-Moll-Messe:
"           Konzerte.
     
Der Akademische Wagner=Verein hat wieder eine Bruckner=Schlacht geschlagen, indem er unter Herrn J Schalk’s Leitung des greisen Komponisten Große Messe in F-moll aufführte. Ob Sieg oder Niederlage ist bei Bruckner=Konzerten um so schwerer zu sagen als seitens der engeren Gemeinde von vornhinein ausgemacht ist, daß nach jedem Satze der berühmte minutenlange Applaus stattfindet, der erst mit der üblichen Vorzeigung des Komponisten endet. Unseres Erachtens ist dieser nach schönen, wie nach unschönen Stücken des Meisters in gleicher Intensität losbrechende Jubel in erster Linie ein Zeichen dafür, daß diese als Parteisachen angesehen werden, bei denen in jedem Falle unbedingte, gedankenlose Gefolgschaft zu leisten ist. Allerdings muß man zugeben, daß die Gleichmäßigkeit des Beifalls in einer gewissen Relation zu dem Inhalt der Bruckner’schen Werke steht. Wer der einen seiner Kompositionen rückhaltlos zujubelt, kann auch jeder anderen zujubeln. Dieselben Vorzüge, dieselben Mängel sind allen eigen. Die am 23. März gehörte Messe macht keine Ausnahme. Dieselben genialen Züge und kühnen Einfälle, dieselben Eigensinnigkeiten und Schrullen, derselbe Abgang höherer, künstlerischer Dispositionskunst wie überall[.] Gleich das Kyrie, das eine Menge rührender Details, eine Anzahl kecker Eingebungen – wir erinnern an die originellen, das ganze harmonische Gebäude gleichsam erschütternden Kontrabaßtriller – enthält, befremdet durch übergroße Länge und das anscheinend zufällige Auftauchen mehrerer dynamischer Höhepunkte. Sehr schön im Ausdruck sind die expositionsartigen Einsätze auf die Worte miserere nobis im Gloria, das sich der Hauptsache nach von dem üblichen „Prälatenstyle“ nur wenig entfernt ; höchst effektvoll ist die Schlußfuge des Gloria, die aus einem stolz einherschreitenden einfachen Thema entwickelt wird. – Das Graduale (Einlage), ein nicht bedeutender, aber wohlklingender a capella-Satz, erinnert an einer Stelle auffallend an etliche Takte des Priesterchores aus der „Zauberflöte“: „O Isis und Osiris“. – Im Credo erlahmt die Erfindung bedenklich, wenngleich sich auch da schöne Einzelnheiten geltend machen, so zum Beispiel das von Herrn Walter ergreifend vorgetragene Et incarnatus. – Weitaus das bedeutendste Stück der Messe, überhaupt einer der besten Sätze, die Bruckner je hervorgebracht, ist das herrliche Benedictus, das, nur ein einzigesmal durch einen trockenen Zwischensatz unterbrochen, vom Anfang bis zum Ende in breitem Strome dahinfließt. Nicht auf derselben Höhe hält sich das darauffolgende Agnus Dei; in der Erfindung oftmals an „Parsifal“ erinnernd, gewinnt es erst gegen Schluß, nachdem es nochmal flüchtig das Thema der Gloria=Fuge aufgegriffen, an Interesse und klingt dann weich und friedlich aus. – Die Aufführung unter Professor Schalk darf man nur nach Maßgabe der “vorhandenen Kräfte“ beurtheilen. Das Orchester war aus der ziemlich verstärkten Kapelle Ed. Strauß’ gebildet und konnte sonach nicht den mitunter hochgespannten Anforderungen Bruckner’s entsprechen. Namentlich die Bläser ließen Manches zu wünschen übrig. Von den Solisten ist in erster Linie Herr Walter zu nennen, dann die Damen Chotek und Wiedermann, die ihre zuweilen recht schwierigen Partien befriedigend wiedergaben. Der Bassist Herr Hugel hat nur für seine nächsten Nachbarn gesungen. Recht tapfer hielt sich der von Herrn Schalk, dem besten Kenner Bruckner’scher Werke, tüchtig eingeübte Vereinschor. R. Hr.“ (°).

Aufführung des Quintett-Adagios beim Mitgliederabend des Wagner-Vereins in Brünn (°°). Anwesend sind: Theodor Knaute (Verfasser eines Prologs) [?], O. Rupp, Richard Wickenhaußer, Alfred Eder, Pacher und [?] Dr. Staeven (°°°).

Das Neue Wiener Tagblatt Nr. 87 berichtet auf S. 4 von der Ausstellungseröffnung am 28.3.1893 [mit Erwähnung der Bruckner-Büste IKO 55]:
"     * (Die Eröffnung der Kunstausstellung.) Unseren gestrigen Bericht über die Eröffnung der Jahresausstellung im Künstlerhause durch den Kaiser haben wir mit dem Antritt des Rundganges durch die Ausstellungssäle abgebrochen. Der Kaiser betrat zuerst, von Edmund v. Hofmann geführt, den der Plastik gewidmeten Säulenraum und sprach sich hier sehr befriedigt über Vogl's Entwurf zum Raimund=Denkmal, Weyr's Relief und die Bruckner=Büste Tilgner's aus. [...] – Es war nach 1 Uhr, als der Kaiser das Haus verließ. Er sagte beim Abschied, die Ausstellung sei reichhaltig und sehr schön; er habe heute einen Totaleindruck gewonnen und er wolle noch mehrere Male kommen, um die Details zu sehen." (#).

Der Pester Lloyd Nr. 75 schildert auf S. 3 dieses Ereignis mit mehr Details:
"      Wien, 28. März. (Orig.=Telegr.) Heute um 11 Uhr Vormittags wurde die Jahresausstellung im Künstlerhause durch den Kaiser eröffnet. Zum Empfange des Monarchen hatten sich eingefunden Erzherzog Karl Ludwig, Großherzog Ferdinand von Toscana, Herzog August Cumberland, Obersthofmeister Fürst Hohenlohe, Oberstkämmerer Graf Trauttmansdorff, die Minister Baron Gautsch und Graf Falkenhayn, Statthalter Graf Kielmannsegg, Graf Neipperg, Fürst Metternich, Sektionschef Wittek, Freiherr v. Chlumecky, Hofrath Werstermayer u. A. Um 11 Uhr erschien der Kaiser und wurde vom Vorstande der Künstlergenossenschaft, Professor v. Trenkwald, mit einer kurzen Ansprache begrüßt, [...] Zunächst wurde die Abtheilung der plastischen Werke besichtigt, wo der Bildhauer Professor Hoffmann [Edmund Hofmann] den Cicerone machte. [... Professor Benk, Bildhauer Vogl ...] Der Monarch besichtigte sodann Tilgner's Büsten und fand die von Bruckner und Direktor Jahn sehr ähnlich. Bei Professor Wagner's Marmorrelief [... über weitere Kunstwerke und die Reaktionen des Kaisers ... Ende nach 1 Uhr ...] Der Monarch freute sich darüber, daß die österreichischen Künstler größere Fortschritte machen und mit so tüchtigen Leistungen in der Ausstellung vertreten sind." (##).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189303295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189303295
letzte Änderung: Jan 16, 2024, 10:10