Besprechung der f-moll-Messe durch Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 7632 auf S. 1f:
" Bruckner's F-moll-Messe.
Auf zwei Gebieten musikalischer Kunst überragt unser Bruckner durch die hinreißende Gewalt seiner Tonsprache alle lebenden Mitstrebenden: auf dem Gebiete der Symphonie und jenem der katholischen Kirchencomposition. Während nun aber über den Symphoniker Bruckner die Meinungen noch vielfach auseinandergehen, da gerade hier der Unvorbereitete dem hohen Gedankenfluge des Meisters nicht immer zu folgen vermag, manchen schon die überaus kühne Erweiterung und Umgestaltung der Form verwirrt, herrscht über seine kirchlichen Werke, in welchen das heilige Wort und der Ritus der gerne in ungemessene Räume dringenden überreichen Phantasie des Tondichters gewisse Schranken setzen und dadurch auch dem Hörer festen Anhalt gewähren, Alles klar zu überblicken, wohl nur eine Stimme der Bewunderung. Welche Begeisterung hat nicht nur bei uns, in dem kunstfrohen, leicht entzündlichen Wien, sondern auch in dem skeptisch kühlen Berlin, ja in dem vor lauter Geschäftsgeist noch nüchterner gewordenen Nordamerika (Musikfest in Cincinnati!) Bruckner's "Tedeum" erregt! [...]
Da auch der Dirigent der Gesellschaftsconcerte Herr Gericke der sensationellen Aufführung beiwohnte und die Wirkung der F-Moll=Messe im Concertsaale erproben konnte, dürfte er vielleicht die hochmögenden Herren vom Musikverein veranlassen, in der nächsten Saison an Bruckner eine Ehrenschuld abzuzahlen, die eigentlich schon längst fällig gewesen. [... Besprechung der einzelnen Sätze (nach zweimaligen Hören, ohne Partitur) ... Vergleich zu Beethovens Missa solemnis ... eigens erwähnt wird die Amen-Fuge des Gloria ... das Credo] gehört wohl zu dem Bedeutendsten, was die Kirchenmusik des Jahrhunderts aufzuweisen hat. [... Lob für das von Duesberg gespielte Violinsolo ...über das Resurrexit ...] Eine Stelle, von deren hinreißender, schier zauberhafter Wirkung die Feder keine Vorstellung zu geben vermag. Jedenfalls ist nie in Tönen großartiger, dramatisch packender das Wunder der Auferstehung geschildert worden.
[... zwischen Gloria und Credo das "Locus iste" als Einlage (bereits am 8.11.1888 beim Wagner-Verein aufgeführt) ... Sanctus und Benedictus] wurden neulich durch ein wunderseliges Zwischenspiel der Orgel auseinandergehalten, zu welchem der Vortragende, Meister Labor, der sich bei dieser Gelegenheit selbst übertraf, die Motive sinnigst Bruckner's Messe selbst entnommen hatte. [... über das Agnus dei ... Empfindung, dass nur] ein intimstes Herzensbedürfniß diese Musik schreiben konnte. Und so ist es auch: Bruckner hat uns in seiner F-Moll=Messe nicht nur ein außerordentliches Kunstwerk, sondern auch ein ergreifendes Stück seiner eigenen Lebensgeschichte gegeben.
Haben wir es doch aus dem Munde des Meisters selbst, daß, bevor er diese Messe schrieb – [... über die Krise 1867/68 und die Befreiung durch die Komposition der Messe ... über das Benedictus-Zitat im Adagio der 2. Symphonie ...] Braucht es eines weiteren Beweises, daß unser Bruckner stets nur als ein wahrer Tondichter, aus innerstem Bedürfniß und unwiderstehlichem Drang componire?
Theodor Helm." (*).
" – Ein Wunsch, den die Neue Freie Presse bereits am 29. Juni 1872 geäußert, hat durch die Aufführung der Bruckner'schen Messe in F-moll endlich seine Erfüllung gefunden. In der Nummer des erwähnten Tages brachte das Blatt folgende Notiz [diese als wörtliches Zitat etwas eingerückt]:
[Bruckner's neue Messe.] Am verflossenen Sonntag kam in der Augustinerkirche eine hier noch nicht gehörte neue Messe in F-dur (Sic! – soll richtig heißen F-moll) von dem als Orgelvirtuosen rühmlichst bekannten k. k. Hoforganisten und Professor am Conservatorium Anton Bruckner zur Aufführung. Die Composition erregte unter den Musikfreunden Aufsehen durch ihre kunstvolle Contrapunktik und Fugenarbeit, wie durch einzelne ergreifende eigenthümliche Schönheiten. Nicht nur durch ihre großen Dimensionen und schwierige Ausführbarkeit, auch durch Stil und Auffassung verräth sie als ihr Vorbild die Beethoven'sche "Missa solemnis", nebenbei auch starke Einflüsse R. Wagner's. Es wäre interessant, wenn Bruckner's neue Messe ganz oder doch theilweise in einer guten Concertaufführung zu Gehör gebracht und dadurch einem größeren Publicum bekannt würde."
Nun findet diese Concertaufführung statt, und ein widriges Geschick verwehrt es dem Musikkritiker der Neuen Freien Presse, derselben beizuwohnen. Von Professor Hanslik, dessen sachlichen Urtheils ein Theil der musikalischen Welt von Wien mit Spannung harrte, war weit und breit nichts zu sehen: er beehrte das künstlerische Ereigniß nicht mit seiner Gegenwart. Vielleicht hielt er eine kritische Würdigung des gigantischen Tonwerkes deßhalb für inopportun, weil er das nicht wiederholen wollte, was vor mehr als zwei Jahrzehnten schon in seinem Blatte gestanden." (*a).
" Wiener Musikbrief.
Von Richard Heuberger.
* Wenn Rubinstein als Componist reist, so reist er gleichsam incognito. [.. sehr kritisch über "Das verlorene Paradies" ... weitere Konzerte ...]. Auch von ein paar Novitäten kann ich berichten. Der Männergesangverein vermittelte uns die Bekanntschaft eines hübschen Manuscript=Chores von C. Goldmark, der "Akademische" diejenige eines aus dem Jahre 1843 stammenden Chores von A. Bruckner. Das Stück war wohl einst für den Kirchendienst geschrieben worden und den jetzigen Text – er ist "Tafellied" überschrieben – hat wohl ein Spaßvogel dazu gedichtet. Der äußert unbedeutenden Musik steckt der Landschulmeister in allen Gliedern und die "Dichtung" spricht von "Licht in holden Augen", von Herzen, die der Schönheit Strahl "saugen", und von ähnlichen schönen Dingen. Der brave Dorfpädagoge hat den "Bakel" in die Ecke gelehnt, nimmt das Glas, das ihm der Hr. Pfarrer gnädig hinreicht, stößt mit dem "Herrn" an der Tafel an und spricht statt "Prosit" sein gewohnheitsmäßiges "Kyrie eleison". – Bedeutender als die lebenden sind ein paar dahingegangene Meister in der Neuheitsliste vertreten. [... zuletzt über eine sorgfältige Beethoven-Handschrift ... sie] zeigt, daß dieser aus Rücksicht auf einen Freund gelegentlich auch seiner gefürchteten Handschrift, in welcher sich sonst die ganze Unbändigkeit seines Naturells abspiegelte, einigen Zwang auferlegen konnte." (°).
Anwesend sind u. a. Erzherzog Karl Ludwig, Großherzog Ferdinand von Toscana, Herzog August Cumberland, Obersthofmeister Fürst Hohenlohe, Oberstkämmerer Graf Trauttmansdorff, die Minister Baron Gautsch und Graf Falkenhayn, Statthalter Graf Kielmannsegg, Graf Neipperg, Fürst Metternich, Sektionschef Wittek, Freiherr v. Chlumecky, Hofrath Werstermayer, Professor v. Trenkwald, Bildhauer Professor Hoffmann [Edmund Hofmann], Professor Benk und Bildhauer Vogl (°°a).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189303285, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189303285letzte Änderung: Dez 23, 2024, 8:08