zurück April 1893 ID: 189304005

Die Österreichische Musik- und Theaterzeitung V, Doppelnummer 13/14, berichtet auf S. 4 in einem Artikel von Luigi von Kunits von der Aufführung der f-Moll-Messe [am 23.3.1893]:
   "F-moll-Messe von Anton Bruckner.
   (Aufführung vom 23. März 1893 im grossen Musikvereins-Saal.)
   Waren wir schon seit der Aufführung des „Te Deum” der Ansicht, dass Bruckner's Genius am siegreichsten in der Darstellung des Religiösen sei, durch seine F-moll-Messe sind wir darin bestärkt worden. Es ist - bei der schroffen Sonderung der Anhänger und Gegner - äusserst schwierig, Bruckner gegenüber einen objectiven Standpunkt zu gewinnen. Nach einer Richtung hin könnten sich aber diesmal beide Theile verstehen. Bei einer Symphonie nämlich müssen wir uns entschieden gegen eine Beurtheilung verwahren, die nicht von dem rein musikalischen Gehalt des Werkes ausgeht; bei einem zu Grunde liegenden Text jedoch hat die Interpretation ihre volle Berechtigung.
   Die heiligen Worte der Messe poetisch zu erfassen und zu verklären durch ein Festgewand von Klängen, - gibt es einen höheren, einen würdigeren Vorwurf für den schaffenden Künstler? - Ein Beten in Tönen!! - - -  [... kurz über die Vertonungen von Schubert, J. S. Bach, Haydn und Mozart ...]
   Der Grundcharakter von Bruckner's Messe scheint uns das weihevolle Selbstgefühl des Gottergebenen zu sein, die Freuden göttlicher Gnade, bisweilen gehemmt durch den schmerzlichen Anblick irdischer Trostlosigkeit. Bedeutungsvoll hebt das Kyrie an mit einem sanft absteigenden, diatonischen Thema. [...] Das Gloria ist glanzvoll und feurig: kein Gesang der Hirten, sondern ein Jubel der Völker, die sich um die Fahne des Welterlösers scharen. Der ganze Zauber von Bruckner's Instrumentationskunst ist darüber hingegossen, und mit einer grossartigen Steigerung (qui tolllis) schliesst der Satz. - Das nun folgende Graduale, die „Einlage”, konnte uns jedoch weniger begeistern. Ein a capella-Satz mit unschöner Stimmführung, dabei fortwährend auffallende Reminiscenzen an den Pilgerchor aus Tannhäuser. - Gross angelegt ist wieder das Credo. Nur hatten wir den Eindruck, dass Bruckner seinem Ideal hier nicht mehr so nahe gekommen sei wie im Kyrie und Gloria. Das „Et incarnatus”, sonst gewöhnlich die schönste Stelle in jeder Messe, verklang wirkungslos. (Wenn nicht vielleicht unser Verdacht sich bewahrheiten sollte, dass die Aufführenden hier merklich auseinander gerathen sind.) - Grandios malt Bruckner die Auferstehung (et resurrexit); das ist ein hinreissender, übergewaltiger Aufschwung, wie ihn nur das echte Genie finden kann.
   Die Perle der Messe aber ist das Präludium vor dem Benedictus, von Labor wundervoll vorgetragen. Das rührend einfache Thema des Benedictus wird hier anticipirt und harmonisch und contrapunktisch gestaltet. Hier muss sich jede Kritik in rückhaltslose Bewunderung verkehren. Desto störender wirkt der gewaltsam modulirende, abgerissene Schluss des Benedictus. Mit dieser einzigen Ausnahme findet sich sonst in der ganzen Messe keine jener bizarren Schrullen, an denen Bruckner's Symphonien so reich sind, sondern Alles ist massvoll gehalten. - Würdig schliesst das Agnus die Messe ab, ein edler Ausklang des grossen Werkes.
  Das Publicum bewahrte eine ruhige, feierliche Stimmung. Selbst die „Partei” hielt sich diesmal von ihren gewöhnlichen Wuthanfällen zurück.
  Was die Aufführung selbst, welche Herr Josef Schalk dirigirte, betrifft, so muss leider bekannt werden, dass sie eine möglichst schlechte war. Wie der Componist bei den wiederholten Hervorrufen es über sich brachte, nach seiner Gepflogenheit auch diesmal den Ausführenden zu applaudiren, begreifen wir nicht. Er müsste sich denn, wie wir, gedacht haben: „Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas.”
      Luigi von Kunits." (*).

Dieselbe Heftnummer bringt in ihrer Beilage auf S. 14 wieder das Inserat des Verlages Joh. Gross zur d-Moll-Messe:
"Anton Bruckner.
         soeben erschien:
    Messe in D für Chor, Soli und Orchester.
Partitur
.............. netto M. 20.-
Orchesterstimmen .......... netto M. 25.-
Singstimmen (á M. 1.25) ......... M. 5.-
(Clavier-Auszug mit Text, bearbeitet von Ferd. Loewe,
    für M. 5.- netto, unter der Presse.)
Verlag von Joh. Gross in Innsbruck."
[außerdem ein Inserat über den Verlag der Kompositionen von Carlo Nero [= Carl von Oberleithner] (**).

Datierung (4/893) in einer Skizze zu »Helgoland« (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189304005, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189304005
letzte Änderung: Okt 02, 2023, 9:09