zurück 30.4.1893, Sonntag ID: 189304305

Der Alpen-Bote Nr. 35 berichtet auf S. 4 von Aufführungen Brucknerscher Werke: d-Moll-Messe in Steyr [2.4.1893], 4. Symphonie in Troppau [19.4.1893] und Brünn [21.4.1893], d-Moll-Messe und »Te deum« in Hamburg [31.3.1893]. Das »Te deum« sei unter Hans Richters Leitung in Birmingham geplant.
"     (Aufführung Bruckner'scher Werke.) Die "Deutsche Zeitung" schreibt unterm 27. d. M.; "Von allen Seiten meldet man uns höchst erfolgreiche Aufführungen Bruckner'scher Meisterwerke, die kürzlich stattgefunden. Am Ostersonntag führte Chorregent Bayer in Steyr die herrliche D=Messe (einer der vom hiesigen Wagner=Verein vorgeführten F-moll=Messe an Bedeutung kaum nachstehende echt kirchliche Tondichtung, in Druck erschienen bei J. Groß in Innsbruck) in einer Vollkommenheit auf, welche mit Bezug auf die große Schwierigkeit des Werkes und die musikalischen Verhältnisse der oberösterreichischen Landstadt allgemein als staunenswert bezeichnet wird. Freilich hatte aber auch der treffliche Dirigent nicht weniger als 26 Proben an diese im schönsten Sinne sensationelle Aufführung gewendet. In Troppau und Brünn brachte man mit stürmischem Beifall Bruckners vierte "romantische" Symphonie in Es-dur heraus, wohl sein volksthümlichst gewordenes derartiges Werk, in Hamburg führte Capellmeister Mahler nicht minder erfolgreich die D=Messe und das Tedeum auf. Eine großartige Aufführung des Tedeum in stärkster, glänzender Besetzung plant Hans Richter für das nächste Musikfest in Birmingham." " (*).
 
Ähnlich schreibt auch die Linzer Tages-Post Nr. 99 auf S. 6:
"     Von allen Seiten werden höchst erfolgreiche Aufführungen Bruckner'scher Meisterwerke, die kürzlich stattgefunden, gemeldet. Am Ostersonntag führte bekanntlich Chorregent Bayer in Steyr die herrliche D=Messe auf. In Troppau und Brünn brachte man mit stürmischem Beifalle Bruckners vierte "romantische" Symphonie in Es-Dur heraus, wohl sein volksthümlichst gewordenes derartiges Werk, in Hamburg führte Kapellmeister Mahler nicht minder erfolgreich die D=Messe und das Tedeum auf. Ein großartige Aufführung des Tedeum in stärkster, glänzender Besetzung plant Hans Richter für das nächste Musikfest in Birmingham." (*a).

Die Linzer Zeitung berichtet auf S. 515, auf Speidels Artikel im Fremdenblatt [23.4.1893] zurückgreifend, von der Aufführung der f-Moll-Messe am 23.3.1893:
„    * (Bruckners Messe in F-moll.) Ueber die Aufführung dieser Messe von Bruckner schreibt Ludwig Speidel im Wiener „Fremden=Blatt“ [23.4.1893]: Das bedeutendste Ereignis in der zweiten Hälfte der ablaufenden Saison ist die Aufführung von Anton Bruckners großer Messe in F-moll gewesen. Die Entstehung dieses Werkes geht in die Jahre 1867 bis 1868, also noch in die Linzer Zeit des Componisten zurück. Der Organist von St. Florian hat es geschrieben. Bruckner ist in der Kirche emporgekommen, und wie er auch in seinen Symphonien über sie hinausgewachsen ist, etwas von ihr, und wäre es auch nur ein leiser Weihrauchgeruch, ist an ihm hängen geblieben. Der Sohn der Kirche und der Schüler des conservativsten Musikers ist der freieste und unbändigste Tonsetzer geworden. Gegen ihn ist Liszt zahm gewesen, und mit ihm verglichen gehört Wagner zu den Zurückgebliebenen. Nur in der Kirchenmusik fühlt er noch gewisse Schranken, die alte Mutter hält ihn mit ihren Armen zurück. In der F-moll=Messe ist Bruckners persönlicher Freiheitsdrang, wenn er auch manchmal überzuschäumen droht, mit den Forderungen der Kirche in ein zwar stets schwankendes, aber doch immer zum Mittelpunkt zurückkehrendes Gleichgewicht gesetzt. Es ist ein freies Werk, das doch wieder im Innersten gebunden ist. Bruckner schließt sich dem Meßtexte mit Innigkeit, man möchte sagen mit dem tiefsten Glauben an. Die Freiheit, die er sich nimmt, ist nur die, in seiner eigensten Weise zu glauben, das heißt als phantasievoller Mensch, als Künstler zu glauben. Er legt das Dogma künstlerisch aus, und zwar als moderner Künstler, der nicht den Alten nachbetet, wenn er auch ihre überlieferten Formen, allerdings mit dem Vorbehalt, sie nach seiner Art umzubilden, wieder aufnimmt. So geht ein canonischer , ein imitatorischer Zug durch die ganze Messe, der aber von den freiesten Formen, wie sie der neueren Zeit angemessen sind, unterbrochen wird. Das Orchester spielt nicht bloß die Rolle des Verstärkers und Begleiters der Singstimmen, es hat vielmehr Eigenes und Eigenthümliches zu sagen, das der menschlichen Stimme auszudrücken versagt ist. Gleich der erste Satz ist ein mächtig aufgeführtes musikalisches Gebäude. Es ist wesentlich aus den beiden Motiven Kyrie eleison und Christe eleison gebildet, die einander charakteristisch gegenüberstehen und sich in einem erweiterten und vertieften Motive schwungvoll vereinigen. Die innige Bitte um Erbarmen, die sich an den Vater wendet, wird dem Sohne gegenüber dringender – man beachte nur den fast fordernden Octavenruf, der durch die verschiedenen Stimmen geht; dann entspinnt sich ein wahres Kampfgebet, wie es einst Jakob, als er mit dem Engel rang, gebetet hat: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Dies steht zwar nicht in dem Meßtexte, aber es kann aus ihm herausgelesen werden, und das ist es, was wir vorhin die künstlerische Auslegung genannt haben. Neben vielen anderen Schönheiten muthet uns namentlich das herrliche Stimmengewebe an, in das das Schlußwort Amen eingefangen ist. Im Credo ist das Moment des Glaubens mit besonderer Zuversichtlichkeit betont, und in der Schilderung der Passion und des jüngsten Gerichts feiert die Erfindungskraft des Componisten ihre schönsten Triumphe. Hier erreicht die Messe ihren Höhepunkt, aber man geht abwärts, wie von einem Gipfel eines Berges, durch Wälder und über grüne Wiesen. Manche meinen wohl, die Bruckner’sche Messe sei zu gedehnt; ja gedehnt, sagen wir, wie ein Adler, der seine Schwingen ausbreitet . . . Die Aufführung der Messe hat Joseph Schalk gut dirigiert, und das Orchester von Eduard Strauß, das mitwirkte, zeigte sich der nicht leichten Aufgabe bestens gewachsen.“ (**).

Im Feuilleton des Neuigkeits-Weltblatts Nr. 99 wird auf S. 13 die Bruckner-Büste Tilgners [IKO 55] erwähnt:
"Die XXII. Jahres-Ausstellung im Künstlerhause.
                        (Schluß.)
     [... Gemälde, Architektur, Plastik ...] In den Portraitbüsten dominirt, was Lebendigkeit des Ausdruckes, Charakteristik und malerisches Arrangement betrifft, Viktor Tilgner. Die Büste Makart's, die prachtvollen Portraits von Bruckner, Preyer und Jahn sind vorzügliche Zeugnisse dieses Künstlers. [... andere Plastiken, Kaiserpreis für Arthur Strasser ...]
     Daß dieses Werk des Kaiserpreises würdig gefunden wurde und ihn auch erhielt, das versöhnt mit manchen Ungerechtigkeiten, die – auf großen Ausstellungen vorkommen sollen.             Xaver von Gayrsperg." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189304305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189304305
letzte Änderung: Nov 06, 2023, 12:12