zurück 12.10.1893, Donnerstag ID: 189310125

Besprechung von »Helgoland« durch Robert Hirschfeld in der »Presse« Nr. 282 auf S. 1f:
»                              Musik.
                        [... Übersicht ...]
     "In Arkadien ist er geboren, der Männergesang=Verein Wiens!" . . . Das Festconcert in der Winterreitschule setzte zu diesem dithyrambischen Ausbruch der Teuber'schen Festschrift ein Ausrufzeichen. [... "Phöbus Apollon", "Leonidas" ...] Einem Lobgesang auf eine altassyrische Gottheit sind wir also nur durch Zufall entronnen. Anton Bruckner's Wetterchor erzählte, wie "hoch auf der Nordsee, am fernesten Rand" die Römer im Ansturme auf Helgoland zerschmettert wurden. [... über das Programm (ohne Volkslied), Virtuosität "an gleichgiltigem Inhalte" gezeigt, ohne Bewusstsein der Vereinsgeschichte ...]
     [...] Unter den modernen Sturm- und Drangchören des Konzertes stand Bruckners „Helgoland” am höchsten. Die Wucht der Feuermotive, welche sich zum Schlusse mächtig ineinanderstemmen, die Kühnheit der Conception, die meisterlich zwingende Behandlung des Bläserchors, die in flammender Gluth aufschießenden Blitzklänge, welche aus dem erregten Orchester wettern, verrathen die immer lebensfreudige Jugendkraft des greisen Tonsetzters. Aber der Chor bricht rücksichtslos wie ein Instrumentalkörper aus den Schranken des vokalen Styles, aus den Grenzen der Möglichkeit. Ueber wilde, brandende Harmonien und Stimmensprünge spannt der erste Tenor, wiederholt ins H und immer knapp darunter sich festsetzend, seine Foltertöne. Das ist mehr Kraftprobe als Kunstwerk. An den Klippen dieses fürchterlichen Tonsatzes zerschellt der Gesang. Ist das die Zukunft des Männergesanges, dann hat er keine.
     Milder wirkt Gernsheim mit seinem Apollo=Hymnus und Max Bruch mit seinem "Leonidas" – aber wie langweilig! Tönender Schwulst, eine Dehnen und Strecken ohne Ende. [... die Mitwirkenden gaben] das Beste – und doch war Ermüdung und Erschlaffung der Hörer das Ergebniß.
     [... großes Lob für die "Meistersinger" unter Hans Richter (mit Szenenapplaus) ...] Rob. Hirschfeld.« (*a).

Vom Jubiläumskonzert am 8.10.1893 berichten auch der Alpen-Bote Nr. 82 auf S. 3:
"                 Verschiedenes.
(Das 50jährige Jubikläum des Wiener Männergesangvereines)
hat am Freitag begonnen. [...] Der Glanzpunkt der Jubiläumsfeier war das Festconcert am 8. d. M. in der Winterreitschule der Hofburg, also im Hause des Kaisers. [...] Von A. Bruckner wurde ein neuer herrlicher Chor "Helgoland" aufgeführt. Hierüber bemerkt die Montags-Revue" [9.10.1893]: Die bedeutendste Novität des Concertes, welche geniale Conception und großartigste Wirkung vereinte, war aber Bruckners "Helgoland". Die Wiener Abendpost [9.10.1893] schreibt: "Aus diesen drei Werken ragt hoch der Brucknersche Chor heraus. Es ist eine mächtige dramatische Gestaltungskraft, eine große Kunst, zu stimmen und zu steigern in diesem Werke, so daß der überwältigende Eindruck desselben auf das Publicum – dasselbe rief mit stürmischem Beifalle wiederholt den Componisten hervor – wohl zu begreifen ist." " (*b),

das Deutsche Volksblatt Nr. 1717 auf S. 1f:
»  Nachklänge zum Jubelfest des Männergesangvereins.
     Verbraust ist der Jubel, dessen der mit Recht verwöhnte Wiener Männergesangverein ja im Vorhinein sicher sein konnte; [... Rückblick (37 Werke vorbereitet!) ... Schubert (bravo für das Pianissimo), Schumann, Herbeck, Kremser ...]
     Größere Anforderungen an Chor und Orchester stellten die umfangreichen Widmungen von Gernsheim, Bruch und Bruckner. [... die beiden ersten nicht hinreißend  (inhaltslos) ...]
     Anders verhält es sich mit Bruckner's "Helgoland", einer Composition, welche nicht nur alle die anderen Festwidmungen überragt, sondern infolge seiner Eigenart und gigantischen Anlage in der Chorliteratur kaum seinesgleichen finden dürfte. Nirgends stoßen wir hier auf musikalische Herkömmlichkeiten. Bruckner spricht seine eigene Tonsprache und das trägt eben nicht wenig zu seiner Größe bei. Gleich der gewaltige Beginn mit dem Dreiklang ohne Terz, verweist auf seinen bekannten charakteristischen Stil, den wir weiter in der Fülle neuer Harmonien und Verknüpfung von Motiven, in nachschlagenden Achteln, zahlreichen Generalpausen u. s. w. wiederfinden. [... Beispiele zur Gestaltung einzelner Textstellen und Schilderung des musikalischen Ablaufes ...] – Bruckner hat den Singstimmen in seinem neuen Chor in Bezug auf Intonation, Umfang und Ausdauer Aufgaben gestellt, denen nur ganz hervorragende Vereine gewachsen sind.Glücklicherweise finden sich doch noch solche, von denen wir hoffen, daß sie sich bald "Helgolands" annehmen werden. Die Ueberwältigung besonderer Schwierigkeiten stählt ja nicht nur die Kräfte, sondern wird auch zugleich zur Quelle neuer Anregungen. Wie uns mehrfach versichert wurde, ging der Männergesangverein mit Liebe und Begeisterung an das Studium des Chorwerkes von Bruckner. Die Aufführung selbst war denn auch eine vorzügliche und schon deshalb, wie auch behufs genauerer Erkenntnis der Composition würde uns eine baldige Wiederholung sehr erfreuen. Dann wäre vielleicht eine maßvollere Orchesterbegleitung am Platze, denn diesmal fochten die Sänger einen verzweifelten Kampf mit den Bläsern. – Partitur und Stimmen von "Helgoland" sind im Verlage der bekannten Wiener Firma Ludwig Doblinger erschienen. Der Clavierauszug stammt von Cyrill Hynais, einem sehr begabten Schüler Bruckner's.
     [... Lob für Wagners Pilgerchor, kurz zum Commers ...].
                                                    Camillo Horn.« (*c)

und die Steyrer Zeitung Nr. 82 auf S. 3:
"                 Localnachrichten.
      Steyr, 12. October 1893
[...]
     Aus Wien wird uns zum 50jährigen Jubiläum des Wiener Männer=Gesangvereines noch berichtet, daß der Empfang am Samstag in den Prachträumen des Rathauses großartig ausfiel, und bei demselben die Deputationen der Gesangvereine "Liedertafel" und "Kränzchen" aus Stadt Steyr mit noch mehreren aus Oberösterreich gemeinsam dem Bürgermeister Dr. Prix vorgestellt wurden. [... Festkonzert ... anwesende Prominenz ]. Von den vorgetragenen Nummern gefiel in hervorragender Weise der dem jubilirenden Vereine gewidmete Chor unseres Landsmannes Dr. Anton Bruckner, "Helgoland", eine überaus mächtige Composition mit großartiger Instrumentirung, welche Tondichtung auszuführen überhaupt nur einem Wiener Männer=Gesang=Vereine im Vereine mit dem k. k. Hofopern=Orchester möglich ist. Der von seiner Krankheit wieder hergestellte Componist wurde mehrmals stürmisch gerufen. – [... über den Festcommers ... Erinnerung an den Besuch des WMGV 1884 in Steyr - Wiederholung? ...]. Die Stadt Steyr würde gewiß diesem weltberühmte Vereine herzlichste Aufnahme gewähren." [keine Signatur] (*d).

Brief von Minna Reischl an Bruckner:
     Sie hoffe, im Lauf der Zeit die Einwilligung der Eltern [zur Verheiratung] zu erhalten. Im heutigen Konzert der [Altheimer] Liedertafel werde sie Schuberts »Wanderer« singen. Auch das »Tantum ergo« [prov. WAB 48] habe sie schon studiert. Letzten Sonntag habe sie das Altsolo in einem Offertorium von Clotilde Kainerstorfer gesungen (**).

Telegramm Levis an Bruckner [Vorgedrucktes in Spitzklammern]:
»<TELEGRAMM No> 2992 <an> doctor bruckner heszgasse 7 wien = 
[Stempel links: »Berlin-42 [/] 12/10 1893«]
<Text.> v [recte »w« (= Wien)?] de berlin 329 24 1 30 = 
soeben drei stunden dritte sinfGonie probirt . sonntag vormittag 
generalprobe , montag auffuehrung . kommen sie doch !
herzlichen grusz = levi hotel bellevue * » (***).

Die Deutsche Zeitung Nr. 7828 gibt auf S. 2 bekannt, daß in den Musikabenden des Wiener Akademischen Wagner-Vereins das Quintett Ende Dezember 1893 [28.12.1893?] und die Mittelsätze der 5. Symphonie in einer Fassung für zwei Klaviere Ende März 1894 aufgeführt werden [inhaltlich identisch mit (°°)] (°).

Eine ähnliche Programmvorschau erscheint auch in der »Presse« Nr. 282 auf S. 11:
"     – Der Wiener akademische Wagner=Verein, Zweigverein des Allgemeinen Richard Wagner=Vereins, veranstaltet wie in früheren Jahren unter Mitwirkung erster Kunstkräfte und des Vereinschores für seine Mitglieder und für geladene Gäste während des Winterhalbjahres 1893/94 vier interne Musik=Abende im kleinen Musikvereinssaale (Abends halb 8 Uhr).
     Als Programme sind in Aussicht genommen: [...]. – Zweiter (vierter) Abend: Ende December. 1. [... Gluck, Weber, Hugo Wolf ...] 4. Bruckner, Quintett. 5. Wagner, Wanderer=Scenen aus "Siegfried". [... 3. Abend ...] Vierter (zweiter) Abend: Ende März. 1. [... Haydn, Mozart, Schubert, Berlioz ...] 5. Bruckner, Adagio und Scherzo der fünften Symphonie (B-dur) für zwei Claviere. 6. Wagner, Ueberleitungsmusik und Chöre aus dem ersten Acte "Parsifal".
     Die Uebungen des Vereinschores finden unter Leitung des Herrn Josef Schalk an jedem Donnerstag, Abends von 7 bis gegen 9 Uhr, im Vereinslocale (1. Bezirk, Musikvereinsrestautation, Canovasaal) statt. [... Organisatorisches ...]" (°°).

Überblick über die Philharmonischen Konzerte 1893/94 in der Österreichischen Volkszeitung Nr. 282 auf S. 7; demnach ist die 2. Symphonie vorgesehen:
"     – In den Philharmonischen Konzerten gelangen folgende Werke zur Aufführung: [... Beethoven, Berlioz, Brahms ...]; Bruckner: Symphonie Nr. 2 (1. Aufführung in den Philharmonischen Konzerten); [... Cherubini bis Weber ...]. Die weitere Bekanntgabe von Novitäten sowie die der mitwirkenden Künstler folgt demnächst." (°°°).

Das Dresdner Journal Nr. 238 kündigt auf S. 1638f die Aufführung des Adagios der 7. Symphonie [am 9.2.1894 unter Nicodé] an:
"     Orchesterabende. Für die vier Orchesterabende, welche Hr. Jean Louis Nicodé mit dem Chemnitzer Städtischen Orchester am 4. Dezember, 10. Januar, 9. Februar und 16. März im großen Saale des Gewerbehauses veranstalten wird, ist folgendes Programm aufgestellt: [...] Im dritten Konzert eine Symphonie von G. Sgambati als weitere Neuheit – [...] –, ferner ebenfalls zum ersten Male hierorts vorgeführt, das Adagio aus der siebenten Symphonie (E-dur) von Anton Bruckner (diese Symphonie ist die bedeutendste und in anderen Musikzentren auch am meisten beachtete des Wiener Tonsetzers; speziell ihr langsamer Satz enthält, obwohl gleich den anderen voller Ursprünglichkeit und Formenreife entbehrend und namentlich aus der Götterdämmerung und der Neunten Symphonie schöpfend, großartige Tonkombinationen und ist vor allem durch den hinreißenden Schwung des Vortrags ausgezeichnet) und die Freischütz=Ouverture von C. M. v. Weber. Im vierten Konzert [...]. Wir machen unser musikliebendes Publikum nochmals mit allem Nachdruck auf diese Veranstaltungen aufmerksam; sie werden voraussichtlich neben den Konzerten der Königl. Kapelle Glanzpunkte im dieswinterlichen Konzertleben Dresdens bilden. [... Karten ...]" (#).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189310125, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189310125
letzte Änderung: Dez 29, 2023, 14:14