zurück 11.1.1894, Donnerstag ID: 189401115

Abends Wohltätigkeitskonzert in der Singakademie in Anwesenheit der Kaiserin mit Werken von Berlioz, Liszt - Klaviersolistin: Martha Remmert - (*), und Bruckner (»Te deum«) (**) -
Solisten: Elise Leutheusser, Ottilie Fellwock, Georg Ritter, B. Lurgenstein (Gesang) und als Organist Reimann (**a).
Die Leitung des »Te deum« hatte Ochs wegen Erkrankung abgeben müssen (***).
    [Ersatzweise könnte F. Mannstaedt, der die übrigen Orchesterwerke leitete (°), eingesprungen sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass August Scharrers glaubwürdigem Bericht zufolge Karl Muck nicht als Zuhörer dem Konzert beiwohnte, sondern als Ersatzdirigent beim »Te deum«].

[Vermutlich 11.1.1894] August Scharrer beobachtet Bruckners Verhalten auf dem Podium und seine devote Gesten in Richtung kaiserliche Loge (Kaiserin Augusta Viktoria). Er und Muck begleiten Bruckner ins Hotel Kaiserhof, bleiben aber nicht länger beisammen (°°).

Brief Hugo Wolfs an Emil Kauffmann: Über den Verlauf des Konzerts vom 8.1.1894 [Bruckner wird nicht erwähnt] (°°°).

[Aufführung des Quintetts? Siehe 10.1.].

Der Steyrer Alpen-Bote Nr. 3 berichtet auf S. 4 von Bruckners Erfolgen in Berlin:
"          Verschiedenes.
(Bruckner in Berlin.)
Aus Berlin wird berichtet: Im Concert der Philharmonie am 8. d. M. bereitete das musikalische Berlin dem Wiener Componisten Anton Bruckner demonstrative Ovationen. Eine wahre Begeisterung rief Bruckner's Tedeum hervor, das in glänzendster Besetzung unter Mitwirkung des niederländischen Trios unter Leitung von Siegfried Ochs vollendet wiedergegeben wurde. Begrüßt von jubelnden Zurufen des Publicums und der 300 Mitwirkenden, empfangen vom philharmonischen Orchester durch brausenden Tusch mußte Bruckner wiederholt auf dem Posdum erscheinen, woselbst er außerdem durch Ueberreichung eines mit österreichischen Farben geschmückten Kranzes geehrt wurde." (#).

Die Linzer Tages-Post Nr. 7 erwähnt auf S. 6 die Aufführungen der 7. Symphonie am 6.1.1894 und des »Te deum« am 8.1.1894:
"     Aus Berlin, 9. d. M., wird gemeldet: Im Opernhause gelangte Samstag Bruckners "Siebte Symphonie" zur ersten [sic] Aufführung. Das Publicum applaudierte stürmisch und der greise Componist musste auf der Bühne erscheinen, worauf auch das Orchester in den Applaus einstimmte. Montag wurde unter Director Siegfried Ochs' ausgezeichneter Leitung das "Tedeum" Bruckners mit einem Erfolge aufgeführt, der jeder Beschreibung spottet. Abgesehen von dem großartigen Jubel erhielt Bruckner auch einen mächtigen Lorbeerkranz." (##).

Die Linzer Zeitung berichtet auf S. 33 von der Berliner Aufführung des »Te deum«:
„     * (Anton Bruckners Tedeum.) Im zweiten Concerte des unter Leitung des Herrn Siegfried Ochs stehenden Philharmonischen Chors wurde in Berlin am Sonntag u. a. auch Bruckners Tedeum aufgeführt. Der Referent des „Berliner Börsen=Couriers“ schreibt: „ Das Bruckner’sche Tedeum ist hier vor zwei [sic] Jahren bei Gelegenheit des Tonkünstler=Musikfestes bereits zur Aufführung gekommen. Es wirkte diesmal wie früher durch die machtvolle Kraft der großen Begeisterung, mit der der Componist sich den Text zu eigen machte, besonders in den Chorstellen. Von der Größe der Auffassung oder von dem Schwunge der Phantasie, der Bruckner eigen ist, bekommt man in diesem Tedeum den deutlichsten Begriff. Das sehr zahlreich erschienene Publicum zeigte sich sehr dankbar. Den Löwenantheil an Beifall trug Herr Bruckner davon. Er mußte unter dem Jubel der Anwesenden auf das Podium, die Damen luden ihm einen großen Lorbeerkranz auf, und das Orchester brachte ihm einen Tusch.“ “ (###).

Das Feuilleton im Deutschen Volksblatt Nr. 1804 auf S. 1f bringt Kurzkritiken zu den Wiener Aufführungen des Quintetts [am 28.12.1893] und des »Vexilla regis« [am 22.12.1893]:
»                Aus dem Concertsaale.
     Auch sie ist verflossen, die freudenbringende, segenspendende Weihnachtszeit! [... über weihnachtliche Musikliteratur ... Konzert des Wagner-Vereins (Solisten: Oberhauser, Frl. Leschky) ...] Das Quartett Hellmesberger, dem sich noch Herr Stecher anschloß, stellte sich wieder einmal in den Dienst des genialen Meisters Bruckner; nur fanden wir, daß des Letzteren berühmtes Streichquintett diesmal nicht in dem Maße vollendet ausgeführt wurde, als es sonst geschah; die erste Violine ließ es an energischer Führung fehlen, die Viola gefiel sich öfter in koketter Aufdringlichkeit u. s. w.; doch ungeachtet dessen zollten die Anwesenden jedem einzelnen Satze, vor Allem aber denm Adagio als dem bedeutendsten Theile wahre Stürme des Beifalles. Geboten wurde diesmal mehr als genügend, bei minder zahlreichen Gaben hätten diese vielleicht ausgefeilter sein können.
     Ein recht anregendes Concert war auch jenes der Wiener Singakademie unter der strammen Leitung des Herrn Prof. Grädener. Von den Chorvorträgen, die mit Bruckner's "Vexilla regis" stimmungsvoll, aber nicht immer in reiner Stimmung eröffnet wurden, nennen wir [... Weckbecker, Albert Hermann, Mandyczewski, Brahms, Heuberger, Seling, Hugo Wolf ... Frl. Leschky, Frl. Baumayer, Svoboda, Syrinek, Wipperich, Thaten ... über weitere Konzerte ...].
                       Camillo Horn.« (a).

Auf S. 7 steht ein Bericht über Bruckners Berlin-Aufenthalt:
"               Anton Bruckner in Berlin.
     Meister Bruckner, der gegenwärtig in Berlin weilt, um daselbst der Aufführung seiner Werke beizuwohnen, ist daselbst Gegenstand großartiger Ovationen. Das Publikum jubelt ihn zu und die Blätter besprechen in spaltenlangen Berichten die zur Aufführung gelangten Werke. So lesen wir in der "Täglichen Rundschau": Wir stehen im Zeichen Anton Bruckner's, dessen Stern endlich auch über den Berliner Concertsälen aufzuleuchten beginnt und hoffentlich recht lange unseren nordischen Musikhimmel mit seinem warmen Glanze verschönen wird. Im sechsten, vom Capellmeister Dr. Carl Muck vortrefflich geleiteten Symphonie=Abend der königlichrn Capelle kam des Wiener Tondichters E-dur-Symphonie mit dem wärmsten, herzlichsten Beifall zur Aufführung, und Montag, den 8. d. M., erregte das vom Philharmonischen Chor unter Leitung von Siegfried Ochs prächtig vorgetragene, empfindungsgewaltige Tedeum einen wahren Sturm der Begeisterung. Hier wie dort mußte der greise Künstler – Anton Bruckner ist am 4. September 1824 geboren – auf dem Podium erscheinen, um persönlich die Huldigung alter und neuer Verehrer entgegenzunehmen. Eine überreiche, lebenstrotzende musikalische Naturkraft tritt mit Anton Bruckner in den Kreis unseres Musiklebens. Möge sie durch die Ursprünglichkeit und Tiefe ihrer Empfindung, durch die reine Naivetät und blühende sinnliche Schönheit ihrer Erscheinung belebend auf das Schaffen und Nachschaffen unserer Tonkunst wirken! Die beiden mit so großem Erfolge aufgeführten Werke entstammen der nämlichen Zeit. Die Symphonie wurde in den Jahren 1883–84, das Te deum im Jahre 1884 niedergeschrieben, sie sind also Schöpfungen eines sechzigjährigen Mannes, was ihrer Kraft und Frische wohl kein Hörer angemerkt hat. Nachdem Hofcapellmeister Levi in München zuerst den neuen unbekannten Symphoniker auf den Schild gehoben, versuchte Klindworth, ihm auch in Berlin die gebührende Achtung zu verschaffen. Leider blieb sein redliches Bemühen ohne Erfolg, und erst seit der ebenfalls durch Siegfried Ochs ermöglichten Aufführung des Te deum, bei der Tonkünstler=Versammlung des Jahres 1891, ist die Brucknerfrage für Berlin eine brennende geworden. Die Aufführungen vom 6. und 8. Januar 1893 [sic] haben sie der Lösung entgegengeführt: Bruckner's Name ist jetztmit unverlöschlichen Zügen in die Geshichte der Berlinischen Musikwesens eingezeichnet. Das bedeutendste der beiden Werke ist sicherlich die E-dur-Symphonie. Sie ist die siebente und vorletzte, die Bruckner geschaffen und darf als sein "Meisterwerk" im eigentlichen Sinne gelten. Häufigere Aufführungen des umfangreichen und schwierigen Werkes werden dies erweisen und namentlich auch das Verständnis für die in freierem Stile gestalteten und deshalb schwerer zu erfassenden beiden Außensätze erschließen.Ein Tongedicht von so überirdischer Schönheit und Weihe wie das große (20 Minuten dauernde!) Adagio, ein symphonischer Satz von so fester Gedrungenheit wie das Scherzo mußten natürlich schon beim erstenmale "einschlagen". Die Aufführung der Symphonie durch die königl. Capelle war eine mustergiltige und wir können nur wünschen, daß Herr Dr. Muck, der damit sein Meisterstück als Concertdirigent geliefert hat, sie bald wiederholen möge." (b).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189401115, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189401115
letzte Änderung: Feb 28, 2024, 15:15