zurück 2.9.1894, Sonntag ID: 189409025

Artikel über Bruckner von Albert Kauders im Neuen Wiener Journal Nr. 309 auf S. 6f:
"                Dr. Anton Bruckner.
    (Zu seinem siebzigsten Geburtstage.)
     Selten findet die Gegenwart oder – richtiger gesagt – die Zeitgenossenschaft den richtigen Maßstab für die Beurtheilung eines großen Künstlers, zumal wenn dieser die bequemen eingefahrenen Geleise verläßt und auf eigenem Pfade der Höhe des Parnasses zustrebt. [... Scheingrößen werden vergöttert (Liszt: "Mundus vult Schundus") ... Nachwelt  korrigiert Fehlurteile ... fast ein Gesetz:] Der Künstler sterbe, um unsterblich zu werden!
     Der Anlaß, welcher zu vorstehenden Betrachtungen anregte, ist der bevorstehende siebzigste Geburtstag eines großen vaterländischen Tonkünstlers: Anton Bruckner. [... bitteres Unrecht einiger Kritiker, gedankenloses Modepublikum ...später: jämmerliche Rolle in der Kunstgeschichte (wie auch die übermäßige Bruckner-Schwärmerei, deren überschießender Enthusiasmus aber menschlicher erscheint) ...]
     Ein so alter Mann und ein so junger Ruhm! Die Kunstgeschichte bietet kein ähnliches Beispiel. [... Lexikon 1882: Fehlanzeige, nicht aber bei Max Bruch und Ignaz Brüll ...] Er ist ein Greis geworden und ein Kind geblieben, naiv in seinen Empfindungen, arglos und geradeaus in seinem Denken, frommgläubig in seinem Herzen, ungeschminkt in seinem Wesen und unverdorben in seinen Wünschen. [... im Inneren eine andere Welt ...] Wenn man die künstlerische Individualität Bruckner's seiner menschlichen gegenüberhält, so gelangt man zu unerhörten Contrasten. Dieser schlichte, bescheidene Mann ist als Musiker der kühnste Neuerer, der vor keinem Wagniß zurückscheut und stets auf neue musikalische Kampfmittel sinnt, um trotzigen Titanenmuths den Olymp zu stürmen. Er, der im Leben vor lauter Schüchternheit kaum einen geregelten Satz zu stammeln weiß, überrascht als Symphoniker durch wunderbare Ausdrucksfähigkeit, durch die blühendste thematische Eloquenz; sein bäurisch=demüthiges Gehaben, seine ärmliche Simplicität wandeln sich in seinem Kunstwirken in das stricte Gegentheil, stolzer schreitet kein Cäsar zum Siege, als Bruckner, wenn er die Sturmcolonnen seiner Themen gegeneinander führt, und verschwenderisch, wie ein Krösus, streut er die blendende Pracht seiner Instrumentation darein. Man muß an einen Gott glauben, der diesem Manne im Busen wohnt, um eine Erkläörung dieser Widersprüche zu finden.
     Ein zukünftiger Biograph Bruckner's wird in dem so wenig bewegten Lebenslaufe des Meisters geringesMateriale für wechselvolle Schilderungen finden. [... zur Biographie ("Ausfelden" [sic], Windhag, 1855 Linz, Sechter-Studium, Hofkapelle 1867 [sic], 1875 Lektor, im Wagner-Verein neue Freunde, aber dadurch "gewichtigere Feindschaften", im Konzertsaal entstand "Bruckner-Rummel" ...].
     Bisher hatte Bruckner, sowohl als vervehmter wie als vergötterter Musiker, doch nur locale Bedeutung. [... mit 7. Symphonie in München 1885 beginnt sein Ruhm, eindrucksvolle 8. Symphonie, in Musikausstellung (1892) mit 3. und 4. Symphonie zunehmend populär, 1891 Ehrendoktorat ...] Voraussichtlich wird auch der kommende Dienstag, an welchem unser wackerer Meister sein siebzigstes Lebensjahr vollendet, ihm mancherlei Freuden und Ehrungen bringen. Möge er in einem sorgenlosen Alter, anerkannt und bewundert, noch lange Jahre die Früchte seiner großen, eigenartigen Kunst genießen!
                      Albert Kauders." (*)
 
In der gleichen Nummer wird auf S. 11 Bruckners »Vaterländisches Weinlied« [WAB 91] mit einem vermutlich von Wilhelm Wiesberg stammenden neuen Text abgedruckt:
"[links:] (Als Manuscript gedruckt.)
 [rechts:] (Aufführungsrecht vorbehalten.)
                         Wiener Volksmusik.
                          Eine Wein-Legende.
[links:] Worte von Bibamus.
[rechts:] Musik von Doctor Anton Bruckner.
     [... es folgt (mit einigen falsch gesetzten Vorzeichen, vor allem im dritt- und zweitletzten Takt) der Notentext für vierstimmigen Männerchor ohne Textunterlegung ... darunter die fünf Strophen ... Strophe 1:]
Als Kaiser Probus lobesam
Und seine Schaar der Krieger
In Vindobonas Mauern kam,
Da dürstete die Sieger:
     "Imperator!
     Gib zu trinken,
     denn wir sinken
     Um vor Durst!" (Rep.)
                          [... Strophen 2 bis 4 ... Strophe 5:]
Seit damals pilgert Alt und Jung
In heller Sonnenleuchte
Zur Höhe und zur Niederung,
Daß sich die Kehle feuchte:
     Bis sie klinget,
     Lieder bringet
     Und besinget
     Uns'ren Wein! (Rep.)" (**).
 
Auf S. 5 war auf diese Beilage hingewiesen worden:
"     (Unsere Volksmusik.) Ein stolzer Name ziert heute unsere Volksmusikseite. Anton Bruckner, der gefeierte Symphoniker und Kirchencomponist, erscheint mit einem kraft= und klangvollen Chorliede, das den zahlreichen Gesangsvereinen und Verehrern Bruckner's eine hochwillkommene Gabe sein wird. Dem Chorlied, das wir mit Bewilligung der Verlagsfirma Emil Berté u. Comp. veröffentlichen, ist ein frischer fröhlicher Text unterlegt – eine gesungene Weinlegende; Meister Bruckner ist ja bekanntlich selbst Freund eines edlen vaterländischen Tropfens." (**a).
 
Die Linzer Zeitung bringt auf S. 891f einen biographischen Artikel über Bruckner, signiert "V. K." [Victor Kerbler?}:
„           Anton Bruckner.
     
Es ist selten einem deutschen Componisten leicht geworden, sich vor der Mitwelt Geltung zu verschaffen, und der Weg zu künstlerischem Ruhm war für die meisten ein dornenvoller. Unser Anton Bruckner hat in seiner künstlerischen Laufbahn von dieser Regel keine Ausnahme gemacht, und wenn es ihm in einem Punkte besser ergangen ist als so vielen seiner Vorgänger, so war es wohl nur der, daß er die rückhaltlose Anerkennung aller vorurtheilslos Denkenden, zwar spät genug, doch noch erlebt hat. Nicht nur die intimeren Freunde des Meisters, sondern die musikalische Welt nimmt heute mit Freuden jeden Anlaß wahr, um dem gefeierten Symphoniker ebenso begeisterte wie aufrichtige Huldigungen darzubringen, und Gott sein Dank, es gab in den letzten Jahren nicht selten solche Anlässe. Am 4. September d. J. feiert der noch immer schaffensfreudige Componist seinen siebenzigsten Geburtstag, und wir zweifeln nicht daran, daß man es aus diesem Anlasse nicht bei Beglückwünschungen, Festartikeln und sonstigen Ovationen bewenden lassen, sondern überall dort, wo die Möglichkeit vorhanden ist, noch in diesem Jahre daran gehen wird, den Meister in seinen Werken, durch eine sorgsam vorbereitete Aufführung von solchen, zu feiern. Wir genügen nur unserer publicistischen Pflicht, wenn wir bei der sich darbietenden Gelegenheit unsere Leser mit einigen biographischen Daten über den gefeierten vaterländischen Componisten vertraut machen.
     Anton Bruckner wurde am 4. September 1824 zu Ansfelden bei Linz als Sohn des dortigen Schullehrers geboren. Von seinem Vater mit den nöthigen Vorkenntnissen ausgestattet, kam Bruckner als Sängerknabe in das Stift St. Florian. Die Art und Weise, wie dort Musik gepflegt wurde, war sicher von wesentlichem Einflusse für die Entwicklung der musikalischen Anlagen des jugendlichen Sängers, der in St. Florian insbesondere auch Gelegenheit fand, sich im Orgelspiel zu vervollkommen. Im Jahre 1840 absolvirte Bruckner den einjährigen Präparandencurs in Linz und fand in der Folge Verwendung als Schulgehilfe in Windhaag und Kronstorf, bis er im Jahre 1851 als Stiftsorganist nach St. Florian kam. Vier Jahre später erhielt Bruckner die erledigte Domorganisten=Stelle in Linz, nachdem er in einem Probespiel seine Ueberlegenheit über seine Mitbewerber bethätigt hatte
     Die Zeit seines Linzer Aufenthaltes benützte Bruckner zu eifrigen theoretischen Studien, denen er unter der Leitung Simon Sechters oblag. Seine Wirksamkeit als Chormeister der Liedertafel „Frohsinn“ in Linz ist bei der hiesigen älteren Generation noch im besten Andenken. Mit seinem „Germanenzug“, einem prächtigen Männerchor von edler, kräftiger Haltung, erzielte Bruckner beim oberösterreichischen Sängerfeste im Jahre 1862 [sic] einen seiner ersten Erfolge als Componist. Das Jahr 1864 brachte die erste Messe und die erste Symphonie. Von der ersten Aufführung der Messe im Dome zu Linz erklärte Bischof Rudigier, ein aufrichtiger Verehrer Bruckners, daß diese Musik ihn ungemein ergriffen habe. Die zweite große Messe in E mit Begleitung von Blasinstrumenten componierte Bruckner zur Einweihung der Votivkapelle des neuen Domes in Linz, und kam dieselbe bei diesem Anlasse am 29. September 1869 zur ersten Aufführung. Es zeugt von dem künstlerischen Ernst, von welchem nicht nur der Componist, sondern auch alle übrigen Mitwirkenden beseelt waren, daß zum Studium des großartig angelegten Werkes 28 Proben abgehalten werden konnten.
     Im Jahre 1861 war Bruckner bei Ablegung der Musikprüfung Johann Herbeck näher getreten. Dieser feinsinnige und liebenswürdigste aller Musiker erkannte sofort die mehr als gewöhnliche Begabung Bruckners, und auf den Einfluß Herbecks dürfte es zurückzuführen sein, daß ersterer im Jahre 1868 einen Ruf nach Wien als Professor am Conservatorium und Hoforganist erhielt, dem er auch Folge leistete. Später wurde Bruckner auch Lector an der Wiener Universität.
     In die ersten Jahre seines Wiener Aufenthaltes fallen auch Bruckners Triumphe als Meister des Orgelspieles, insbesondere bei den großen Productionen in Nancy, Paris und London, die ihn [sic] als Organisten einen Weltruf verschaften [sic]. Wir in Linz haben oft Gelegenheit gehabt, seinem stets fesselnden Orgelspiel zu lauschen und seine nie versagende Gestaltungskraft zu bewundern. Insbesondere in seinen Postludien war Bruckner schier unerschöpflich in interessantesten Wendungen, und es schien, als ob das Bewußtsein, nun bald abschließen zu müssen, seine Phantasie in noch raschere Thätigkeit versetzte. Kam ihm nun gar etwa aus dem Schlußsatze der Messe ein zur contrapunktischen Behandlung geeignetes Thema in die Hände, wie z. B. erst vor wenigen Jahren aus einer einfachen Führer’schen Sonntagsmesse, so konnte es wohl geschehen, dass längst der letzte Alumnuds seinen Auszug gehalten hatte, während Bruckner für sein Thema noch eine Steigerung in petto hatte, die noch verwertet werden mußte.
     Mit der zunehmenden Compositionsthätigkeit Bruckners nahm dessen Thätigkeit als Organist ab; die Erinnerung an dieselbe wird insbesondere in Oberösterreich noch lange fortleben. Mit welchen Schwierigkeiten Bruckner als Componist zu kämpfen hatte, nicht etwa, um sich Geltung, sondern nur um sich Gehör zu verschaffen, ist bekannt. Die Gegner Bruckners schienen zu ahnen, daß das Publicum die Großartigkeit der symphonischen Schöpfungen Bruckners in Bälde inne werden würde, wenn es dieselben nur erst in der bestmöglichen Aufführung gehört haben würde. Daher mußte vor allem verhindert werden, daß Bruckners Symphonien in mustergiltiger Weise, d. i. von dem ersten Concertinstitute Wiens zur Aufführung gebracht wurden. Wie lange dieser Terrorismus vorhielt, ist bekannt. Ebenso bekannt ist, daß die Erstaufführungen der meisten Symphonien Bruckners erst in die letzten Jahre fallen, obschon sie längst componiert waren. Der Ruf nach Bruckner gieng von jenem Theile der Bevölkerung aus, der es müde war, sich in Kunstsachen bevormunden zu lassen, und eine Reihe vorurtheilsloser Musikschriftsteller verfocht in ebenso geschickter wie würdiger Weise publicistisch die Interessen Bruckners und damit der musikalischen Welt. Nachdem Bruckner im Auslande als Symphoniker ungewöhnliche Erfolge errungen hatte, konnte man in Wien nicht mehr zurückbleiben, und mit den wiederholten Aufführungen seiner Werke stellte sich auch jene allgemeine Anerkennung ein, die ihm so lange versagt war.
     Heute gilt Bruckner als der bedeutendste Symphoniker der Gegenwart, ja vielleicht als der bedeutendste seit Beethoven. Zur künstlerischen Anerkennung gesellten sich nun auch äußere Ehrenbezeigungen. Nachdem Bruckner schon früher mit dem Ritterkreuze des Franz=Joseph=Ordens ausgezeichnet worden war, wurde er im Jahre 1891 zum Ehrendoctor der Wiener Universität ernannt, eine Auszeichnung, welche die Wiener alma mater noch keinem Componisten zuerkannt hatte.
     Worin besteht nun die Bedeutung Bruckners als Symphoniker? In erster Linie ohne Zweifel in der Großartigkeit seiner Themen. Diese sind durchweg in großen Zügen entworfen und von bedeutendem Inhalte, keine bloß gefälligen oder ausdruckslosen Motive, welche erst durch die Mache zu einer gewissen Bedeutung gebracht werden müsseen, sondern von Haus aus großartig angelegt. Dazu tritt noch, daß Bruckners symphonische Motive unverkennbar gleich orchestral gedacht, mit der Instrumentalfarbe concipirt und nicht etwa vom Clavier auf das Orchester übertragen erscheinen. Eine großartige thematische Gestaltungskraft tritt in jeder der Symphonien Bruckners zutage. Was die äußeren Mittel anbelangt, so bedient sich Bruckner mit Vorliebe des ganzen Rüstzeuges moderner Instrumentation. In dieser Beziehung steht Bruckner allerdings Wagner sehr nahe, allein er hat keineswegs, wie behauptet wird, Wagner copiert, sondern einfach den großen Reichthum an Ausdrucksmitteln, welchen die Musik in den letzten Jahrzehnten und nicht am wenigsten durch Wagner erworben hat, übernommen und in freier Weise auf die symphonische Form übertragen. Eine der schönsten Klangwirkungen hat Bruckner im Adagio seiner siebenten Symphonie durch Verwendung von fünf Tuben erzielt.
     Die Adagios entwickelt Bruckner stets mit echt symphonischer Breite, während uns im Scherzo ein ganz eigenartiger, specifisch deutscher Humor entgegentritt, der unverkennbar auf das Componisten Individualität hinweist. Einzelheiten, die dem Hörer oft unverständlich erscheinen, wie die schrullenhaften Generalpausen, nimmt man gern mit in Kauf.
     Mit seinem herrlichen Streichquintett, dessen Adagio zu den schönsten, musikalischen Hervorbringungen der Gegenwart gehört, hat Bruckner seine Meisterschaft auch in der Kammermusik bethätigt. Sein grandioses Tedeum ist der enthusiastische Ausdruck des wahrhaft frommen Empfindens der großen Meisters, das auch in seinen Messen in erhebender Weise zum Ausdruck kommt.
     Es würde zu weit führen, auf einzelne Werke Bruckners näher einzugehen; wir hoffen, daß uns recht bald durch die Aufführung von solchen die Gelegenheit dazu geboten werden wird. Wir können nur mit dem Wunsche schließen, der Herr, dessen Lob der gefeierte Componist so begeistert und begeisternd gesungen, möge ihn noch recht lange in ungebrochener Schaffenskraft erhalten.      V. K." (***).

Wegen Bruckners kritischem Gesundheitszustand werden die für den 3.9.1894 und 4.9.1894 geplanten Veranstaltungen abgesagt. Dies teilen mit

die Linzer Tages-Post Nr. 201 auf S. 5:
"     (Dr. Anton Bruckner.) Man schreibt uns aus Steyr unterm 31. v. M.: Die geplanten Ovationen anlässlich der 70jährigen Geburtstagsfeier des greisen Meisters unterbleiben. Es findet weder eine Serenade noch eine Beglückwünschung seitens des Bürgermeisters statt. Die Absage erfolgte deshalb, weil Bruckner unwohl ist und rauschende Ovationen auf seinen ohnedies nicht gefestigten Gesundheitszustand von nachtheiligen Folgen sein könnten." (°a),

der Alpen-Bote Nr. 70 auf S. 2: "Oertliches. (Zum 70. Geburstage Bruckners.) Die geplanten Ovationen, welche Herrn Dr. Anton Bruckner anläßlich seines 70. Geburtsfestes am Montag und Dienstag von der Stadtgemeinde-Vertretung und den hiesigen musikalischen Vereinen dargebracht werden sollten, unterbleiben, indem von ärztliche Seite dieselben als der Gesundheit des hochverehrten greisen Jubilars nicht förderlich bezeichnet wurden, da von demselben jede Aufregung soviel als möglich ferngehalten werden soll. Anstatt derselben werden die Gemeinde-Vertretung und die betreffenden Vereine Glückwunsch-Adressen überreichen. " (°b)

und die Steyrer Zeitung Nr. 70 auf S. 4:
"                     Localnachrichten.
                             
     Steyr, am 1. September 1894.
[...]
     Dr. Anton Bruckner. Für Montag den 3. ds., als dem Vorabende des Tages, an welchem unser Landsmann Herr Dr. Anton Bruckner, der berühmte Tonkünstler und Componist, sein 70. Lebensjahr vollendet, waren aus diesem Anlasse Seitens der hiesigen Gesangsvereine, der Gesellschaft der Musikfreunde und der uniformirten Bürgercorpscapelle größere Ovationen für den Jubilar geplant, welcher, wie alljährlich, so auch heuer wieder im hiesigen Stadtpfarrhof den Sommeraufenthalt genommen hat. Mit Rücksicht auf die leidende Gesundheit des Jubilars muß jedoch auf ärztliches Anrathen das beabsichtigte "Ständchen" leider unterbleiben, und muß von jeder äußeren Feier abgesehen werden. Wie man uns heute mittheilt, werden nun Seitens unserer Stadtgemeinde ein Glückwunschschreiben und unter Anderem auch Seitens des Männergesangvereines "Kränzchen"  eine Glückwunschadresse dem Jubilar übermittelt werden. Möge der berühmte Tondichter, über dessen Lebenslauf wir in Nr. 67 [23.8.1894] ausführlich berichtet haben und welcher gegenwärtig dahier an seiner 9. Symphonie arbeitet, recht bald die volle Gesundheit für lange Zeit wiedererlangen und noch viele neue Meisterwerke schaffen können!" (°c).

Das Linzer Volksblatt Nr. 201 teilt auf S. 5 noch die ursprüngliche Planung mit:
"    Steyr. (Zum 70. Geburtstage Bruckners.) Am Montag, den 3. September, werden zu Ehren des in Steyr weilenden berühmten Componisten Herrn Dr. Anton Bruckner die musikalischen Vereine: "Steyrer Liedertafel", "Kränzchen" und "Gesellschaft der Musikfreunde" im Vereine mit der Musikcapelle des uniformierten bewaffneten Bürgercorps ein Ständchen veranstalten und dem greisen Jubilar ihre Gratulation entgegenbringen. Am Dienstag, den 4. September, als dem eigentlichen Festtage, wird eine Deputation der Stadtgemeinde=Vertretung mit dem Herrn Bürgermeister Redl an der Spitze Herrn Dr. Anton Bruckner die Glückwünsche der Stadt Steyr darbringen." (°d).

Ähnlich das Neuigkeits-Weltblatt Nr. 201 auf S. 4:
"     Anton Bruckner's 70. Geburtstag. Aus Steyr meldet man: Am 4. September 1824 wurde der Schullehrerssohn Anton Bruckner in Ansfelden geboren. Heuer feiert demnach der berühmte Meister der Tonkunst seinen 70. Geburtstag. Bruckner weilt gegenwärtig im Pfarrhof zu Steyr und die Bevölkerung rüstet sich, den Ehrentag des Meisters festlich zu begehen. Am Vortage, 3. d. M., findet eine große Serenade der Gesangvereine und Bürgermusikkapelle statt, bei welcher auch die ersten Vereine der Stadt vertreten sein werden. Am Festtage, 4. d., wird eine Gemeindevertreter=Abordnung, an der Spitze der Bürgermeister Redl, Dr. Bruckner beglückwünschen." (°e).

Brief von Maria Kalmann (geb. Kaltschik, aus Bielitz) an Bruckner:
    Gratuliert als ehemalige Schülerin zum Geburtstag (°°).

Telegramm von Achleuthner an Bruckner: Geburtstagsglückwunsch (°°°).

Telegramm der Familie Hueber (#).

Das Vaterland Nr. 241 bringt im Morgenblatt auf S. 1f einen mit "-n." signierten Artikel: "                     Dr. Anton Bruckner.
              Zum 70. Geburtsfeste des Meisters.
     Im Pfarrhofe der lieblichen Stadt Steyr, im Herzen seines engeren Heimatlandes, dem er Liebe und Treue duch sein ganzes Leben bewahrt hat, begeht Dr. Anton Bruckner übermorgen (4.) sein 70. Geburtsfest. [...]
     Die gemüthvolle Festfeier, welche die Stadt Steyr mit ihren sangeskundigen Bürgern dem Meister zu Ehren veranstaltet, wird von demselben als eine vom Herzen kommende Huldigung treu ergebener Verehrer nicht zurückgewiesen werden. [... über die geplanten Feiern, die Vorbehalte gegen Bruckner in Wien ...]
     Um Bruckner zu verstehen, braucht man eigentlich nur ein an den Meisterwerken der Literatur herangezogener Musiker zu sein. [...]; das Genie aber arbeitet sich durch alle Schulweisheit zu eigenem Können empor.
     Und Bruckner hat eine strenge Schule durchgemacht, strenger als Manche wissen, die in seinen Werken Logik und Formreinheit zu missen glauben. [... Bruckners Lebenslauf (Sängerknabe, "Windhag bei Freistadl", 1845 St. Florian, Linz, Sechter-Studien ... ein Genie kann auf trockener Theorie aufbauen ...] So sprießt auch aus knorriger Wurzel frisch=grünes Laub.
     Die weiteren Schicksale Bruckner's sind bekannt, [... 1867 [sic] als Organist nach Wien; Konservatorium ...]
     Betrachten wir diesen knapp geschilderten Entwicklungsgang, so treten mehrere Momente augenfällig hervor. [... wenig Kontakt mit weltlicher Musik ... erfüllt nicht die Erwartungen des Kunstbetriebes ...] Unser Publicum ist aber gebildet, folglich dürfen die Componisten nur "logisch" schreiben . . .
     Dieses böse Wort der musikalischen "Logik"! Wie Hohngelächter klingt es in unser erfindungsarmes Kunstzeitalter herein! [... Künstler sollen "Ketten von Gesetzen anlegen" ... Hans Sachs: eigene Regeln suchen! ...].
     Es ist nicht zu leugnen, daß die Schwierigkeiten, mit denen Bruckner in seinem Vorwärtsschreiten zu kämpfen hatte, in gewissen Verhältnissen ihren Grund hatten, [... sein symphonisches Schaffen ... zwischen Bruckner und Beethoven haben Schubert und Wagner Bedeutung ... Bruckner hatte nicht die Kampfmittel wie Wagner ...].
     Nun, heute ist das Alles so ziemlich überwunden. Das wahrhaft Große läßt sich auf die Dauer nicht niederhalten [... hat "gekämpft und gesiegt" ... Loblied auf die Werke (Messen, Symphonien, Te deum, Quintett), die] man nicht vergessen wird, so lange noch eine Saite auf Erden klingt. Ja, man wird immer tiefer in diese unerschöpfliche Fundgrube genialer Conception und Gestaltungskraft hinabsteigen und das Gold zu Tage fördern, das sie in ihren Schächten birgt. Wo man die Ersten im Reiche der Tonkunst nennt, wird auch Bruckner's Name nicht fehlen; denn ihm ward das Weihegeschenk der Gottbegnadung zu Theil und er hat es treu gewahrt.         -n." (##).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189409025, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189409025
letzte Änderung: Nov 15, 2023, 13:13