zurück 15.9.1894, Samstag ID: 189409155

Brief Hugo Wolfs (Traunkirchen) an Bruckner:
    Gratuliert nachträglich zum Geburtstag. Die Jugend seiner Schaffenskraft möge Bruckner lange erhalten bleiben, um die 9. Symphonie beenden zu können (*).

Artikel (signiert »dr. h. p.« [Paumgartner]) in der Wiener Abendpost Nr. 212 (Wiener Zeitung) auf S. 1f :
"                         Anton Bruckner.
     Vor einigen Tagen hat der merkwürdige oberösterreichische Componist sein siebzigstes Geburtsfest gefeiert. Es wurden ihm bei dieser Gelegenheit vielfache Glückwünsche aus nah und fern ausgesprochen, welche von der Verehrung, die der leider jetzt kränkelnde Tondichter in der Heimat sowohl wie im Auslande genießt, lebendiges Zeugniß ablegen.
     Es hat lange genug gebraucht, bis Bruckner sich Gehör verschaffen konnte. [... anfänglich Ablehnung bei den Philharmonikern und beim Publikum ... auch weil "Partisan jener streitbaren einheimischen Jugend" ... und wegen des Ungewöhnlichen seiner Musik ... nun steigendes Interesse ... Einzelheiten gelungener als das Ganze (wegen Lücke in der Begabung?), rhapsodischer Charakter (Ausnahme: Scherzi, 1. Satz der 4. Symphonie. Gegenbeispiel: Adagio der 3. Symphonie), Sonderstellung der 7. Symphonie ... Lob für die Kirchenmusik (mehr für "Te deum", weniger für 150. Psalm) ...] In Vocalwerken weltlicher Art hat Bruckner mehr Interessantes als Bedeutendes geleistet.
     Merkwürdig wie der Componist, ist der Mensch Bruckner. Er ist bis in sein siebzigstes Jahr ein naives, frommgläubiges Kind geblieben. Systematische Bildung war ihm fremd, seine geistige Erziehung im alten Linzer Lehrerseminar war wohl höchst bescheiden. Auch späterhin hat Bruckner niemals das Bedürfniß nach Ergänzung seiner Bildung, nach Hereinbringung des Versäumten empfunden, vielleicht zum Glücke für ihn. Jedenfalls ist er dadurch dem Schicksal der Halbbildung entgangen und der naive Mensch geblieben, dem zwei Dinge einzig und allein in seinem Leben hochgestanden sind: die Musik und der Glaube. Es war ergötzlich, Bruckner des Abends am gemüthlichen Stammtische des Wiener Bierhauses, umgeben von seinen Schülern (darunter Schalk und Loewe, seine begabten und unermüdlichen Dirigenten und Propagandisten) in naivster Laune sich an der Gesellschaft und an dem kühlen braunen Saft erquicken zu sehen. In dieser Geisteseinfachheit, die hie und da ein merkwürdiger, ungeahnter Blitz durchzuckte, begriff man auch das Eigenthümliche und Besondere seines Schaffens. Jeden Bedeutenden muß man aber als ein Ganzes nehmen und sich kritiklos seiner erfreuen.
     Mögen dem genialen Manne noch viele und gesunde Lebensjahre beschieden sein.
                                    dr. h. p." (**).

Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 18 bringt auf S. 226 in einem Artikel über den Geburtstag am 4.9.1894 eine kurze Biographie und eine Liste der Gratulanten:
"         Zu Anton Bruckner's 70. Geburtstag.
     
Der Ehrendoctor unserer Wiener Universität, der viel gepriesene und gefeierte, aber auch arg bekämpfte Meister Anton Bruckner hat am 4. September l. J. seinen 70. Geburtstag begangen  Leider war es dem verehrten Componisten, der bis vor nicht gar langer Zeil nicht auf Rosen gebettet war, und der den Leidensgang so vieler deutscher Genies bis auf die letzte Neige durchzukosten halte, nicht gegönnt, diesen Festtag in körperlicher Gesundheit zu verbringen, denn ein langwieriges Leiden hält den greisen Künstler schon längere Zeit an das Zimmer gefesselt. So mußten verschiedene Ovationen, die von den zahlreichen Verehrern geplant waren, unterbleiben und nur die große Anzahl von Glückwunsch= und Begrüßungstelegrammen von hohen Persönlichkeiten, von Künstlern und Gelehrten bewiesen, daß man den Werth des unstreitig großen und bedeutenden Meisters in vollstem Maße zu würdigen versteht, ohne gerade in das wüste Lärmen jener Partei einzustimmen, welche dem Gefeierten eher schadet als nützt. Ein sehr bekannter Wiener Schriftsteller [Ludwig Speidel am 4.9.1894] hat kürzlich die Thätigkeit Bruckner's in wenigen, aber präcisen Worten ausgedrückt, indem er schrieb: „Was Wagner nicht ist, will Bruckner im Geiste Wagner's sein, ein Symphoniker." Den Lebensgang Bruckner's als bekannt voraussetzend, kann man beim Ueberblicken desselben sagen, daß Bruckner wirklich seine jetzige Stellung nur sich selbst und seinem außerordenllichen Können und Wissen verdankt. Vom Schullehrergehilfen in Windhag bei St. Florian sich bis zum Hoforganisten und Professor an der Wiener Universität emporarbeiten, das gelingt eben nicht jedem Manne. Bruckner wurde anläßlich seines 70. Geburtstages zum Ehrenbürger der Landeshauptstadt Linz und zum Ehrenmitgliede des Wiener Männergesangvereines „Schubertbund" ernannt. Glückwünsche sandten der Obersthofmarschall Graf Szecsen, Landgraf Fürstenberg, Graf Josef Lamberg, Gräfin O. Hogerty [sic], Prinzessin Lobkowitz, Fürsterzbischof Cardinal Gruscha. Abt Kostersitz von Klosterneuburg, Landeshauptmann Abt Achleuthner, Hofmusikverleger Gutmann, Lorenz Sechter, Hofkapellmeister Richter, Bürgermeister Dr. Grübl im Namen der Stadt Wien, Hans v. Wolzogen, Hofkapellmeister Eder, Hofcaplan Dr. Schnabl, die Stadtvertretungen Wels und Steyr, die Männergesangvereine „Arion" in Wien, Troppau, Linz, Steyr, Gmunden, die Philharmoniker, der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde, Dr. Sternfeld in Berlin, die Professoren Baron Eiselsberg, Toldt, Dachs, Löwe, Schalk, Dr. Guido Adler, Julius Epstein &c. Unser aufrichtiger Wunsch ist es, daß Dr. Anton Bruckner in erster Lime wieder seine Gesundheit erlange und dann nicht nur zur Freude seiner engeren Parteigenossen, sondern zur Freude der ganzen musikalischen Welt noch recht viel schöne Werke schaffe. Er hat sich in der Geschichte der Tonkunst eine hervorragende Stellung aus eigener Kraft gesichert und ist es zu wünschen, daß er den Ruhm, einer der Ersten und Edelsten seiner Zeit zu sein, noch rocht [sic] lange genießen möge. Das walte Gott!               " (***).

Ein ähnlicher Bericht erscheint in der »Lyra« auf S. 3 (°).

Die Linzer Tages-Post Nr. 211 berichtet auf S. 3 von der Versammlung am 12.9.1894:
"     Steyr, 13. September. (Dr. Anton Bruckner Ehrenmitglied der Steyrer Liedertafel. – Josef Werndl=Denkmal=Enthüllungsfeier. – [...]) Der Vorstand der Steyrer Liedertafel berief gestern eine außerordentliche Hauptversammlung ein, welche hauptsächlich einer Ehrung des innerhalb der Mauern unserer Stadt weilenden Componisten Bruckner galt. Der Vorstand der Liedertafel, Herr Dr. Franz Angermann, eröffnete die Versammlung und begrüßte die zahlreich erschienenen ausübenden, unterstützenden und Ehrenmitglieder. In markigen Worten gedachte sodann Dr. Angermann des Meisters Bruckner, erwähnte die 70jährige Geburtstagsfeier desselben und der großen Zahl der schriftlichen und telegraphischen Beglückwünschungen. Diesem Heroen der Tonkunst geziemt – führte Dr. Angermann weiter aus – Achtung, Ehrerbietigkeit und Aufmerksamkeit, und die Steyrer Liedertafel erachtet besonders den gegenwärtigen Zeitpunkt für richig, dem greisen, genialen Manne die besondere Verehrung dadurch zum Ausdrucke zu bringen, dass der Antrag, den die Vereinsleitung vorschlägt, Dr. Anton Bruckner zum Ehrenmitgliede zu ernennen, angenommen werde. Debattelos, einstimmig und stehend wurde derselbe unter großem Beifalle der Sängerschaft angenommen. In einigen Tagen wird das Ehrendiplom, das von Herrn Diltsch in Steyr prächtig entworfen wurde, dem Meister mittels einer Deputation überreicht werden. Die Sänger sangen nach den Worten Dr. Angermanns das Vereinsmotto. Herr August Riener überbrachte der Versammlung Grüße des Altmeisters, Sodann sang die Liedertafel unter Leitung ihres Chormeisters Tobisch eine Composition Bruckners: "Sängerbund" [WAB 82].
     [... Werndl-Denkmal, Thomas Koschat, Damenchor ...]" [keine Signatur] (°°).

Die "Caecilia" Nr. 18 (Algemeen muzikaal tijdschrift van Nederland) meldet auf S. 162 (= S. 6) den 70. Geburtstag Bruckners und die Vollendung der ersten drei Sätze der 9. Symphonie:
"     Weenen. — De bekende componist Anton Bruckner vierde den 4-den September ll. zijn 70sten jaardag onder vele blijken van belangstelling. Van de nieuwe symphonie, die hij componeert (zijne negende), zijn reeds drie deelen voltooid." (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189409155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189409155
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08