zurück 15.1.1896, Mittwoch ID: 189601155

Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 2 berichtet auf S. 20 über die Konzerte vom 5.1.1896 mit der 4. Symphonie, vom 12.1.1896 mit dem »Te Deum« und vom 28.12.1895 (mit dem "Locus iste"):
"        Concerte.
     Ein gar merkwürdiges Programm lag dem am 5 Jänner stattgehabten fünften philharmonischen Concert zu Grunde: Mozart, Rich. Strauß, Mendelssohn, Bruckner. Eingeleitet wurde das Concert mit der oberflächlich absolvirten dreisätzigen D-dur-Symphonie von Mozart (Köchel Nr. 504), die eine Kette ineinandergreifender Schönheiten bildet und von entzückendem Frühlingsduft erfüllt ist. Aus der sonnigen Stimmung der jugendfrischen Mozart'schen Composition war der Uebergang zu der nun folgenden bizarren Novität Rich Strauß' sehr schwer zu finden, deren curioser Titel „Till Eulenspiegels lustige Streiche, nach alter Schelmenweise – in Rondeauform – für großes Orchester gesetzt" lautet. [...]  . . . .  Nach Mendelssohn's stimmungsvoller „Hebriden=Ouverture" wurde noch die vierte Symphonie (Es-dur) von Anton Bruckner zu Gehör gebracht, die nachträglich vom Componisten als „romantische" bezeichnet worden ist. Trotz der Bemerkung auf den Programmen: „Erste Ausführung in den philharmonischen Concerten" ist das groß angelegte symphonische Werk weder für Wien noch für die Philharmoniker eine Novität, nachdem es von letzteren schon zweimal (1881 und 1889 [sic]) bei außerordentlichen Gelegenheiten zum Vortrage gebracht worden ist. Die diesmalige vortreffliche Aufführung trug dem anwesenden greisen Componisten zahlreiche Hervorrufe ein.
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      Auch in dem am folgenden Sonntag veranstalteten zweiten Gesellschafts-Concert bildete eine Bruckner'sche Composition, sein gewaltiger „Te deum“, den Hauptbestandtheil des, nebenbei gesagt, etwas gar zu buntscheckig zusammengesetzten Programmes. Und auch hier wurde Bruckner durch stürmische Beifallskundgebungen und Hervorrufe seitens des Publikums ausgezeichnet. Als Eröffnungsnummer figurirte die Ouvertüre (mit Chor) zu „Nais“. einer 1749 zum erstenmale in Paris aufgeführten Oper von Rameau, ein kurzweiliges Stück, das in der geschickten Bearbeitung von Mottl bei jedem ernsten Musikfreund nicht blos historisches, sondern auch rein künstlerisches Interesse hervorzurufen geeignet ist.. Herbeck's stellenweise ein wenig philisterhafte „Tanzmomente" für Orchester – eine Nachahmung der vierhändigen melodienreichen „Deutschen Tänze" von Schubert – ferner zwei Frauenchöre mit Harfe und Hörnerbegleitung („Es tönt ein voller Harfenklang". „Gesang auf Fingal"), und gemischte Chöre („Dein Herzlein mild", „Es gehl ein Wehen") von Brahms wurden zwischen Rameau und Bruckner aufgeführt. Der Vortrag dieser mit größter Sorgfalt und minutiöser Beobachtung aller dynamischen Schattirungen studirten Chöre unter Herrn v. Perger's verständnisvoller Leitung verdient als geradezu musterhaft gerühmt zu werden. Nach dem letzten Chorlied steigerte sich der Beifall derart, daß die Nummer wiederholt werden mußte. Bei dem Bruckner'schen „Te deum“ boten auch die Solisten, Herr Dippel und die Damen Chotek und Hofmann recht anerkennenswerthe Leistungen. [... über zwei weitere Konzerte ...]
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     Der Wagnerverein bot den Besuchern seines zweiten Musikabendes am 28. v. M. ein fast durchwegs wohlbekanntes Programm, der Dirigent hatte es sich eben einmal sehr leicht und bequem gemacht. Denn das Weihnachtslied von Prätorius „Es ist ein Reis entsprungen", Mozart's Ave verum, Bruckner's Graduale „Locus iste“ und nun gar der Schlußchor aus Tannhäuser „Heil! Der Gnade Wunder Heil!" sind ja sehr schöne Compositionen, aber den Reiz der Neuheit bieten sie doch gewiß nicht im mindesten. Auch Frau Kaulich konnte mit der aus dem Zusammenhang herausgerissenen Erzählung der Waltraute aus der „Götterdämmerung", die sie höchst mittelmäßig sang, kein sonderliches Interesse erwecken, und Frl. Irene v. Brennerberg spielte ihre Violinpiècen (Adagio v. Bach und Wagner's Albumblatt) schläfrig und unrein herunter. Am meisten interessirten noch die Herren Schalk und Foll mit dem vierhändigen Vortrag des Marsches der Heil. Dreikönige aus Liszt' „Christus". " (*).

Das Philharmonische Konzert (am 5.1.) wird auch in der »Lyra« XIX, Nr. 8 (499) auf S. 88 [= S. 4] besprochen:
"                Wiener Concerte.
    Das fünfte philharmonische Concert ist etwas lang gerathen! [... kurz über Mozart, Mendelssohn und Richard Strauss ...] Das Hauptinteresse des Concertes nahm Bruckners vierte (romantische) Symphonie in Anspruch, welche ihre vierte Aufführung erlebte und einmüthigen Beifall fand. Im Laufe der letzten Jahre ist die Zahl derer beträchtlich gewachsen, welche dem bedeutenden Werke Verständniß entgegenbringen und auch in den Kreisen derer, die Bruckner, für den die „Lyra” schon seit geraumer Zeit entschieden eingetreten ist, lange genug die größten Schwierigkeiten in den Weg legten, wird die Ueberzeugung platzgreifen müssen, daß sich der Siegeszug der Bruckner'schen Symphonien nicht mehr aufhalten lassen wird. Wir freuen uns des neuesten großen Erfolges des Meisters aufrichtig und wünschen ihm, daß ihm noch viele Tage gegönnt sein mögen, die ihm so reiche Ehren bringen, wie der Tag des fünften philharmonischen Concertes. [... über das vorherige Konzert ...]" [keine Signatur] (**)
 
und in der Österreichischen Musik- und Theaterzeitung Nr. 10/11 auf S. 3 von B. Lvovsky: "             Wiener Concerte.
     Der kurz vor Weihnachten – am 19. December – vom "Quartett Hellmesberger" veranstaltete "ausserordentliche Kammermusikabend" bezeugte auf's Neue, dass die genannte künstlerische Vereinigung im Vortrag classischer Tonwerke keine Concurrenz zu scheuen habe. [... Theodor Helm über dieses und andere Konzerte ...]
     [... 4. Philharmonisches Konzert, Kammermusik (sehr ungünstig über Werke Richard von Pergers und Josef Reiters) ...] 
     Ein wahrer Festtag in den Annalen der Wiener Musikfreunde war der 5. d. Mts.: zum erstenmale in einem Philharmonischen Concerte wurde Dr. Anton Bruckner's grossartige „Romantische Symphonie” Es-Dur Nr. 4 aufgeführt. Es war dies die vierte Aufführung dieses Werkes in Wien; schon bei zwei früheren Gelegenheiten waren die Ausführenden die Philharmoniker unter Hans Richter. Mir war es jetzt erst vergönnt worden, dieses Meisterwerk zu hören; wie die Offenbarung einer neuen Tonwelt muss es Jeden überkommen, der dieses Zauberreich der Romantik betritt, vorausgesetzt, dass er kein verknöcherter Zopf ist und die Ohren am rechten Flecke hat! In allen ihren Sätzen zeigt diese Symphonie, trotz aller grossen Freiheiten der Form, ein deutlich nachweisbares formelles und thematisches Gefüge; im letzten Satze zwar droht das Genie fast die Schranken zu brechen, aber auch hier entwickelt sich Alles logisch und folgerichtig, wenn auch nicht im Sinne der traditionellen Rondoform. Es wäre vergebens, in Worten ausdrücken zu wollen, welcher Reichthum an neuen und bedeutungsvollen musikalischen Ideen, welche Fülle reizvoller melodischer Gebilde und kühnster contrapunktischer Combinationen sich hier entwickelt! Und vor Allem Bruckner's Instrumentationskunst! Im Gegensatze zu so vielen modernen Componisten, welche die Blechinstrumente bloss als Lärmerzeuger verwenden, lässt Bruckner selbe zumeist in majestätischem Glanze erklingen. Die Stelle, wo zum Schlusse des ersten Satzes die Bläser das Hauptthema wieder bringen, sucht in der ganzen musikalischen Literatur ihres Gleichen. Die Aufführung der Symphonie unter Hans Richter's Leitung war eine höchst würdige; der greise Meister, welcher trotz seiner andauernden Krankheit in der Loge dem Concerte beiwohnte, wurde nach jedem Satze stürmisch gerufen und war zum Schlusse Gegenstand warmer Ovationen. Es war zu sehen, dass der Beifall von der überwiegenden Mehrheit des Publicums ausging und in erfreulicher Weise die Zahl Derjenigen stetig zunimmt, welchen sich das Verständniss der Meisterwerke dieses so lange verkannten grossen Meisters eröffnet. Trotz der höchst ungeschickten Anordnung des Programmes (die Bruckner'sche Symphonie war zum Schlusse des Concertes placirt worden), in welches die diesmal wohl überzählige „Hebriden-Ouverture” eingereiht worden war, hielten die Zuhörer in gehobenster Stimmung bis zum Schlusse aus; die kleine Anzahl Derjenigen, welche sich früher entfernten, kann der gegnerischen Presse keineswegs Anlass zum üblichen Jammergeheul geben, dass „die Leute bei einer Bruckner'schen Symphonie davonlaufen”: diese Sorte thut dies auch, wenn eine Brahms'sche Symphonie zum Schlusse einer Aufführung kommt, welche die übliche Speisestunde etwas zu weit hinausschob. [... über "Till Eulenspiegel" ...]    B. Lvovský." (***).
 
das Gesellschaftskonzert vom 12.1. im Neuigkeits-Weltblatt Nr. 11 auf S. 12: "     Zweites Gesellschaftskonzert. Auf die Zusammenstellung des Programms des vorgestrigen zweiten Gesellschaftskonzertes darf sich der neue Leiter des Singvereins, Herr Richard v. Perger, nichts einbilden. Es war ein recht gemischtes und nur theilweise interessantes. Die Hauptnummer, Bruckner's Tedeum, kam erst am Schlisse und traf ein bereits etwas ermüdetes Publikum, das aber doch die großen Schönheiten des Werkes mit Begeisterung aufnahm und den anwesenden Tonmeister in der herzlichsten Weise auszeichnete. Das im "Tedeum" mitwirkende Soloquartett, bestehend aus den Damen Chotek und Hofmann und den Herren Dippel und Weiß, befriedigte mäßige Ansprüche. Die übrigen Nummern hielten sich, der genialen Komposition unseres Bruckner's gegenüber gemessen, in mitunter sehr beträchtlichem Abstande. [... Rameau/Mottl, Herbeck, Brahms ...] Herr v. Perger zeigte sich wieder als temperamentvoller Dirigent, der seine Schaaren zu animiren versteht. Auf die Bildung des Programms wird er aber in der Folge mehr Bedacht nehmen und sich weniger mit Bekanntem abgeben müssen, wenn er die Theilnahme des Publikums für die Gesellschaftskonzerte rege erhalten will.
                                                              Alpha." (°).
 
In der "Presse" Nr. 14 ist auf S. 9 erstmals [Stand Juni 2020] in den Wiener Blättern dokumentiert, dass die Schattenbilder Otto Böhlers auch Bruckner zeigen:
"                         Carneval 1896.
[...]
     Die Carnevals-Idee des Schubertbundes scheint wegen ihrer Mannigfaltigkeit, die sie bei der Gruppenbildung und Costumirung, sowie bei der Entfaltung von Ulk und Witz gewährt, lebhaft im Publicum anzusprechen, denn die Einladungen zu dem Feste, deren köstliche satirische Zeichnung von dem durch seine "Hans Richter"-, "Jahn"- und "Bruckner"-Schattenbilder bekannten Dr. Otto Döhler [sic] entworfen wurde, sind schon fast vergriffen und es wurde ein Nachdruck erforderlich; [...]" [siehe die Anmerkung] (°°).
 
Nahezu gleichlautend die Meldung des Deutschen Volksblattes Nr. 2526 auf S. 11:
"                        Bälle und Kränzchen.
[...]
     [Eine literarische Faschingsnacht im Sofien=Saale.] Diese Carnevals-Idee des Schubert=Bundes scheint wegen ihrer Mannigfaltigkeit, die sie bei der Gruppenbildung und Costümirung, sowie bei der Entfaltung von Ulk und Witz gewährt, lebhaft im Publikum anzusprechen, denn die Einladungen zu dem Feste, deren köstliche satyrische Zeichnung von dem durch seine "Hans Richter"-, "Jahn"- und "Bruckner"-Schattenbilder bekannten Dr. Otto Böhler entworfen wurde, sind schon fast vergriffen und es wurde ein Nachdruck erforderlich; [...]" (°°°).
 
Die "Caecilia" Nr. 3 (Algemeen muzikaal tijdschrift van Nederland) berichtet auf S. 19 (= S. 7) von der Aufführung der 5. Symphonie in Budapest [am 18.12.1895]:
"     Pest. — Op het laatste Philharmonische concert werd hier Bruckner's vijfde Symphonie (in Bes) met groot succes ten gehoore gebracht. Ook de pers toont zich zeer met het werk ingenomen, hetgeen te meer verwondering baart als men weet, dat deze steeds sterk tegen Bruckner gekant was. De reden daarvan schijnt in de eerste plaats in het chauvinisme der Hongaren te schuilen en in de tweede plaats gaf de slechte uitvoering van een van Bruckner's symphonies, een tiental jaren geleden, reden om zich tegen de uitvoering van een ander werk van dezen componist te verklaren. In weerwil daarvan en van de uitgebreidheid van het werk, dat l½ uur in beslag neemt, klom de bijval na elk deel. De uitvoering had plaats onder leiding van Ferdinand Löwe, een leerling van Bruckner en door Hans Richter aanbevolen. Deze had met groote zorg en voorliefde het werk ingestudeerd, dat dan ook buitengewoon goed van stapel liep." (a).



 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189601155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189601155
letzte Änderung: Dez 20, 2023, 20:20