zurück 15.2.1903, Sonntag ID: 190302155

Artikel von Max Graf »Die Neunte Symphonie Bruckners« [in Wien] in den Hamburger Nachrichten (*).

Artikel im »Vaterland« (**).

Die Wochenschrift für Kunst und Musik meldet, dass im Verlag Göschen eine "Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts" von Carl Grunsky erschienen ist, die eine große Abhandlung über Bruckner enthält (***).

Artikel von Karl Grunsky in der Deutschen Zeitung (Berlin) Nr. 39:
"     *  Aus Wien erhalten wir folgenden Bericht: Die Uraufführung von Bruckners G=Sinfonie [sic] mit dem Tedeum als Schluß, gestaltete sich am 11. Februar zu einem ungeahnten und unerhörten Siege der Brucknerschen Kunst. Der Dirigent des Konzertvereins, Ferdinand Löwe, wurde immer von neuem gerufen, bis die erlöschenden Lichter aus [sic! gemeint "auch"] den Beifall auslöschten. Die Wiedergabe des Orchesters war glänzend; am Tedeum beteiligte sich der Singchor des Musikvereins und der akademische Wagnerverein. Natürlich galt der Jubel des vollen Saales nicht bloß der Art, sondern der Tatsache der Aufführung, d. h. dem Werk selbst. Löwe hatte es einem teilnehmenden Kreise am Klavier vorgespielt, frei nach der Partitur, auswendig. Da aber sonst kein Mittel der lebendigen Kenntnisnahme zu Gebote stand (die Originalpartitur auf der Hofbibliothek entscheidet an sich noch lange nicht alles!), so waren die Hörer, besonders die große Menge den unmittelbaren Eindrücken preisgegeben. Um so freudiger berührte der Triumph! Das Werk eines gealterten, leidenden Meisters konnte, wie vorauszusehen, die volle Reife haben, jedoch vielleicht der ursprünglichen Frische entbehren und Spuren sinkender Kraft zeigen. Allein selbst diejenige Presse, die der deutschen, gemütstiefen Musik keine Liebe entgegenbringen kann, vermochte kein Nachlassen der Erfindung zu entdecken. Stimmungen des Alters sind freilich im ersten und dritten Satz ausgesprochen, aber nicht in künstlerisch minderwertiger Weise. Um Bitternis und Müdigkeit, Herzweh und Todessehnsucht auszudrücken, darf der Künstler noch nicht krank und geschwächt am Geiste sein. Man denke an Bachs Kantaten mit ihrem kräftigen, dem Sentimentalen abgewandten Ausdruck der Todesgedanken. Alle Zweifel hebt bei Bruckner schon das urgewaltige Scherzo, das zwischen Allegro und Adagio steht.  Dürers apokalyptische Reiter sprengen nicht ungestümer vorbei als dieser Wirbeltanz daherbraust, der alles ohne Zögern packt und niederwirft. Wie ein Naturschauspiel, das uns beben macht, jagt das Scherzo über uns weg. Im Trio etwas Berliozmäßiges, jedenfalls keine irdische Tanzweise, sondern etwas Gespenstisches, keine inniger Adagioanklang, sondern ein äußerst geistvolles Spiel. Der erste Satz bietet trotz des kunstvollen Aufbaus (die Durchführung verschmilzt teilweise mit der Wiederholung!) dem ersten Hören genügende Anhaltspunkte. Drei große Themengruppen geben den Gedankenstoff. Ueberall wird man warm, ohne Ueberhitzung. Die Ueberlegenheit deutschen Empfindens wird im Vergleich mit der modernen russischen und französischen Sinfonieliteratur ohne weiteres klar. Wenn die Franzosen heute einen Sinfoniker wie Bruckner hätten! Das Adagio der Neunten übersteigt alle Erwartungen. Bruckner hatte Recht, es als sein schönstes anzusehen. Merkwürdig sind die öfteren Ausbrüche zerreißenden Schmerzes, die gerade im Angesicht des Todes mit überzeugender Wahrhaftigkeit wirken. Der Abschied vom Leben, die Szene eines Sterbezimmers ist kaum je ergreifender dargestellt worden als in diesem Adagio. Daß nur ein religiöser Schluß folgen kann, ist klar. Aber Bruckners kam nicht mit sich ins Reine, welche Kunstmittel anzuwenden seien. Es wird versichert, schon anfangs, als er die drei Sätze begann (1891; sie wurden 1894 fertig), habe er einen Abschluß gleich der Faustsinfonie oder gleich Beethovens Neunter im Sinn gehabt. Doch sind auch Skizzen zu einem instrumentalen Satz vorhanden; dieser hätte aber doch kaum das Finale der fünften Sinfonie überbieten können. Schließlich entwarf Bruckner eine Ueberleitung zu dem 1884 entstandenen Tedeum, das er als Schluß der Neunten empfahl. Aber auch diese Arbeit wurde durch die letzte Leidenszeit unterbrochen. Immerhin – die drei vollendeten Sätze dürften wohl zum Schönsten und Bedeutendsten zählen, das die deutsche Instrumentalmusik kennt. Löwe sollte eine große Reise mit dem Konzertverein unternehmen, – dieses Gastspiel hätte gewiß einen Sinn!          Dr. Karl Grunsky." (°).

The Inter Ocean Nr. 328 (Chicago, Illinois) kündigt auf S. 29 die Aufführung der 2. Symphonie am 20./21.2.1903 an:
"EVENTS OF WEEK IN MUSICAL CIRCLES
[...]
             Orchestra, Program.
     The Chicago Orchestra's concerts, which will take place, as usual, at the Auditorium on Friday and Saturday next, will present many admired pieces, among them [... Dvorak, Franck, Liszt, Richard Wagner, Mendelssohn mit Maud MacCarthy ....].
     In its detailed arrangement the program reads as follows:
Overture, "Carnival" . . . . . . . . . . . . . .  Dvorak
Symphonic poem. "Les Eolides" . . . . . . Franck
Symphony No. 2. C minor . . . . . . . . .  Bruckner
   Moderato, andante, Feierlich, etwas bewegt, scherzo, finale.
Concerto for violin [... Mendelssohn, Liszt (Mephisto-Walzer), Wagner (Walkürenritt) ...]." (°°).

Die Meldung in The Chicago Tribune Nr. 46 auf S. 47 widmet sich überwiegend der Solistin:
"                 THE DRAMA AND MUSIC
[...]
"MISS MAUD MACCARTHY, a young violinist from Australia, but who prefers to be known as the "Irish violinist", will be the soloist at the concerts this week by the Chicago orchestra. [... Biographisches, Abbildung ...]. The orchestral numbers will consist of Dvorak's overture, "Carnival"; the symphonic poem, "Les Eolides," by Cæsar Franck; Bruckner's second symphony, Liszt's "Mephisto" waltz, and the "Ride of the Walkyries," from "Die Walkure" of Wagner." (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 190302155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-190302155
letzte Änderung: Jun 10, 2023, 13:13