zurück 16.1.1886, Samstag ID: 188601165

Brief Bruckners an Franz Xaver Witt:
Ersucht ihn, die ursprüngliche Fassung des "Pange lingua" [WAB 33] wiederherzustellen [vgl. "1885 (m) und (l)" = 188500005].
      "... ich getraue mir dieses umso eher zu bitten, als ich weiß, daß ich zu einem so großen Genie spreche, welches wie alle solche über kleinliche Skrupel hoch erhaben ist. Von meiner Bewunderung Ihrer Werke könnte besonders der selige Herr Regenschori von St. Florian, Traumihler, Ihnen erzählt haben, besonders die Vokalkompositionen für die Karwoche, Weihnachten etc. etc. herrlich, prachtvoll, Herr Doktor, aber auch nur Ihre Werke vermochten mich zu begeistern und hoch zu erbauen." (*).
[Witt reagierte auf diese Bitte im März-Heft der Musica sacra (siehe "März 1886").]

Robert Hirschfeld berichtet in der Allgemeinen Kunst-Chronik Nr. 3 auf S. 49 - 51 von der Aufführung des »Te deum« [10.1.1886]:
           »Musikalische Rundschau.
    Die Gesellschaft der Musikfreunde hat mit ihrem letzten Concert einen dankenswerthen Act zweifacher Pietät - gegen einen lang Todtgeschwiegenen und einen vielfach Todgeglaubten - begangen [... über Heinrich Schütz ... Kritik an den Sängern Graf, Gassner und Frau Ulrich-Linde, die Chöre trotz Orgelunterstützung unsicher ...] Und nun zu dem früher Todtgeschwiegenen, der aber jetzt die Welt von sich reden macht, zu Anton Bruckner. In dieser Zeitschrift wurde er schon nach Gebühr gewürdigt, bevor man es im Allgemeinen für nöthig erachtete, ihn überhaupt ernst zu nehmen. [... der Wagner-Verein habe durch die Voraufführung dem »Te deum« den Weg geebnet ... eingehende, sehr positive Besprechung des Werkes ... über das »non confundar«-Motiv ...] In der gesammten modernen Chorliteratur wird man schwerlich eine Stelle aufweisen können, die mit einfachen, natürlichen Mitteln eine so tiefgehende Wirkung übt. [ ... vollendete Harmonie von Ton und Wort ... doch: manche Bedenken ...] Bruckner ist diesmal zu knapp gewesen. Wie die Stimmung der einzelnen Textabschnitte plötzlich wechselt, so schleudert der Componist uns von einem Abschnitt unbarmherzig in den anderen, ohne Mittelglied, ohne Verbindung. Die Musik wagt nicht einen Moment selbständig sich zu entfalten. Daher der auffallende, bedauerliche Mangel an Polyphonie im ersten Theile des Werkes. Und selbst mit der vielgerühmten Doppel-Fuge am Schlusse kann ich vom rein musikalischen Standpunkte mich nicht befreunden. Die beiden Themen verlieren durch die gemeinsamen Octavensprünge an ihrer Gegensätzlichkeit, wenn auch ihre Ausdrucksfähigkeit dadurch gesteigert wird. [... Bruckner folge in der Fuge mehr den Gesetzen des Textes als denen der musikalischen Logik: ein »modernes« Element ...] Ich halte aber seine Formkraft für zu gross, als dass er zur Erreichung seines Zieles so schrankenlose Freiheit müsste walten lassen.
    Der Chor, unter der strammen Führung H. Richter's, war den enormen Schwierigkeiten des Tonsatzes vollkommen gewachsen. Frau Ulrich-Linde vereitelte durch ihre schrille Stimme den anderen Solisten, Frl. Zips, den Herren Erxleben und Graf die besten Absichten... In demselben Concert wurde "Mirjam's Siegesgesang" von Franz Schubert, eine Cantate, deren Text Grillparzer eigens für Schubert geschrieben, zur Aufführung gebracht. Frau Marie Englisch sang das Solo mit musikalischem Verständniss und Geschmack, jedoch ohne Temperament. Beinahe wäre aus dem Siegesgesang ein Schlummerlied geworden.
          Dr. Robert Hirschfeld.« (**).

»Te deum« und Quintett [7.1.1886] werden auch in einer Konzertbesprechung Theodor Helms in der Deutschen Zeitung Nr. 5042 auf S. 1f erwähnt:
          »Concerte.
   Dem an dieser Stelle ausführlich besprochenen Bruckner'schen "Te Deum" gingen im letzten Gesellschafts=Concerte voran: "Die sieben Worte", Oratorium von Heinrich Schütz (componirt 1645), dann "Mirjam's Siegesgesang", eine Cantate für Sopran=Solo, Chor und Orchester von Franz Schubert. [... über die Werke von Schütz und Schubert ...] Im Ganzen machten sowohl die Chor- als die Sololeistungen des letzten Gesellschafts=Concertes einen traurigen Eindruck. Ein recht schwarzgalliger Pessimist, welchem die großen Glanzthaten des Singvereins unter Herbeck nicht aus dem Sinn kamen, sprach sogar von "Beleidigung des Publicums". Es scheint in der That, daß Hans Richter's Doppelstellung an der Spitze der Philharmoniker und der Gesellschafts=Concerte auf die Dauer nicht zu halten sein wird, indem der sonst so ausgezeichnete Dirigent weder da, noch dort seine volle Kraft einsetzen kann. [... über andere Konzerte ...] Wir haben oben Hellmesberger's dritte Quartettproduction genannt. Es darf aus dieser die stürmisch beifällige, mit mehrfachem Hervorruf des Componisten verbundene Aufnahme des Bruckner'schen Quintetts, in welchem vorzüglich das seelenvolle, verklärte Adagio wieder tief zu Aller Herzen drang, namentlich aber Hellmesberger's unvergleichlich herrliche Interpretation des C-dur=Quintetts von Franz Schubert, die Krone des Abends, nicht unerwähnt bleiben. [... über weitere Konzerte ...] Theodor Helm.« (***).

Die Linzer Tagespost Nr. 12 berichtet auf S. 4 ebenfalls vom »Te deum« und von Theodor Helms Artikel in der Deutschen Zeitung [13.1.1886]:
      »(Ein neuer Erfolg Bruckner.) Im dritten Concert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien am 10. Jänner gelangte Bruckners Tedeum für Chor, Solostimmen und großes Orchester zur Aufführung. Der Erfolg muß ein großartiger gewesen sein [...] Theodor Helm, der Musikreferent der "Deutschen Zeitung", ein warmer, begeisterter Verehrer von Bruckners Genie und dessen Schöpfungen, und als solcher beinahe ein weißer Rabe unter seinen Collegen, schreibt über dieses Tedeum unter anderem Folgendes: "Das musikalische Ereignis des Tages ist der glänzende Erfolg von Bruckners Te Deum im dritten Gesellschafts=Concert. Es war ein ganzer, voller Erfolg nicht nur von [sic] einigen enthusiastischen Anhängern unseres genialen Landsmannes, sondern vor der Masse des Publicums. Wir haben Leute stürmisch applaudieren gesehen, welche sonst für Bruckners kühne Muse nur Hohn und Spott oder ein vornehmes Stillschweigen in Bereitschaft hatten; ein durch seine entschiedene Gegnerschaft sattsam bekannter Conservatoriums=Professor sprach das geflügelte Wort: "Das ist der deutsche Berlioz, nur daß ihm (Bruckner) immer auch musikalisch etwas einfällt, wo der französische Berlioz oft vergebens nach Gedanken ringt." Die übrigen Wiener Blätter, sofern sie überhaupt schon Kritiken über Bruckners Tedeum gebracht haben, müssen ebenfalls rückhaltslos den nachhaltigen Erfolg dieses Tonwerkes zugestehen.« (°).

Mit der Klavieraufführung der 7. Symphonie am 11.1.1886 befaßt sich ein Artikel in Kastner's Wiener Musikalischer Zeitung, Jahrgang 1885/86, Nr. 16, auf S. 280:
»(Wiener Tonkünstlerverein).
Der siebente Vereinsabend [...] fand am 11. d.M. [...] statt. [...] Zur Aufführung gelangte: [...] und Anton Bruckner, VII. Symphonie, vierhändig, gespielt von den Herren Schalk und Löwe.« (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188601165, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188601165
letzte Änderung: Jan 24, 2024, 8:08