zurück 28.12.1890, Sonntag ID: 189012285

Der Alpen-Bote Nr. 104 meldet auf S. 3f die erfolgreichen Aufführungen der 3. Symphonie in Wien und Linz am 21.12.1890:
   "Verschiedenes.
   [...]
   (Ein neuer Erfolg Bruckners.) Aus Wien berichtet die "Deutsche Zeitung" unterm 22. d. M.: Bruckners D-moll-Symphonie errang gestern, erstmalig von den Philharmonikern in ihren Concerten aufgeführt, einen Riesenerfolg, welchen selbst die Gegner des vaterländischen Tondichters mit bestem (oder richtiger: bösestem) Willen diesmal nicht wegzuleugnen imstande sein werden. Bruckner wurde nach jedem Satze des großartigen Werkes stürmisch hervorgejubelt, nach dem Adagio erhielt er auch einen Lorbeerkranz. Nur sehr wenige Hörer verließen vor Schluss des Ganzen den Saal. Es ist dieser Erfolg umso höher anzuschlagen, als das Publicum unmittelbar vor der Bruckner'schen Symphonie die harte Geduldsprobe eines ebenso erfindungsarmen als langwierigen Violinconcerts von H. Grädener (gespielt von Herrn Brodsky aus Leipzig) auszuhalten hatte und daher in seinem Aufnahmsvermögen für eine neue, tiefgedachte und vielfach verwickelte Tondichtung schon beeinträchtigt war. - Am 21. d. M. wurde diese Symphonie auch in Linz mit glänzendem Erfolge aufgeführt." (*).

Zur Wiener Aufführung [am 21.12.1890] bringt die Linzer Zeitung nahezu vollständig Paumgartners Besprechung in der Wiener Abendpost vom 24.12.1890, wobei auch Paul Heyses Brief [vom 13.12.1890] zur 4. Symphonie nochmals erwähnt wird:
     "Theater= und Kunstnachrichten.
[...]
     - Ueber die Aufführung der D-moll-Symphonie von Anton Bruckner im vierten Philharmonischen Concerte in Wien schreibt Dr. Hans Paumgartner in der "Wiener Abendpost": "Eine kritische Stimme hat nicht ganz ohne Mißvergnügen bemerkt, daß bei der Aufführung Bruckner'scher Werke im Concertsaale stets Sensationslust wehe [Hirschfeld am 22.12.1890]. Gewiß, aber dieser bedauerliche Zustand ist in erster Linie provocirt durch die hämische und subjective Kritik, die von einem Theile der Presse an Bruckner geübt wird. Wie sollen sich alle diejenigen, denen die Bruckner'schen Werke am Herzen liegen und welche die systematische Verfolgung dieses Mannes mit Recht empört, dagegen aussprechen? Leider gewinnt dann der Beifall einen demonstrativen Charakter, der gewiß die künstlerische Stimmung im Saale alterirt. Dazu tritt der Argwohn, den das philharmonische Modepublicum gegen die Applaudirenden faßt. Man ist geneigt, der Demonstration für Bruckner gehässige politische Parteimotive unterzulegen, wohl mit dem größten Unrechte. Wer Bruckner, diese harmlose Menschennatur, und sein stilles Schaffen kennt, muß mit Entschiedenheit jede derartige Auslegung zurückweisen. "Hier gilt's der Kunst allein," soll sich das Publicum mit Hans Sachs sagen und nicht immer auf gehässige Hetzereien und überwollende Kritik hinhören. Daß Bruckner ein Symphoniker allerersten Ranges ist, kann doch im Ernste unmöglich jemand bestreiten wollen. Es fällt uns nicht ein, den wunden Punkt der Bruckner'schen Werke, nämlich ihren rhapsodischen Charakter, zu übersehen. Es ist aber doch starke Einseitigkeit, über den Mangel einheitlicher Geschlossenheit der Form den wundervollen Inhalt der Werke zu ignoriren. Daß Bruckner auch die Form treffen kann, hat er in den prächtigen drei ersten Sätzen seiner Es-dur- (romantischen) Symphonie gezeigt, über deren vor kurzem in München erfolgten [sic] Aufführung Paul Heyse dem Tondichter einen enthusiastischen Brief schrieb. Nicht immer gelingt Bruckner die Form. Er fängt mitten im Satze gleichsam zu phantasiren an und unterbricht den Zusammenhang. Aber das liegt nun einmal in seiner Individualität, und damit muß der einsichtsvolle Zuhörer rechnen. Was bei Bruckner sosehr erfreut und erquickt, das ist die leidenschaftliche Wärme seine Tonsprache, die hoheitsvolle Größe seiner Themen. Sie schreiten entweder wie Giganten einher (das Hauptthema des ersten Satzes, triumphirend in der Dur-Tonart im letzten Satze wiederkehrend) oder sie scherzen wie Grazien im reizendsten Tonspiele (das Gesangsthema des ersten Satzes, das Trio des Scherzo, das entzückende zweite Motiv des Finalsatzes). Eine großartige Stimmung beherrscht die Bruckner'schen Werke; er will uns das Größte sagen, und stets träufelt ihm dabei ein Tropfen Beethoven'schen Oeles auf das Haupt. Dabei sind seine Themen unmittelbar aus dem Orchester heraus geboren; Bruckner empfindet jedes seiner Motive in der Klangfarbe, alles Melodische hat den echten orchestralen Charakter, kein Clavierthema muß erst ins Orchestrale künstlich hinüberempfunden werden. Dazu tritt die unübertreffliche Instrumentation der Partitur. Kein Wunder, daß das Bruckner'sche Orchester so wunderschön klingt. Von der im letzten philharmonischen Concerte aufgeführten D-moll-Symphonie überragen der erste und vierte Satz an Größe der Erfindung, an Mächtigkeit der musikalischen Sprache vielleicht die beiden Mittelsätze, die dagegen durch die größere Klarheit in Plan und Aufbau dem Zuhörer gleich vom ersten Anfange an zugänglicher sind. Die innige Feierlichkeit des zweiten und der geniale Wurf des dritten Satzes haben denn auch letzthin sofort das gesammte Publicum ergriffen und hingerissen. Es ist kein Zweifel - die Zuhörer sind bereits auf dem besten Wege, Bruckner bewundern und lieben zu lernen. Es war ein aufrichtiger Beifallssturm, der am verflossenen Sonntag von allen Ecken und Enden des großen Musikvereinssaales und nicht etwa nur aus dem demonstrirenden Stehparterre unaufhaltsam losbrach." (**).

Artikel zum Wiener Konzert bringen auch die Ostdeutsche Rundschau Nr. 39 auf S. 6:
          "Viertes Philharmonisches Concert. Mit einem geradezu beispiellosen Erfolge wurde die d-moll-Symphonie Anton Bruckners aufgenommen, trotz Hanslick, Heuberger und Consortem [!]. Nach dem ermüdenden Violinconcert von Grädener ein doppelter Genuß. Wir kommen auf dieses Concert in der nächsten Nummer ausführlichst zurück." (***)

und das Wiener Salonblatt Nr. 52 auf S. 10:
                    "Oper und Concert.
Die Weihnachtswoche hat ihre eigene Musik. Engel machen sie. Ihr Concertsaal ist der weite Himmel, ihre Beleuchtung sind die Sterne. [...]
     Ein einziges Concert war es daher, das die Weihnachtswoche brachte, allerdings ein gewichtiges und, wie wir auch sehen werden, in gewissem Sinne auch ereignißreiches. Wir meinen das vierte Abonnement=Concert der Philharmoniker vom Sonntag den 21. d. M. [... über Beethovens "Leonore", Brodsky und Grädeners Violinkonzert ...] es scheint, als sei es dem Componisten nur stets um die Form und niemals um den Inhalt zu thun gewesen. - Von unserem alten Bruckner kam dessen fünfte Symphonie [sic!] in D-moll zur Aufführung. Das Werk, das sofort in seinen ersten Takten sich an die neunte Symphonie Beethoven's anlehnt, ist groß angelegt, aber, besonders in seinem ersten Satze, zu lang gerathen und zu unruhig in der thematischen Behandlung. Weit geschlossener tritt der zweite Satz mit seinem wunderbaren Adagio auf und der dritte, das Scherzo, ist ein künstlerisch durchaus vollendetes Meisterwerk. Das Finale bringt die Composition, indem dieselbe wieder zu den Anklängen an die neunte zurückkehrt, zum grandiosen Abschlusse. Dem Künstler, der die Genugthuung erfahren, daß einige Tage vorher seine vierte Symphonie - die romantische - in München zu äußerst erfolgreicher Aufführung gelangte, empfing auch in unserem Musikvereinssaale herzliche Ovationen. Diese Ovationen hätten auch von ihrem Werthe nichts verloren, wenn sie weniger demonstrativ gewesen und sich nicht so arge Uebertreibung hätte zu Schulden kommen lassen.
     [... über Opernaufführungen ... Signatur auf  S. 11:] Wilhelm Frey." (°).

IV. (II.) Interner Musik-Abend des Wagner-Vereins um 1/2 8 Uhr im kleinen Musikvereinssaal in Anwesenheit Bruckners (°°).
    Unter Josef Schalks Leitung erklingt das Credo der f-moll-Messe (Violinsolo: Duesberg) mit Ferdinand Foll als Klavierbegleiter (°°°).
    Die Gesangssolisten sind Friederike Mayer (Graz), Frau Parger [Barger?], Winkelmann, Herr Parger (#).
    Neben Werken von Richard Wagner (aus den »Meistersingern« und Albumblatt), Weber (Arie aus »Euryanthe«, Solist: Winkelmann), Liszt (Elegie), Schumann (Mit Myrthen und Rosen) und Beethoven (Klaviertrio D-Dur op. 70 mit Duesberg, Luka und Schalk) (#a) werden auch Lieder von Wolf aufgeführt (Solistin: Frl. Mayer) (#b); auch hier wirkt Ferdinand Foll als Pianist mit (#c).
    [Die am 25.12.1890 angekündigten Mittelsätze der 6. Symphonie, die Löwe spielen sollte (##), wurden vermutlich kurzfristig vom Programm genommen (###).]


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189012285, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189012285
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08