zurück 20.12.1892, Dienstag ID: 189212205

Besprechungen der 8. Symphonie "Bruckner's "Achte"" durch Camillo Horn im Deutschen Volksblatt Nr. 1425 auf S. 1f :
"               Aus dem Concertsaal.
                   Bruckner's "Achte".
     Der Lebensgang eines Geistesheroen bietet stets dieselben Steigerungen. Anfangs unterschätzt, nach und nach zur Geltung zugelassen, kommt endlich für ihn spät, aber doch der Zeitpunkt der wirklichen Anerkennung. So war es und wird es wohl immer bleiben. Selbst Anton Bruckner sollte keine Ausnahme vorstellen. In seinen späten Jahren gelingt es ihm erst, den Beifall des großen Publikums zu erringen.
     Ihm galt nun die bisher beste und bedeutendste künstlerische Leistung unserer Philharmoniker (von einer weiteren wohl kaum zu übertreffen), die sonntägliche Wiedergabe seiner bislang noch unaufgeführten großen C-moll=Symphonie Nr. 8.
     Professor Doctor Anton Bruckner hat mit seinem neuen Werk abermals bewiesen, daß er der erste Contrapunktiker der Gegenwart ist und bleibt. [... großartige Gestaltungskraft, meisterhafte Instrumentation, dazu "deutsches Fühlen und Denken" ...]
     [... "echtdeutsches Empfinden": Opernplan "Ekkehard", "Das deutsche Lied" [WAB 63], "Germanenzug" ... was sind fremdländische Stoffe und Komponisten "gegen den Riesengeist eines Bruckner"? ...]
     Bruckner ist in erster Linie Symphoniker. Hierfür sprechen [...] die Größe und Breite seiner Gedanken [... an Grabbe gemahnend ... anderthalb Stunden ungestört für ein einziges Werk ...] und so genoßen wir ein wirklich stilvolles Concert.
     Ueber die vorzügliche Aufführung und begeisterte Aufnahme, die vielleicht hinterher von mancher Seite bemängelt werden mag, haben wir schon an anderer Stelle gesprochen. Wir können aber dem Drange nicht widerstehen, den Leser an der Hand der bei Haslinger (Lienau) in Wien erschienenen Orchester=Partitur auf einzelne große Schönheiten des Werkes zu verweisen, soweit uns hier der Raum vergönnt wird.
     Gleich der Beginn des ersten Satzes bringt eine Ueberraschung, [... Beschreibung des Satzverlaufes ... die Geigen] verlieren sich imitatorisch in räthselhafter Ferne, zugleich einen der seltsamsten Schlüsse des genialen Meisters bildend.
     [... kurz zu Scherzo und Trio (mit Harfe) und Adagio (das 2. Thema der Celli erinnere an die "Götterdämmerung" [sic]) ... ]
     Daß auch in diesem Satze Anton Bruckner zeigt, was er vermag, ist selbsterständlich [sic]. Alle früheren Sätze aber werden durch das Finale, den eigentlichen Stolz des Meisters, darin geschlagen. Hier läßt der Tondichter, wie er sich Referenten gegenüber einmal äußerte, "die Avantgarde vorrücken", alle Minen seiner contrapunktischen Künste springen und bringt, wie Richard Wagner in seinem großartigen Vorspiele zu den "Meistersingern", ebenfalls drei Hauptthemen (das des ersten, zweiten und dritten Satzes) zu gleicher Zeit zur Verwendung. Was höchste Kunst zu leisten im Stande ist, ist hier vollbracht; dennoch steht unserem Herzen bis jetzt der erste Satz am nächsten, besonders, da ihn fließende Einheitlichkeit auszeichnet. Für die Ausführung seiner großen Gedanken bedient sich Bruckner eines ebenbürtigen, des großen Wagner'schen Orchesters mit seiner dreitheiligen Instrumentation.
     Diesmal wird Meister Bruckner gewiß zu der für ihn und seine treuen Anhänger freudigen Erkenntnis gelangt sein, daß sein edles, geistvolles Schaffen hier aufrichtige Anerkennung gefunden hat. Möchte nun auch an zahlreichen anderen Orten der "deutsche Michel" erwachen!
     Heute aber schon freuen wir uns auf die Vollendung seiner nächsten, der neunten Symphonie.
                                                Camillo Horn." (*)
 
und Wilhelm Frey (signiert "W. Fr.") im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 352 auf S. 6:
"     Konzert. Das vierte Abonnementkonzert der Philharmoniker war einer einzigen Nummer, einem Werke allein gewidmet: der achten Symphonie Anton Bruckner's. [... "geschlagene fünf Viertelstunden" ... nur Bruckner allein ...] Im Auditorium vermißte man denn am vergangenen Sonntag so manchen ständigen Besucher und Andere waren an deren Stelle gerückt. Es war in den Reihen der festererbten Plätze ein vorübergehender Besitzwechsel eingetreten, ein Besitzwechsel, der für die Beobachtung des Geschmacks, der Richtung und Parteinahme unseres Konzertpublikums nicht ganz ohne Bedeutung ist. Dieser Kaiser Franz Josef gewidmeten C-moll-Symphonie war auf dem Programm eine Erläuterung beigegeben, die an hochtrabendem Pathos und an erklärendem Schwulst schon das Lächerlichste bietet, was man in solchen und ähnlichen Führern wohl noch gelesen und erlebt, und an Stelle Bruckner's hätten wir uns diesen Leitfaden überhaupt und aufs ernstlichste verbeten, weil derselbe nur dazu beitragen konnte, das Werk und dessen Schöpfer zu kompromittiren. Es ist gleichsam wie eine tragische Schuld unseres Meisters, daß er mit dem Schutze und den Kränzen seiner übereifrigen Freunde auch deren Leitfaden sich gefallen lassen muß.
     Doch zur Symphonie selbst. [... vier Sätze, "fast anderthalb Stunden", längste "Göttlichkeit" ... "In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister" ...] Haben wir nun aber den Finger auf die verwundbaren Seiten unserer neuesten Symphonie gelegt, so wollen wir anderseits erklären, daß Bruckner's Gedanken in seiner C-moll-Symphonie weit geschlossener und konziser sich geben, als in seinen vorangegangenen Werken. [... neben Anklängen an Wagner "eine ganze Fülle selbsterfundener und selbsterlebter Momente" ... tiefer Eindruck des 1. Satzes, Lob für Scherzo, im Adagio "zartempfundene Stellen" ...] und dem letzten gehört der pathetische Schritt, die Feierlichkeit und die glänzende Instrumentation, ein hoher Vorzug des gesammten Werkes, kommt den Intentionen dieses prunkvollen Finale gar sehr zu statten. Die Aufnahme, die nun diese C-moll-Symphonie am vergangenen Sonntag gefunden, war eine begeisterte. Meister Bruckner mußte nach jedem Satze unzähligemale auf dem Podium erscheinen und für jeden Satz auch einen mächtigen Lorbeerkranz in Empfang nehmen. Es war ein glücklicher Tag für unseren Wiener Künstler, und wir wünschen ihm von Herzen, daß es ihm vergönnt sei, nicht nur seine "Neunte" zu vollenden, sondern mit derselben auch alle Ehren zu erfahren, die ihm die "Achte" gebracht.             W. Fr." (**)

Ein Bericht, signiert "H." [Heuberger?], erscheint auch in der Allgemeinen Zeitung München Nr. 353, Abendblatt, auf S. 1:
"Kleine Zeitung.
[...]
      H. Wien, 19. dec. Gestern wurde hier Bruckners 8. Symphonie (in C-moll) im vierten Abonnementsconcerte der Philharmoniker aufgeführt und erzielte großartigen Erfolg, in erster Linie wohl duch die bewunderungswürdige Aufführung unter Hans Richters genialer Leitung und durch die Pracht der Orchestration. Das Programm enthielt nur diese eine Nummer, welcher Vorgang durch die abnorme Länge der Composition wohl begründet war. Das Adagio allein dauerte fast 1/2 Stunde. Ein poetisches "Programm", das beim äschyleischen Prometheus anknüpfte, um über den "deutschen Michel" (dieser soll im Scherzosatze gemeint sein) bis zum Erzengel Michael zu gelangen, hat einige Heiterkeit erregt. Es soll von einem der Bruckner'schen Adepten verfaßt sein und dürfte kaum mit ausdrücklicher Zustimmung des Meisters die Dunkelheit der Druckerschwärze erblickt haben. Bruckner wurde oft und oft hervorgerufen und erhielt einige schöne Kranzspenden." (***).

Die Linzer Tages-Post Nr. 290 bringt auf S. 4 eine kurze Notiz:
"     (Bruckners Symphonie.) Die gestern in Wien mit großem Erfolge zur Aufführung gekommene achte Symphonie von Professor Anton Bruckner hat derselbe bekanntlich in Steyr vollendet." (°).

Dem Inserat in "Het vaderland" Nr. 300 ('s-Gravenhage) auf S. 4 kann man die genaue Programmfolge des Konzerts am 21.12.1892 mit der 3. Symphonie entnehmen (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189212205, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189212205
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11