zurück 5.1.1893, Donnerstag ID: 189301055

Brief Theodor Helms an Bruckner:
     Erwidert den Neujahrsgruß und dankt für den großen Eindruck der 8. Symphonie. Den Klavierauszug der 2. Symphonie, die wohl absichtlich einfacher als die 1. Symphonie gehalten sei und die er 1876 nicht verstanden habe, habe er sofort nach Erscheinen mit seiner Tochter gespielt. Er sehne sich nach den Ausgaben der noch fehlenden Symphonien Nr. 1, 5 und 6. Er sei von der d-moll-Messe begeistert. Dankt für den eben eingetroffenen Wein. Ein Hoch auf die 9. Symphonie! (*).

Der Steyrer Alpen-Bote Nr. 2 übernimmt auf S. 2 in einem Artikel über die 8. Symphonie einen Bericht der Wiener Abendpost.
"               Bruckners achte Symphonie.
     Ueber die Aufführung dieses Tonwerkes lesen wir in der "Wiener Abendpost": "Es ist eine nicht wegzuleugnende Erscheinung, dass die noch nicht gereiften, aber frischen geistigen Organe des heranwachsenden Geschlechtes [... von geringen orthographischen Modifikationen und Hervorhebungen durch Gesperrtdruck abgesehen, wortgetreue Wiedergabe des Originaltextes ab der Mitte des zweiten Absatzes ...] zugleich einen Ehrentag unseres unübertroffenen Hans Richter bedeutet."
     Wir freuen uns aufrichtig dieses großartigen echten Erfolges unseres berühmten Landmannes [sic], umsomehr, als dieses Werk in Steyr entstanden ist und vollendet wurde, ein echtes "Steyrer Kind" ist. wie der große Componist selbst es als solches bezeichnet." (**).

Die Linzer Tages-Post Nr. 4 bringt auf S. 5f eine Kritik von August Stiglbauer, in der aus einer Kritik des Wiener Tagblattes zur 1. Symphonie [nach dem 13.12.1891, Richard Heuberger?] zitiert wird:
»   Die neueste (VIII.) Symphonie von A. Bruckner.*)
[Fußnote: "*) Wegen Raummangels verspätet."]
          (Kaiser Franz Josef I. gewidmet.)
                                               Wien, 20. December.
     Meister Bruckners VIII. Symphonie in C-moll wurde Sonntag den 18. d. M. von den Philharmonikern im großen Musikvereinssaale zum erstenmale aufgeführt. Sie bildete allein das Programm des Concerts. So gehörte denn dieser Tag voll un dganz unserem landsmännischen Meister.
     Wie ist denn die Symphonie ausgefallen
     Nun, da habt ihr's gleich, liebe Landsleute, ein Triumph, ein voller Sieg unseres Meisters war der Tag, und wenn je ein Werk und ein Tondichter aus aufrichtigstem Herzen, ohne Zuhilfenahme einer gekauften Claqueurschar, einen Erfolg errang, so war es diesmal der Fall.
     Bruckner hat in Wien lange Zeit fast unüberwindlich Schwierigkeiten zu bekämpfen gehabt und hat infolge einer vielfach einseitig kritisierenden Presse auch heute noch einen schweren Stand; wohl kann auf ihn das Wort Hans Sachsens aus Wagners "Meistersinger" gelten: "Wer als Meister ward geboren, hat unter Meistern den schwersten Stand."
     Doch das Sieghafte der Musik bricht sich eben Bahn, trotz aller Splitterrichterei, und endlich ist die Welt zur Einsicht gekommen, wer und was Meister Bruckner ist.
    Natürlich, wer von vorneherein der neudeutschen Musikrichtung gegnerisch gegenübersteht, für den darf eine Composition Bruckners nichts Gutes bedeuten; daher verstieg sich schon bei der Besprechung der ersten Symphonie Bruckners in der letzten Concertsaison der Recensent des "Wiener Tagblatt", Herr R. H., zu der ungeheuerlichen Aeußerung: "Gegenüber der klar umrissenen Musik anderer Meister nimmt sich Bruckners Composition aus wie – Musikdämpfe."
     Es wäre wohl schwer zu sagen, welcher der aus vier Sätzen bestehenden achten Symphonjie der schönste sei; wenn ich nun doch einem Satze den Preis zuerkennen müßte, so würde ich ihn dem himmlischen Adagio reichen, einem Tonstücke voll heherster Tiefe, voll Ernstes und Religion; der Schluß dieses Satzes ist vielleicht das Schönste, was Bruckner geschrieben, und kann nur der tiefen, innigsten Gottesverehrung Bruckners entsprungen sein; denn wie vor dem Throne des Allerhöchsten kniend, erstirbt er gleichsam in Anbetung.
     Ebenso eigenartig ist der Schluß des ersten Satzes, wo nach einigen markerschütternden dissonierenden Fortissimo=Accorden allmählich Ruhe eintritt, welche sich bis in ein Pianissimo verliert, womit der Satz ohne Accord schließt.
     Sehr charakteristisch ist das Scherzo mit dem von Bruckner selbst so benannten Thema "Der deutsche Michel", der auf seinem Thema in c-moll hartnäckig besteht und von den anderen Instrumenten arg behandelt wird; zuerst wie zierliche, perlende Thautropfen, dann wie schäumende Cascaden stürzen sie über den Michel her; ihm aber thut das nichts; er zieht die Jacke über den Kopf und lacht. (So ungefähr dachte sich Bruckner diesen Satz.)
     Das grandios dahinschreitende Finale in seiner erhabenen Schönheit – bei dem leider der Recensent des "Wiener Tagblatt" eine "furchtbare Gedankenleere", ich aber das Gegentheil gefunden habe – schließt das Werk würdig ab und vereinigt zum Schlusse noch die Hauptthemen der Werkes.
     Die Aufführung war herrlich; Hans Richter, mit Leib und Seele am Dirigentenpulte, bot uns mit den Philharmonikern eine Leistung, die nicht genug zu rühmen ist; das riesig schwierige Werk in solch' exacter Weise zu geben, alle Klangschönheiten und die ganze Farbenpracht der Symphonie in so mackelloser [sic] Reine zu bringen, das können eben nur – mit Stolz sagen wirs – unsere Philharmoniker.
     So hat denn unseres großen Landsmannes Muse wieder einen vollen Sieg errungen; selbst die Gegner geben zu, daß es kein "Parteisieg" war, sondern allgemeine Begeisterung. Denen aber, die in unbegreiflicher Hartnäckigkeit oder in grober Unkenntnis ihr Herz den Tönen der neuen Schule verschließen, deren geistiges Auge sich den Heroen Wagner, Liszt, Bruckner noch immer nicht geöffnet hat, denen rufen wir – denn schon ist es an der Zeit – zu: "Ehret Eure deutschen Meister!"
                                   Aug. Stiglbauer." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189301055, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189301055
letzte Änderung: Jul 11, 2023, 22:22