zurück 15.4.1894, Sonntag ID: 189404155

[oder 1.4.1894?] Ursprünglich geplanter Termin eines Konzerts [des Wiener Akademischen Wagner-Vereins] mit den Wiener Philharmoniker unter Hans Richter mit der Aufführung der 2. Symphonie (*).
Offensichtlich war auch Siegfried Wagner als Dirigent [des zweiten Programmteils] in Erwägung gezogen worden [vgl. "Anfang April 1894" und Theodor Helms Bericht vom 12.4.1894] (*a).

Brief von Siegfried Ochs an Bruckner:
     Frau A. Sommerfeld aus Berlin habe kürzlich an Bruckner geschrieben und um Material für die Zeitschrift »Über Land und Meer« gebeten. Dies halte er, Ochs, für sehr gut; daher bitte er Bruckner, eine Photographie und einige Takte aus dem »Te deum« mit Unterschrift zuzuschicken (**).
[siehe die Anmerkung]

Der Alpen-Bote Nr. 30 meldet auf S. 4 die erfolgreiche Aufführung der 5. Symphonie am 9.4.1894:
"               Verschiedenes.
                                Steyr,
14. April
(Bruckners Fünfte Symphonie in B-Dur), die contrapunktisch kunstvollste und verwickeltste, aber eben darum auch schwerst verständliche von allen, ist, wie man der D. Ztg. aus Graz schreibt, dortselbst am Montag den 9. d. unter Kapellmeister F. Schalks Leitung zur überhaupt ersten orchestralen Aufführung gelangt. Und zwar mit ganz unglaublichem Erfolge. Von Satz zu Satz steigerte sich die Wirkung, und am größten war der Eindruck des nur den allergroßartigsten Choralfugen von J. S. Bach zu vergleichenden Finales. Die elementare Gewalt der riesenhaften Schlußsteigerung darin hat selbst die kühlsten und conservativsten Hörer förmlich niedergeschmettert! Nach der Symphonie gab es ein endloses Bedanken des ganzen Orchesters, das mit wahrem Feuereifer spielte, und nur die Anwesenheit des Meisters fehlte, um dem Augenblick eine ewige Bedeutung zu geben. Unstreitig hat sich Kapellmeister Schalk, der begeisterte und unermüdliche Leiter des Ganzen, durch diese denkwürdige Erstaufführung um das Musikleben in Graz ein unvergängliches Verdienst erworben." (***).

Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 8 berichtet auf S. 102 vom Konzert der Wiener Singakademie [am 29.3.1894], bei dem Kirchl den »Germanenzug« dirigiert hat, signiert "-d -r.":
"           Zweites Singakademie-Concert.
     Die "Wiener Singakademie", die durch lange Jahre das falsche System befolgte, möglichst wenig Geld auszugeben und – wie man sagt – "mit Wasser zu kochen", hat einen neuen, richtigen Weg eingeschlagen. Sie veranstaltet große, eines ersten Musik=Institutes würdige Aufführungen und wird – falls sie in diesem Bestreben auszuharren willens ist – in Kürze die Früchte dieser segensreichen Umkehr ernten. [...] Einen bedeutsamen Schritt nach Vorwärts that das Institut mit seinem zweiten diesjährigen Concerte, das den problematischen Erfolg des ersten reichlich aufzuwiegen imstande war. Schon das Programm war mit Geschick gemacht. Es enthielt Bruckner's "Germanenzug", Beethoven's Chor=Phantasie und "Christus am Oelberge" [... unter Grädener, mit Ferdinand Löwe (Klavier) etc. ...]. Den "Germanenzug" dirigirte Herr Kirchl, Chormeister des "Schubertbund". Die Ergänzung der ewig nur weiblichen "Singakademie" durch Herren aus dem immer frischer aufstrebenden "Schubertbund" ist nicht genug zu loben. Erst dadurch ist ein wirklich klangkräftiger, zur Ausführung großer Werke tauglicher Chor entstanden. Das moderne Gegenstück zum Raub der Sabinerinnen ist der Raub der Schubertbündler durch die Singakademikerinnen.      –d –r.
    
     Concert des "Schubertbund".
 
    Seitdem der "Akademische" so sehr in den Hintergrund getreten, ist der "Schubertbund" zu ansehnlicher Größe aufgewachsen. Seine Mitgliederzahl und die Schulung derselben hat bedeutend zugenommen, künstlerischer Sinn – Zeichen dessen die freudige Mitwirkung bei den Veranstaltungen der "Singakademie" – ist im Wachsen begriffen, durch den jugendlichen Chormeister Herrn Kirchl ist dem Vereine eine frische Kraft zugeführt worden. [... fast auf dem Niveau des WMGV ... mehr jüngere Stimmen als dieser ...]. Das Sonntag, den 8. April, stattgehabte Concert hat diese unsere Ansicht vom Neuen bestärkt. Das Programm brachte [...]. –d –r." (°),

auf Seite 104 von der Grazer Aufführung der 5. Symphonie [am 9.4.1894]:
"            Correspondenzen.
     Graz.
Als hervorragendstes Ereignis des abgelaufenen Theatermonates verdient die Erstaufführung der komischen Oper "Die verkaufte Braut" von F. Smetana genannt zu werden. [... über diese Oper und ein Symphoniekonzert ...]. – Unser verdienstvoller Opernkapellmeister Herr Franz Schalk, ein bevorzugter Schüler und begeisterter Anhänger Anton Bruckner's, hatte die Idee gefaßt, seine außerordentliche Begabung auch einmal in einem Symphonie=Concerte zu bethätigen. Er konnte seine Idee auch auf keine würdigere Weise in Ausführung bringen, als durch die Wahl der bisher noch nirgends aufgeführten V. Symphonie in B-dur seines berühmten Meisters. Das Concert, welches am 9. April im hiesigen Stadtparktheater stattfand, war allerdings nur mäßig besucht, dafür hatte sich aber ein großer Theil des Bruckner'schen Generalstabes aus Wien eingefunden, der denn auch einen nicht geringen Antheil an dem bedeutenden äußeren Erfolge der Novität hatte. Der gewaltige Einfluß Richard Wagner's ist auch bei diesem großen Tonwerke nicht zu verkennen; unleugbar ist die ganz enorme contrapunktische Kunst, die großartige Virtuosität in der Instrumentation, welche Bruckner auch hier bethätigt hat. Daß die Bruckner'sche Musik nirgends eine ganz ungetheilte Anerkennung finden konnte, hat sich übrigens auch bei dieser Aufführung wieder bestätigt. Herr Kapellmeister Schalk, welcher mit seinem aus nicht ganz gleichwerthigen Kräften verstärkten Orchester eine bedeutende Leistung erzielte, wurde mit stürmischen Beifall geradezu überschüttet. An dem Concerte wirkte der Pianist Richard Epstein mit und erzielte mit dem virtuosen Vortrag des Es-dur-Concertes von Liszt einen bedeutenden künstlerischen Erfolg. Außerdem gelangte noch die Ouvertüre "Zur Weihe des Hauses" von Beethoven und das Vorspiel zu "Meistersinger von Nürnberg" von R. Wagner in gediegener Weise zur Aufführung.     W. v. R." (°°)

und auf Seite 109f von einem Konzert des MGV »Arion« am 6.4.1894, bei dem der »Germanenzug« aufgeführt wurde:
"      Der Wiener Männergesangverein "Arion" veranstaltete am 6. April l. J. wie alljährlich sein Wohlthätigkeitsconcert im Bösendorfer Saale und stand dasselbe unter dem Protectorate Ihrer Excellenz der Frau Gräfin Anastasia Kielmannsegg, [... Chormeister Hans Rehbeck ...] hatte die Freude, einen vollen Erfolg zu erzielen. Bruckner's kräftiger und wirklich schöner Chor: "Germanenzug" leitete das Concert ein, darauf folgte die "Nachthelle" von Schubert. [... Mitwirkende: Frl. Josefine v. Statzer, Herr Schuchert, Carl Mühl und Emil Donauer, Maximilian v. Ambros (Klavierbegleitung) etc. ...].   Keller." (°°°).

Das Deutsche Volksblatt Nr. 1897 bringt auf S. 6 eine mit "a" (oder "u"?) signierte Kritik über die Aufführung des Quintetts [am 10.4.1894]:
"     – Nach Absolvirung seiner beliebten Kammermusikabende veranstaltete Herr August Duesberg ein (II.) Volksconcert im großen Musikvereinssaal. [... Grieg (mit "Duesberg und seiner Braut Frl. Javurek") ... Johanna Schönberger ("prächtige Altstimme") ...] Als hervorragendste Nummer des Abends aber muß Dr. Anton Bruckner's berühmtes Streich=Quintett, gespielt vom Ersten Wiener Volksquartett und Herrn Hajek (zweite Viola), bezeichnet werden, unstreitig das größte Werk der modernen Kammermusik. Insbesondere gefiel das wundervolle Adagio, das mit seiner süßen Klangwirkung auch diesmal unwiderstehlichen Zauber ausübte. Den Mittelstimmen des Quartettes hätte wohl ein stellenweise etwas entschiedeneres Auftreten nicht geschadet. Herr Duesberg selbst [... dessen Solovorträge ... Kritik an einigen "unbedeutenden Compositionen" ...] als es sich doch um ein deutschnationales Concert, das alles Fremdländische ausschließt, handelte. Schließlich sei auch des Pianisten Herrn Bause gedacht, der als bewährter und längst gewürdigter Begleiter auch in diesem anregenden Concert seinen Mann stellte.                 a " [oder "u"?] (###).

Über dieses Konzert schreibt auch die Ostdeutsche Rundschau Nr. 102 auf  S. 9 (signiert "-r-", mit einer Bemerkung über die Struktur des Wiener Akademischen Wagner-Vereins):
"     Duesberg's zweites Volkskonzert. Mit dem großen Volkskonzert im Musikvereinssaale schloß am 10. April das "Erste Wiener Volksquartett" eigentlich erst seine diesjährige Wirksamkeit. Dieses Konzert hat gezeigt, daß die Deutschnationalen Wiens ein kunstbegeistertes Kontingent zu stellen in der Lage sind, [...].
    Die beiden Höhepunkte des Konzertes lagen in der Aufführung des "Brucknerquintettes" durch das "Erste Wiener Volksquartett" und in dem Vortrag zweier neuer Kompositionen Josef Reiter's durch Ernst Appel. Anton Bruckner's Streichquintett ist in jedem Satze ein Meisterwerk der Kontrapunktik, welches, sofern es die erforderliche Wirkung ausüben und verstanden werden soll, über die Bewältigung der äußerst großen technischen Schwierigkeiten hinaus eine so tiefe Verinnerlichung der wiedergebenden Künstler und der empfangenden Zuhörerschaft verlangt, wie sie es bei beiden Theilen nur in den allerseltensten Fällen anzutreffen ist. Die Aufführung, die zwar von vielem Fleiße zeugte, blieb uns Manches schuldig. Abgesehen von einigen Unreinheiten, deren Ursache einer unserer Freunde in dem beständig und von jedem einzelnen Spieler nach Willkür angewandten Tremolo [vermutlich gemeint: Vibrato] zu finden glaubte, wurde das Brucknerquintett technisch zwar bewältigt, aber das Eindringen in den Geist der Werks – das fühlte jeder Kenner der Bruckner'schen Werke – war nicht tief genug, um die dem Werke innewohnenden Schönheiten zu Tage zu fördern. In Anerkennung seiner sonst so gediegenen Leistungen wollen wir dem Duesbergquartett daraus keinen Vorwurf machen, glauben aber bemerken zu sollen, daß für ein Volkskonzert ein Beethovenquartett vielleicht doch zweckentsprechender gewesen wäre, wie das ebenso schwer zu spielende als schwer verständliche Brucknerquintett. Bruckner hat heutzutage nur einen verhältnismäßig kleinen Kreis. Wenn dieser Kreis auch über die Bannmeile des Akad. Richard=Wagnervereines hinausgeht, in dem recht viele Elemente sitzen mögen, die, heute noch in der Minderzahl, anders reden, als sie denken, und anders reden werden, wenn sie über kurz oder lang eine Mehrheit bilden, so ist doch zu bedenken, daß dieser Kreis durch eine unvollkommene Aufführung kaum die verdiente Erweiterung erfahren dürfte.
     Reiter's Ballade "Frau Hitt" halten wir für ein bedeutendes Werk; [...]
                                                        –r– " (a).
[Duesberg hat sich offensichtlich bei dem Referenten beschwert, worauf dieser (diesmal signierend "Th. A.") am 18.4.1894 reagierte [vermutlich Theodor Antropp (vgl. Anmerkung (###) zum 4.9.1894)]. Duesberg wiederum äußerte sich dazu nochmals am 25.4.1894 (siehe auch die Anmerkung)]

Ein Artikel in der Musikalischen Rundschau Nr. 8 auf S. 63 befaßt sich mit der Ablehnung Bruckners durch Bülow:
"                  Vermischtes.
[...] Eine starke Abneigung hegte Bülow gegen den Tondichter Anton Bruckner. Um ihn lächerlich zu machen, erlaubte er sich mancherlei Ulk. Als er einstens ein Beethoven=Concert in Budapest gab, telegraphirte er in der ersten grösseren Pause an den Wiener Musikverleger Gutmann: "Auf allgemeinen Wunsch wird Anton Bruckner auf den erledigten Thron Bulgariens berufen." Der schon durch diese Depesche in seiner Nachtruhe gestörte Musikverleger wurde nach ein paar Stunden nochmals durch ein Telegramm aus dem Schlafe geschreckt, in dem Bülow meldete: "Anton der Einzige ist bereits mit Jubel in Sofia aufgenommen und hat sich schon sein Ministerium bestellt." Dieses wies die Namen von vier Verehrern Bruckner's auf." (b).

Kurzkritik zum Konzert vom 29.3.1894 (mit dem »Germanenzug«) im Wiener Salonblatt Nr. 15 auf S. 11:
"    * (Concerte.) Am 29. v. M. versammelte sich im großen Musikvereinssaale ein sehr distingirtes Publikum, um dem Concerte der Wiener Singakademie beizuwohnen. Das Programm brachte durchwegs interessante Nummern allerersten Ranges, den Männerchor "Germanenzug" von Bruckner, Beethoven's "Phantasie" und das Oratorium desselben Meisters "Christus am Oelberge". In beiden letzteren Piècen brillirten Frau Selma Nicklaß=Kempner, Hofopernsänger Dippel und Herr Rudolf Oberhauser in den Solopartien. – [... Sarasate und Gustav Walter ...]" [keine Signatur] (c).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189404155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189404155
letzte Änderung: Dez 12, 2023, 22:22