zurück 15.12.1895, Sonntag ID: 189512155

Bruckner-Nummer der Österreichischen Musik- und Theaterzeitung 8 (1895), Heft Nr. 6/7, mit Beiträgen von:
Theodor Helm (»Dr. Anton Bruckner. Eine biographische Skizze«) auf Seite 1 - 4 (*a) [Textauszug siehe unten], »Bruckners VIII. Symphonie« auf Seite 5 - 8, »Bruckner's Dirigenten« auf Seite 10f) (*),

B. Lvovsky (»Große Messe Nr. 3 in f-Moll von Anton Bruckner«) auf Seite 4f [Textauszug siehe unten] (**),
V. B. [= Victor Boller] (»Aus dem Leben Anton Bruckners«) auf Seite 8 - 10 [Textauszug siehe unten] (***)
und Victor Joss (»Eine Erinnerung an Meister Bruckner«) auf Seite 11 (°),
einem Bericht über Bruckners Befinden [??] (°°)
und auf Seite18 einer Antwort auf einen (möglicherweise fingierten) Leserbrief:
   "Mittheilungen und Notizen.
   - Diejenigen unserer geschätzten Leser, welche anlässlich des Inhaltes der heutigen Nummer voraussichtlich eine Anfrage an uns richten dürften, verweisen wir auf die heutige „Correspondenz der Redaction”, worin wir einen uns von einem Freunde unseres Blattes zugekommenen Brief ausführlich beantworten."
und weiter unten auf derselben Seite:
   "Correspondenz der Redaction.
   F. D., hier. Sie fragen an, aus welcher „äusseren Veranlassung” wir eine sogenannte Bruckner-Nummer vorbereiten? Ist es doch Pflicht eines unparteiischen Fachblattes, auch diesen bedeutenden Meister zu würdigen. Uebrigens kommt noch der Umstand hinzu, dass am 18. December d. J. in Dresden die achte und in Budapest die fünfte Symphonie dieses Componisten zur Aufführung gelangen; nicht viel später in Wien die vierte (romantische). Da hätten Sie also die „äussere Veranlassung”. Unser Blatt ist ganz und gar unabhängig und gehört keiner Clique an; wir sind weder „Brucknerianer” noch „Brahmsianer”, sondern schätzen beide Meister hoch! Dass wir auch die uns sonst nicht sehr sympathische „äusserste Linke” im Wiener Musikleben zu Worte kommen lassen, mag Ihnen der Aufsatz über Hugo Wolf im heutigen Blatte zeigen. Im Uebrigen ist uns die Meinung von Hinz und Kunz ganz gleichgiltig; wir gehen unseren eigenen Weg und scheuen Niemand." (°°°).

Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 24 teilt auf S. 317 mit, daß der Bildhauer Percival M. F. Hedley von mehreren Musikern, darunter auch Bruckner, Büsten angefertigt hat:
"     — Musiker=sten. Der jugendliche Bildhauer Percival M. F. Hedley, dessen letztes Werk, das erst kürzlich aufgestellte Grabdenkmal des verstorbenen Dirigenten des Ambrosius=Vereines, Prof. Josef Böhm, die vollste Anerkennung fand, hat schon zur Zeit der Musik= und Theater=Ausstellung durch seine charakteristischen Büsten der Componisten Richard Wagner, Anton Bruckner, Franz Schubert, Ludwig van Beethoven, Mozart, Franz Liszt, Rob. Schumann, Jules Massenet, Mascagni, Leoncavallo berechtigtes Aufsehen erregt. Neuerdings ist nun die Reihe der Büsten erweitert worden, indem Charles Gounod, Theodor Leschetitzky, die Mitglieder des böhmischen Streichquartettes und Alfred Grünfeld in ebenso gelungener Ausführung hinzugekommen sind. Die Hedley'schen Büsten (in Elfenbeinmasse 2, 3, 4 und 5 fl., in Bronzeguß 20 fl.) können wohl als die sinnigsten Weihnachtsgeschenke für Musiker bezeichnet werden. Wir können den Lesern auch noch weiters miltheilen, daß in kürzester Frist die Sammlung um die Büsten von Eugen d'Albert und Johannes Brahms erweitert wird und auch Meister aus anderen Gebieten, wie Josef Lewinsky, Sudermann, Hamerling, Kopernikus, Darwin aufgenommen werden." (#).

Auf Seite 313 ein Bericht von der Klavieraufführung der 5. Symphonie [am 28.11.1895]:
"     Den ersten Musikabend des Wagner=Vereines am 28. v. M. verschönte Herr Winkelmann durch seine Mitwirkung, indem er die Arie aus Euryanthe „Wehen mir Lüfte" und das Preislied aus den „Meistersingern" vortrug; der Beifall war natürlich sehr stürmisch. Frl. Sofie Chotek, die Lieder von Liszt, Wagner („Der Engel" und „Schmerzen") und H. Wolf (neben den höchst manierirten spanischen und italienischen Liedern das schöne „An eine Aeolsharfe") sang, ist als eine feinfühlige Sängerin bekannt, die wohl nicht durch große Mittel, aber durch verständnisvollen Vortrag glänzt. Der Chor producirte sich in dem Gesange aus Rienzi „Erwacht ihr Schläfer", dem kunstvoll verwobenen „An den Sturmwind" und im Schlußgesang aus den „Meistersingern". Die werthvollste Gabe des Abends aber war Herrn F. Löwe's Vortrag dreier Sätze aus der von ihm für Clavier bearbeiteten 5. Symphonie A. Bruckner's; während der erste Allegrosatz durch die Manier des Meisters, seine Themen oft wie mit einem Beil jäh abzuhacken, an einheitlicher Wirkung sehr verliert, gehört das Adagio des zweiten Satzes zu dem Schönsten, was seit Beethoven auf symphonischem Gebiete geschaffen wurde; Größe und Klarheit der Gedanken verbinden sich hier mit einer imponirenden Kraft des Ausdruckes, die allerdings erst durch das Orchester volles Leben erhalten kann. Im Scherzo zeigt Bruckner die bekannte Schärfe und Prägnanz, mit der er diesen Satz stets zu stylisiren weiß. Herrn Löwe's Vortrag der drei Sätze war ganz hors concours — das macht ihm kaum jemand nach." (#a).

Aufführung des »Germanenzugs« unter Barginde [? siehe die Anmerkung] in Chicago (##).

Ankündigung der Budapester Aufführung der 5. Symphonie [am 18.12.1895] im Pester Lloyd Nr. 300 auf S. 8:
      "Theater, Kunst und Literratur.
     [...]
     * Professor Ferdinand Löwe, der Gastdirigent des am nächsten Mittwoch stattfindenden III. philharmonischen Konzertes, ist bereits aus Wien eingetroffen; die Proben zu Bruckner's ungemein schwieriger V. Symphonie haben unter seiner Leitung bereits begonnen. Das im größten Style konzipirte Werk stellt an den Dirigenten sowohl, wie an das Orchester die höchsten Anforderungen und gehört mit seiner reichen Polyphonie zu den schwierigsten Werken der gesammten Symphonie=Litetatur. Besondere Wirkung verspricht die Einfügung eines zweiten, aus Blechbläsern gebildeten Orchesters in den Schluß des Finales." [keine Signatur] (###).

Die Dresdner Nachrichten Nr. 348 kündigen auf S. 3 das Konzert vom 18.12.1895 mit der 8. Symphonie an:
"     † Concert=Notizen. Anläßlich der bevorstehenden Aufführung von Anton Bruckner's 8. Sinfonie im zweiten Nicodé= Orchesterabend (18. Dezember) erscheint eine speziell für diese Gelegenheit hergestellte "Bruckner=Zeitung", welche von Montag an kostenlos bei H. Bock, Pragerstraße, und C. A. Klemm, Augustusstraße, entnommen werden kann. Außer der Analyse der Sinfonie bringt die "Bruckner=Zeitung" eine ausführliche Biographie, sowie bemerkenswerthe Daten und Züge aus dem Leben Bruckner's. [...]" (a).

(3. Philharmonisches Konzert unter Hans Richter mit Werken von Beethoven (Coriolan), Volkmann, Reznicek und Schumann (4. Sinfonie) (b)).

(*a) Textauszug:
   »[...] Endlich kam der Tag (9. Mai 1868), an welchem Bruckner seine erste Symphonie den Linzern vorführen konnte. Nach jeder Richtung, aber besonders in dem alle bisherigen Masse weit hinter sich lassenden Finale ein Coloss, war dieses Tonwerk für das bescheidene Linzer Orchester von 1868 eine schlechthin unlösbare Aufgabe. Schon bei den Proben wurde Bruckner inne, dass Linz seinen hochgespannten Anforderungen nicht genügen könne. Die Geiger wollten verzweifeln, der Violinpart war nicht griffig genug, aber auch die Zumuthungen an die Bläser waren colossale, die ungeachtet des Fleisses und Schweisses nicht erfüllt werden konnten. Bruckner beschwor, flehte - weinte damals in den Proben. Der Eindruck auf das Publicum musste ein unklarer bleiben, und obwohl sich der äussere Erfolg immerhin günstig anliess, erkannte Bruckner nur zu gut, dass der gespendete Beifall weit mehr seiner persönlichen Beliebtheit, als seinem im Wesentlichen unverstandenen Werke gegolten habe. Er empfand diese Aufführung als eine Niederlage, die ihn tief herabstimmte [...]« (*a).

(**) Textauszug:
   »[...] An kühnen und neuen Harmonisationen ist hier kein Mangel und man empfindet es förmlich, dass selbe nicht gesucht, sondern nur verwachsen sind mit der ganzen musikalischen Denkweise des Meisters. Ich kenne dessen Art zu schaffen nicht, möchte aber beim Lesen dieser Partitur doch das Meiste auf spontane Eingebung zurückführen; in diesem Falle muss es der Theoretiker desto mehr bewundern, wie das Genie die gefährlichsten harmonischen Klippen spielend umschifft, wo das Talent sorgfältig erwägend „Vorbereiten”, „Einführen” und „Auflösen” und schliesslich doch dem Hörer eine recht „querständliche” Empfindung bereiten würde. Bruckner's Kunst zu harmonisiren lässt trotz ihrer Kühnheit kein Unbehagen aufkommen, [...]« (**).

(***) Textauszug:
   »[...] Als wesentliche Grundzüge, in denen das ganze Sein und Thun Bruckner's als Menschen, wie auch als Componisten wurzelt, lassen sich folgende drei Charaktereigenschaften deduciren: Naivität, Humor und Religiosität. Hinsichtlich des ersteren Charakterzuges, der bei Bruckner, mehr noch aus seinen Lebensschicksalen, als aus seiner natürlichen Veranlagung entspringend, besonders stark hervortritt und gar oft vom Unverstande arg missdeutet wurde, gilt eben das Wort Schopenhauer's: „Jedes Genie ist gewissermassen ein Kind”. Auch der Humor Bruckner's kommt zum Theile auf Rechnung seiner Naivität, die ihn originelle Einfälle hervorbringen lässt, während die Religiosität theils seiner Erziehung, theils seinem früheren Berufe zuzuschreiben ist [...]« (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189512155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189512155
letzte Änderung: Feb 26, 2024, 14:14