zurück 2.4.1896, Donnerstag (Gründonnerstag) ID: 189604025

William Ritter besucht Bruckner zum letzten Mal (*).

Besprechung des Konzerts [vom 25.3.1896] mit »Träumen und Wachen« [WAB 87] durch Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 8714 auf S. 1-3. Dieser Konzertbericht befaßt sich auch mit der Aufführung des »Te Deum« [am 23.3.1896] und Heubergers Kritik dazu [22.3.1896 gemeint?] und mit dem Quintett [am 27.3.1896].
"          Musik.
(Chorconcerte. – Eine Musteraufführung des Bruckner'schen F-dur=Quintetts.)
     Unsere drei bedeutendsten Männerchorvereine, nämlich der "Wiener Männergesangverein", der "Akademische" und der "Schubertbund" gaben sämmtlich ihre letzten Concerte mit Orchester und jeder von ihnen brachte eine umfangreiche, die zweite Hälfte der Vortragsordnung ausfüllende Neuheit. [... kurz über den Wiener Akademischen Gesangverein ... Schubertbund ...]. Weit tieferen Eindruck machte mir persönlich Bruckner's wahrhaft feierlich empfundener, kunstvoll harmonisirter Chor mit Tenor=Solo (Vereinsmitglied F. Söser) "Träumen und Wachen", Text von Grillparzer. Bekanntlich des Meisters Festspende zur Grillparzer=Feier des Wiener Akademischen Gesangvereines im Januar 1891 und damals unter seiner eigenen Leitung erstmalig in der Aula hier aufgeführt. Es ist sonach der Irrthum des Berichterstatters vom Szeps'schen "Tagblatt" richtig zu stellen, als hätte Bruckner den betreffenden Chor schon vor langen Jahren in Linz componirt. [... über einen Chor Heubergers, der] edles poetisches Empfinden*) verräth
[Fußnote:] *) Dieses edle Empfinden läßt leider den Kritiker Heuberger immer mehr im Stiche. In seinem letzten, für die "Neue Freie Presse" geschriebenen Concertbericht [31.3.1896, S. 6, signiert "R."] fügt er dem herrlichen, in reinster Gottesbegeisterung geschaffenen Tedeum Bruckner's das geschmackvolle Eigenschaftswort "ketzerfleischduftend" bei. Was würde Herr Heuberger dazu sagen, wenn Jemand gleich geschmackvoll seine Judenoper traurigen Angedenkens als die "knoblauchduftende Mirjam" bezeichnete? [Ende des Fußnote]
[... über die Schubert-Nummern des Programms...]. Chormeister Kirchl dirigirte beide Stücke, wie auch die Chöre von Bruckner und Mair auswendig, und zwar mit hinreißendem Feuer. [... über das Konzert des WMGV ...]
     [... über die Dankkonzerte des Laibacher (Vorbehalte wegen der "slovenischen Aufdringlichkeit"), einen Rückblick könnte man sich sparen ...]. Uns kümmern hier eben nur die von den "Slovenen" mit Orchester aufgeführten großen Tonwerke als solche: "Bruckner's "Tedeum" und Dworschak's "Ballade "Die Geisterbraut". Bruckner's erhabenes "Tedeum" auf den lateinischen Ritualtext von einem Frauenchor im windischen Bauerncostüm gesungen: das macht sich mehr als sonderbar! Außerdem reichten die Kräfte der "Glasbena matica" zur rechten, schwungvollen Herausarbeitung der großartigen Schlußfuge nicht aus. Man merkte zwar – und das müssen wir anerkennen – daß Alles in vielen Proben mühsam einstudirt war und daß der Dirigent Herr Hubad an die große Sache glaube.
     Es schien ihm wirklich darum zu thun, das Werk und hiermit den Meister zu Ehren zu bringen (ein Bestreben, das aus der matten Aufführung des Bruckner'schen "Tedeum" in einem der heurigen Wiener Gesellschaftsconcerte [12.1.1896] weniger hervorleuchtete) – mögen immerhin Herrn Hubad dabei mehr Nebenrücksichten auf seinen eigenen und den Ruhm der "Glasbena matica" geleitet haben. Leider traf unter den bei der letzten Aufführung betheiligten Solisten nur die Wiener Sopranistin Fräulein Sofie Chotek den rechten Ton, nicht aber der tschechische Tenor und der Baritonist, die man aus Prag verschrieben. So wurde denn die volle von Bruckner angestrebte Wirkung dieses einer seiner genialsten Werke wieder nicht erreicht.
     Dennoch war der Eindruck ein unvergleichlich bedeutender, als jener der im zweiten slovenischen Concert aufgeführten, in Wien noch völlig unbekannt gewesenen Dworschak'schen "Geisterbraut", obwohl der berühmte Componist persönlich dirigirte. [... mäßiger Eindruck ... Erfolg in England unerklärlich ...]
     Und nun für heute nur noch ein paar Worte über ein bedeutendes Vorkommniß auf dem Gebiete der Kammermusik. Es war wirklich ein kleines Kunstereigniß, diese erste höchst erfolgreiche Aufführung des herrlichen F-dur=Quintetts unseres Bruckner durch das Böhmische Streichquartett aus Prag. Die öffentliche Darstellung des blühend erfindungsreichen, aber wegen seiner überkühnen Polyphonie außerordentlich schwer ganz vollendet wiederzugebenden Meisterwerkes schien in Wien fast ausschließlich dem wackeren Quartett Hellmesberger vorbehalten. Rosé und Genossen hatten das Bruckner'sche Quintett zwar einmal  mit größtem Beifalle in Linz gespielt, in Wien wagten sie sich bisher noch nicht daran – wahrscheinlich aus Furcht vor den gewissen Beckmessern. Das Volksquartett Duesberg hegte solche Bedenken nicht, es brachte das große Werk recht tüchtig heraus; aber erstlich sind seit dieser Darstellung – am 10. April 1893 [recte 10.4.1894] – schon wieder drei Jahre verflossen und dann erlauben ja doch die Kräfte des verdienstlichen Unternehmens nicht die zum völligen entscheidenden Durchdringen der genialen Schöpfung Bruckner's unerläßliche Musteraufführung. Und eben diese Musteraufführung gelang neulich wahrhaft erstaunlich den "Böhmen"! Höchstens konnte man über das Zeitmaß des Adagios verschiedener Meinung sein. Mir persönlich erschien dieser himmlische Satz, mit dessen verklärter Idealität sich kein anderer eines lebenden Kammercomponisten vergleichen läßt, einen Gedanken zu langsam genommen. Aber bei der andererseits durch die außerordentiche Klarheit und plastische Bestimmtheit der Wiedergabe erreichten berückenden Klangschönheit schwiegen bald alle Bedenken.    Schade, daß der Meister selbst nicht der Aufführung beiwohnte: wie hätte er sich an dem tiefen Eindruck, den sein fünfstimmiges Meisterwerk neuerdings hervorbrachte, an dem nicht endenwollenden Beifallssturm, der ihm folgte, von Herzen erfreut! Mögen aber nun die "Böhmen", nachdem sie unter Anschluß eines fünften Prager Genossen – des Bratschisten Rychlik – die Wirkung ihres glänzenden Zusammenspieles an einer der größten und edelsten Kunstaufgaben erprobt haben, sich mit diesem einen sensationellen Wiener Bruckner=Erfolge nicht begnügen, sondern auf ihren Kunstreisen den Ruhm des Meisters mannhaft kühn durch die ganze Welt verbreiten helfen!
                               Theodor Helm." (**).

Artikel von Franz Bayer im Alpen-Boten Nr. 27 auf S. 2:
"Aufführung der D-Messe von Dr. Anton Bruckner.
     Der hiesige Kirchenchor hat, wie bereits gemeldet, die schwierige Aufgabe wieder übernommen, Dr. Anton Bruckners D-Messe am Ostersonntage in der Stadtpfarrkirche zu Steyr zur Aufführung zu bringen. Gelegentlich der Aufführung dieser Messe vor drei Jahren wurde dieselbe in diesem Blatte (Nr. 24 vom März 1893) näher besprochen und im allgemeinen der Eigenart der Bruckner'schen Musik gedacht.
     Es sei mir gestattet, nochmals einen kurzen Ueberblick über Bruckner'sche Musik wiederzugeben, da vielleicht wenigen Lesern die Eigenart derselben bekannt sein dürfte. Bruckners Stil ist durchaus melodisch, aber er verschmäht es, die Melodie so lange wiederzugeben, bis sie auch dem unmusikalischen Zuhörer so klar ist, dass er sie nicht mehr verlieren kann.
     Bruckner hat nie das große Vorbild Beethovens aus dem Auge verloren, er hat in manchem Punkte landsmannschaftliche Verwandtschaft mit Franz Schubert; aber das große und bestimmende Ereignis seines Lebens war Richard Wagners Musik und alles Radicale, was sich ihm nähert: Hektor Berlioz, Franz Liszt. Was Wagner nicht ist, will er im Geiste Wagners sein: der Symphoniker. Mit einer ungewöhnlichen Energie hat er Motivbildungen im Sinne Wagners unter das Joch der symponischen Form gebeugt und ihnen Keime zur thematischen Entwicklung eingeimpft. Daher doch wieder seine Unabhängigkeit von Wagner, sein Einlenken in Beethoven'sche Bahnen, sein Anschluss an Schubert. Bruckner ist in kunsthistorischer Beziehung eine complicierte Erscheinung, und doch wieder ganz einfach, wie jede große Begabung. Bruckner hat Erfindungen, die ganz sein eigen sind, wahre Kerngedanken, die wie mit einem Knall die historische Schale sprengen.
     Wenn man einen Blick in die Partitur der D-Messe macht, so ersieht man in derselben gewiss all das hier über Bruckner'sche Musik allgemein Angeführte, und weiters noch, welche Anforderungen Bruckner an Sänger und Instrumentalisten macht, und was er den Zuhörern oft zumuthet. Sänger und Instrumentalisten sind aber auch aufs hingebendste bemüht, wie aus den Proben ersichtlich ist, dieses erhabene Meisterwerk auch heuer in gewissenhaftester weise wiederzugeben, welches vor drei Jahren so wunderbar zur Aufführung gebracht wurde, dass sich der greise Componist, welcher derselben beiwohnte, zu dem Ausspruche veranlasst sah: "Meine Messe hier aufzuführen, war eine Heldenthat."
                                                       Franz Bayer." (***).

Der »Wiener Musikbrief« im Musikalischen Wochenblatt Nr. 15 auf S. 196 befaßt sich mit Tschaikowskys 5. Sinfonie und vergleicht das Werk mit Bruckner und Brahms:
"                              Wien.
          
     (Fortsetzung.)
    Um vorerst noch bei den "grossen Concerten" zu bleiben, spreche ich im Folgenden von dem 7. Philharmonischen und dem 4. (Ordentlchen) Gesellschaftsconcert. [... über Tschaikowsky ...], als Musiker zugleich ein Meister des Contrapuncts und ein Beherrscher der Instrumente, wie unter den überlebenden Zeitgenossen nur ganz Wenige zu finden. Ich meinerseits gestehe offen, dass ích ausser von den so ganz verschiedenartig gestalteten Schöpfungen eines Brahms und Bruckner von keiner modernen Symphonie einen so tiefgehenden Eindruck empfangen habe, wie von den zwei letzten Tschaïkowsky's. [...].
                  (Fortsetzung folgt.) [Signatur am 3.9.1896: "Dr. Theodor Helm."] (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189604025, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189604025
letzte Änderung: Sep 29, 2023, 11:11