zurück 21.10.1896, Mittwoch ID: 189610215

A. Geschehenes
 
Seelengottesdienst im Linzer Dom (auf Anordnung von Bischof Doppelbauer). Waldeck führt mit dem Domchor ein aus Mozartschen Motiven zusammengestelltes Requiem auf (*).
 
 
B. Gedrucktes (Zeitungsartikel in alphabetischer Reihung)

Das "Algemeen Handelsblad" Nr. 21330 (Amsterdam) bringt auf S. 2 die am 20.10.1896 andernorts gebrachte Anekdote in etwas anderem Gewand:
"    Van Bruckner wordt verteld, dat toen keizer Franz Josef, wien hij kwam bedanken voor een ridderorde, hem vroeg of hij nog iets voor hem doen kon, hij na eenig aarzelen antwoordde:
     „Warm Ever Majestät mit dem Hanslick, der mich in der Neien Freien Presse so verputzt, a kräft'ges Wörterl reden wollten, i bitt' Ihne gar scheen." (za1).

Das Deutsche Blatt Brünn Nr. 83 bringt auf S. 1f einen Nachruf auf Bruckner von Richard Wickenhaußer.
"                       Anton Bruckner †.
            (Für das "Deutsche Blatt.")
     In der ehemaligen Custoden=Wohnung des Belvedere in Wien schloss vor einigen Tagen Anton Bruckner die müden Augen für immer. [... war abzusehen ... 9. Symphonie unvollendet ... verließ die Welt], die ihm eigentllich nichts geboten, als Kummer und Entsagung.
     Wenn es je einen Tonsetzer gab, dessen geniale Beanlagung von einem Großtheile der Musiker und der Kritik theils gar nicht erfasst, theils absichtlich mißverstanden wurde, und der dennoch ein gewaltiges Werk um das andere schuf, nicht um zeitlichen Ruihm und Geldgewinn, sondern dem göttlichen Drange im Innern gehorchend, so war dies der ehemalige Schulgehilfe von Windhag, so war es Anton Bruckner! [... späte Anerkennung ... Theodor Helm ... ], mit Kampfmitteln der verwerflichsten Natur wehrten sich die Gegner des Mannes, dessen Geist sie  nicht begreifen wollten, noch konnten.
     Was besonders die Wiener Börsenpresse geleistet, um Bruckner das Entgegenkommen so schwer wie möglich, wenn nicht ganz unmöglich zu machen, grenzt ans Unglaubliche. [... über die Kritiker (ohne den Namen Heuberger zu nennen) ... erste Erfolge beim Publikum ...], da konnten es wieder diese Zeitungen nicht verwinden, dass es die Deutschnationalen waren, die seit jeher für Bruckner gekämpft und gestritten hatten. [... Hanslick verlässt jedesmal vor Beginn eines Brucknerschen Werks den Konzertsaal ... Förderung durch die Philharmoniker und Hans Richter, Gustav Schönaich, Camillo Horn, Muck, Mottl, Weingartner, Richard Strauss, Dr. Obrist, Nikisch (7. Symphonie) ...].
     Bruckner hat nur den Beginn seines Ruhmes erlebt; an dem jungen Geschlechte wird es liegen, seinen Schöpfungen zu ihrer verdienten Verbreitung und Würdigung zu verhelfen. Seine Symphonien, seine kirchlichem Werke müssen und werden Gemeingut des deutschen Volkes werden, welches wahrlich nicht allzuviel ähnlicher Wunder der musikalischen Kunst aufzuweisen hat. [... Beethoven ...]. Wer vermag heute solche Adagios zu schreiben, wie Bruckner sie schrieb? Wer kann solche Themen erfinden, wie das Hauptthema des ersten Satzes seiner 7. Symphonie, seines herrlichen Streichquintetts? [... über den Vorwurf der Verworrenheit, der Ausdehnung etc., der auch Beethoven gemacht wurde ...]. Das Genie fragt sich eben nicht, wie es schaffen müsse, um von seinen Zeitgenossen verstanden zu werden, das ist blos Kummer des Talentes; die Menschheit muss warten, bis es ihr gelingt, das Genie ganz zu begreifen, dessen Werke aus ihm selbst zu verstehen und zu beurtheilen. Die Zeit hat eben immer dem Genie und nie dessen kopfschüttelnden Zeitgenossen Recht gegeben, und auch Bruckner wird einst ganz anders beurtheilt und erfasst werden, als dies heute noch größtentheils der Fall ist.
     Bruckner wird oft mit Wagner in einem Athem genannt, von Uebertragen Wagner'scher Kunstgrundsätze in die absolute Musik gesprochen, was eitel Unsinn und verständnisloses Gefasel ist. Bloß die berstrickenden Klangfarben des Wagner'schen Orchesters finden wir bei Bruckner; in der Erfindung seienr Themen lehnt er sich sicher nicht an den Bayreuther Meister an, denn bei aller seiner Selbständigkeit sprechen oft Schubert'sche Töne zu unsren Herzen, und das bewudnerungswürdige contrapunktische Spiel mit Motiven stellt sich uns ledigleich als Einfluss des alten Johann Sebastian dar, dessen Werke der Meister über alles schätzte. [... Verehrung Wagners und Anerkennung durch Wagner ...].
     Als Mensch ein mackelloser Charakter mit kindlich=frommen Gemüth, als Tondichter der bedeutendste Symphoniker nach Beethoven und ausgezeichneter Kirchencomponist, wie uns sein "Te Deum", seine Messen beweisen, so lebte Bruckner still und eingezogen ein Leben voll Bitternissen, und doch dabei in harmloser Heiterkeit, die dem stillen Bewusstsein seines inneren Wertes entsprang. [... in Zukunft wachsende Anerkennung ... Verpflichtung ] für Jeden, der für die herrliche deutsche Kunst Sinn und Verständnis besitzt, dessen Ideale noch nicht untergegangen sind in der grobmaterialistischen Strömung unserer Zeit, die leider – wie bei Bruckner zu ersehen, bei allem Fortschrittsrummel, gerade ihre fortschrittlichsten Künstler unbegriffen und unverstanden leben und sterben lässt.
                           Wickenhaußer." (zd1).
Auf S. 4 berichtet Strauch von der Gedenkfeier des Brünner Wagner-Vereins [am 19.10.1896]:
"     Brünner Wagner=Verein. Die erschütternde Kunde von dem Ableben Dr. Anton Bruckner's hat naturgemäß überall dort den tiefsten Eindruck hervorgerufen, wo man schon lange Zeit diesem Meister einen Ehrenplatz neben dem großen Bahnbrecher und unerreichten Vorkämpfer einer neuen Kunst, neben Richard Wagner selbst eingeräumt und seinen Werken die geziemende Würdigung erwiesen hat, nämlich in den Richard Wagner=Vereinen, wurde ja durch Wagner selbst den Schöpfungen unseres Bruckner wiederholt uneingeschränkte Anerkennung zutheil. [... am 19.10.1896 Begrüßung durch Obmann Professor Rupp, Nachruf von Dr. Krumpholz (Schüler Bruckners) mit Würdigung des Menschen Bruckner, Würdigung des künstlerischen Schaffens durch Wickenhaußer, Klavieraufführung des Adagios der 7. Symphonie durch Frl. Nikodem und Herrn Janoch, Aufführung eines Grieg-Quartetts durch das Pawlik-Quartett, Schlussansprache des Hans Sachs mit Herrn Bräunlich ...]. Der Besuch war ein sehr zahlreicher, der Beifall nach den verschiedenen Darbietungen ein entsprechend lebhafter.          Strauch." (zd2).

Das Deutsche Volksblatt Nr. 2802 (Morgenausgabe) berichtet auf S. 4f von der Stadtratssitzung am 20.10.1896:
"                   Wiener Gemeinderath.
                  (Sitzung vom 20. October.)
     In der gestrigen Sitzung entspann sich eine lebhafte Debatte über den Antrag des Stadtrathes, betreffend den Entwurf der Winterfahrordnung der Wiener Tramwaygesellschaft. [... "scandalöse Zustände" (jüdische Aktionäre wollen so Elektrifizierung ertrotzen) ... Gasgesellschaft ...]
     Die Geschwister des vor Kurzem verstorbenen Tondichters Dr. Bruckner, Herr Ig. Bruckner und Frau Rosalia Weber [sic], geb. Bruckner, statten dem Präsidium, dem Stadtrathe und dem Gemeinderathe den wärmsten Dank für die auf Kosten der Gemeinde Wien veranstaltete würdige Leichenfeier nach Doctor Bruckner ab.
     [... weitere Punkte ...]
                              Referate.
     Nach Verlesung der Anträge und Anfragen erhielt Gemeinderath Dr. Reisch das Wort. Er erklärt, der Beschluß des Gemeinderathes, die Bestattungskosten des unsterblichen Tonmeisters Anton Bruckner von der Gemeinde tragen zu lassen, habe allgemeinste Befriedigung hervorgerufen; die Trauerfeierlichkeit sei auch sehr würdig verlaufen. Aber dem betreffenden Beschlusse habe der Stadtrath eine Bemerkung angefügt, welche seine Person betrifft.
     Bürgermeister Strobach: Ich bitte, Herr Gemeinderath, darüber können Sie jetzt nach der Geschäftsordnung nicht sprechen. Das ist eine Angelegenheit des Stadtrathes, deren Erörterung ich hier nicht zulassen kann.
     GR. Dr. Reisch beruft sich auf den § 20 der Geschäftsordnung, wonach Gemeinderäthe Richtigstellungen in der Gemeinderathssitzung vornehmen können.
     Bürgermeister Strobach erklärt, das [sic] dies nur mit Beziehung auf eine Debatte geschehen könne, dieß sei hier nicht der Fall gewesen.
     Es entsteht eine kurze lebhafte Debatte. Der Bürgermeister ertheilt dem Redner das Wort nicht, worauf dieser erklärt, er werde in einem offenen Schreiben antworten.
     Damit ist die Angelegenheit beendet und es wird zur Erledigung der Geschäftsordnung geschritten. [...]." (zd3)

und auf Seite 8 über die Beisetzung in St. Florian [15.10.1896]:
"     * [Bruckner's Bestattung in St. Florian.] Wie man uns nachträglich aus St. Florian mittheilt, langten aus Wien an 50 Kränze ein, im Ganzen dürften über 70 Blumenspenden den Sarg des großen Tondichters bedeckt haben. Statthalter Baron Puthon, drei Prälaten. mehrere Domherren, 50 bis 60 Geistliche, 10 bis 15 Vereine, Capacitäten der Kunstwelt, zahlreiche Beamte und eine große Menge Volkes begleiteten den Trauerzug. Beim Eintritt in die Stiftskirche spielte der Stifts=Organist J. Gruber, ein Schüler Bruckner's, die große Orgel. – Bei der Beisetzung wurde das Libera [WAB 22] und tagsdarauf das Requiem von Bruckner [WAB 39] aufgeführt. Markt und Stift St. Florian trugen Trauerschmuck." (zd3a).

Die Abendausgabe befaßt sich auf S. 2 nochmals mit dem Leichenbegängnis:
"     * [Zum Leichenbegängnisse Dr. Bruckner's.] Gemeinderath Reisch hat heute an den Bürgermeister in Angelegenheit der Beschlußfassung über die Begräbnisfeier des Meisters Bruckner ein Schreiben gerichtet, in dem er sein Vorgehen einfach damit motiviren will, daß er lediglich seiner Pflicht als Testamentsvollstrecker nachgekommen sei. – Wir glauben, die Darstellung des Stadtrathes war deutlich genug und kann durch eine derartige nachträgliche Erklärung nicht aus der Welt geschafft werden." (zd4).

Die Kärntner Zeitung Nr. 242 berichtet auf S. 3 von der Trauerfeier am 15.10.1896:
"     St. Florian in Oberösterreich. (Die Bestattung Bruckners.) Man schreibt uns: Der vergangene Donnerstag war für unsern Markt ein gar bedeutungsvoller Tag. [... Glocken, Fahnen, Vorgänge bei der Krankenhaus-Leichenhalle (Sarg mit Glasdeckel: schwere Spuren der Krankheit sichtbar), 15 Uhr erste Einsegnung durch Ferdinand Moser, Trauerzug zum Stift (Volksschule, "Frohsinn", Stiftsklerus (darunter auch Theologen von St. Paul in Kärnten), Patres aus Kremsmünster, Domscholaster Dullinger, Canonicus Dürnberger (Linz), Abt von Wilhering, Wagen mit den Kränzen, Verwandte, Statthalter Puthon, Abt Achleuthner, Bgm. Poche, Baron Bud=Schlaich, Göllerich etc.) ... Orgelspiel Grubers, Sarg vor dem Hochaltar der Stiftskirche, Bruckners "Libera" unter Deubler, zweite Einsegnung, "Frohsinn" mit Mendelssohn-Chor, Zug in die Gruft, über 70 Herren, letzte Einsegnung, Tränen der Rührung ...]. Aber Bruckner hat sich durchgerungen und ist ein leuchtendes Beispiel geworden allen jenen, die, von Gott begnadigt, der reinen Kunst sich widmen wollen." [keine Signatur] (zk1).

Hinweis auf den heutigen Seelengottesdienst (um 10 Uhr) im Alten Dom in der Linzer Zeitung auf S. 1158:
„     Tagesneuigkeiten.
                         
Linz, 20. October.
[…]
      * (Seelengottesdienst.) Wie das „Linzer Volksblatt“ meldet, findet morgen um 10 Uhr vormittags im alten Dome ein Seelengottesdienst für Professor Dr. Anton Bruckner statt, welcher von 1856 – 1867 [sic] an der hiesigen Domkirche als Organist fungierte.“ (zl1).
Ein weiterer Artikel auf derselben Seite befaßt sich mit Bruckners Testament:
"     * (Bruckners Testament.) Wir haben bereits die Hauptbestimmungen aus Anton Bruckers [sic] Testament unseren Lesern mitgetheilt. Es dürfte vielleicht interessieren, das Schriftstück seinem ganzen Umfange nach kennen zu lernen. Der Wortlaut ist folgender: Für den Fall meines Ablebens treffe ich nach reiflicher Erwägung folgende letztwillige Verfügungen: 1. [... vollständiger Text, "Rosalia Huber" ...]. Wien, den 10. November 1893. Dr. Anton Bruckner m. p. Ferdinand Löwe m. p., als ersuchter Testamentszeuge. Cyrill Hynais m. p., als ersuchter Testamentszeuge. Dr. Theodor Reisch m. p., als ersuchter Testamentszeuge." (zl2).

Die Neue Freie Presse Nr. 11552 berichtet auf S. 5 von der Sitzung am 20.10.1896: "                   Wiener Gemeinderath.
                  (Sitzung vom 20. October.) Bürgermeister Strobach brachte in der heutigen Sitzung [... zum Konflikt mit der Gas-Kommission ...]. Die Geschwister des vor Kurzem verstorbenen Tondichters Dr. Bruckner, Herr Ig. Bruckner und Frau Rosalia Weber [sic] geborene Bruckner, statten dem Präsidium, dem Stadtrathe und dem Gemeinderathe den wärmsten Dank für die auf Kosten der Gemeinde Wien veranstaltete würdige Leichenfeier nach Doctor Bruckner ab. [... weitere Punkte ...].
     Nach Verlesung der Anträge und Anfragen erhielt Gemeinderath Dr. Reisch das Wort. Er erklärt, der Beschluß des Gemeinderathes, die Bestattungskosten des Tondichters Anton Bruckner von der Gemeinde tragen zu lassen, habe allgemeinste Befriedigung hervorgerufen, und die Trauerfeierlichkeit sei auch sehr würdig verlaufen. Ueber die betreffenden Beschlüsse habe der Stadtrath eine Bemerkung angefügt, welche seine Person betrifft.
     Bürgermeister Strobach: Ich bitte, Herr Gemeinderath, darüber können Sie jetzt nach der Geschäftsordnung nicht sprechen.
     Dr. Reisch beruft sich auf den Paragraph der Geschäftsordnung, wonach Gemeinderäthe Richtigstellungen in der Gemeinderathssitzung vornehmen können.
     Bürgermeister Strobach erklärt, daß dies nur mit Beziehung auf eine Debatte geschehen könne; dies sei hier nicht der Fall gewesen.
     Es entsteht eine kurze lebhafte Debatte. Der Bürgermeister ertheilt dem Redner das Wort nicht, worauf dieser erklärt, er werde in einem offenen Schreiben antworten.
     Bürgermeister Strobach: Das können Sie thun.
     Damit ist die Angelegenheit beendet und es wird zur Erledigung der Geschäftsordnung geschritten. [...]." (zn1)

und auf Seite 7 von der Aufführung der 4. Symphonie am 18.10.1896 in Laibach:
»     – Aus Laibach, 19. d., schreibt man uns: Gestern eröffnete die Philharmonische Gesellschaft in Laibach ihre heurige Concertsaison mit der Aufführung der A. Bruckner'schen Symphonie in Es-dur (romantische) unter der Direction ihres Musikdirectors Joseph Zöhrer. Die Aufführung wurde vom Publicum mit stürmischem Beifall aufgenommen, so daß sich der Abend zu einer Trauerkundgebung für den uns erst jüngst entrissenen Meister gestaltete. Der Symphonie folgte das Vorspiel zu den "Meistersingern" von R. Wagner. - [... über das Saisonprogramm ...]« [keine Signatur] (zn1a).

Im Abendblatt auf Seite 2 rechtfertigt Dr. Reisch sein Vorgehen am 12.10.1896 (wie in der gestrigen Sitzung angekündigt):
"                      Ein Brief an den Bürgermeister.
     Gemeinderath Dr. Theodor Reisch hat an den Bürgermeister Strobach ein Schreiben gerichtet, worin er sich gegen die vom Stadtrathe in dem Beschlusse über Bruckner's Leichenbegängniß ausgesprochene Behauptung verwahrt, er (Dr. Reisch) habe sich "in voreiliger Weise das Recht angemaßt", das Leichenbegängniß bei der Entreprise zu bestellen, und dadurch das Verfügungsrecht der Gemeinde in dieser Angelegenheit vorweggenommen. Dr. Reisch sah sich genöthigt, dieses Schreiben an den Bürgermeister zu richten, nachdem ihm dieser in der gestrigen Gemeinderathssitzung das Wort zu dieser Angelegenheit verweigert hat. Dr. Reisch erklärt, er habe lediglich sein Mandat als Testaments=Vollstrecker erfüllt, indem er Montag den 12. d., Morgens 7 Uhr, das Leichenbegängniß bei der Entreprise bestellt, weil dieselbe ihre Hauptanstalt in der Nähe des Belvedere hat. Erst am Nachmittag jenes Tages, zwischen 5 und 6 Uhr, habe ihm Bürgermeister Strobach die Absicht, die Begräbnißkosten durch die Gemeinde tragen zu lassen, und den Wunsch bekanntgegeben, daß die "Concordia" das Begräbniß besorgen solle. Die von einem Agenten der "Concordia" als Grund hiefür geltend gemachte angebliche Freundschaft Bruckner's mit Herrn Beschorner habe sich lediglich als eine Erfindung herausgestellt. Trotzdem machte Dr. Reisch den Versuch, die Entreprise zu bewegen, daß sie das Leichenbegängniß der "Concordia" überlasse, was aber die Entreprise ablehnte. Bürgermeister Strobach habe nun in seinem Aerger darüber das völlig ungerechtfertigte Tadelsvotum des Stadtrathes über Dr. Reisch veranlaßt, zumal der Stadtrath auch über den Zeitpunkt, wann der Bürgermeister sich an Dr. Reisch wendete, falsch unterrichtet war. Dr. Reisch spricht deßhalb zum Schlusse seines Schreibens die Erwartung aus, daß der Stadtrath seinen juristisch unhaltbaren Beschluß in loyaler Weise beheben werde." (zn1b).

Der komplette Wortlaut von Dr. Reischs Brief wird im Neuen Wiener Abendblatt Nr. 290 (Neues Wiener Tagblatt) auf S. 2 veröffentlicht:
»          Ein offener Brief an den Bürgermeister.
    
Gemeinderath Dr. Reisch übersendet uns seinen in der gestrigen Gemeinderathssitzung angekündigten "offenen Brief" an den Bürgermeister mit der Bitte um Veröffentlichung. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
                     Geehrter Herr Bürgermeister!
     Der Stadtrath hat anläßlich der Beschlussfassung über die Begräbnißfeier des Meisters Bruckner verletzende Bemerkungen betreffend meiner Person beigefügt. [... heutige Wortmeldung wurde nicht gestattet, Behinderung der Redefreiheit, daher nun dieser Offene Brief ...]. Gegenüber dem Beschlusse des Stadtrathes, ich hätte mich im Falle Bruckner "eigenthümlich" benommen und mir "in voreiliger Weise das Recht angemaßt", das Leichenbegängniß Bruckner's zu bestellen und hätte auf diese Weise "das Verfügungsrecht der Gemeinde in dieser Angelegenheit vorweggenommen", constatire ich Folgendes:
     Ich habe lediglich mein Mandat als Testamentsvollstrecker gewissenhaft erfüllt, als ich am Montag (12. d. M.), Früh 7 Uhr, die unaufschiebbare Disposition über das Leichenbegängniß erster Classe, welches testamentarisch angeordnet war, getroffen und dasselbe der "Entreprise" aus dem einfachen Grunde zugewiesen habe, weil dieselbe eben in der Nähe des Belvedere ihre Hauptanstalt  hat und mir deshalb zur Hand war.
     Erst am Nachmittage desselben Tages zwischen 5 und 6 Uhr – und nicht "Montag Früh", wie die Ihnen nahestehenden Blätter unrichtig anführten – , haben Sie mir Ihre Absicht, die Leichenkosten für Bruckner durch die Gemeinde tragen zu lassen, mitgetheilt und Ihren Wunsch bekannt gegeben, daß die "Concordia" diese Leichenbestattung besorgen solle.
     Der Grund, den Sie für diese Abänderung meiner Anordnung anführten, war Ihnen von einem Agenten der "Concordia" zugetragen, der von einer angeblichen persönlichen Freundschaft des Verewigten mit Herrn Beschorner faselte.
     Ich bezeichnete dies sofort als unwahrscheinlich und äußerte auch Zweifel, daß die "Entreprise" von dem ihr zufolge meiner Bestellung zustehenden Rechte, das Leichenbegängniß zu veranstalten, zurücktreten werde.
     Trotzdem habe ich mich selbst bei der "Entreprise" eingesetzt, daß sie das Leichenbegängniß Bruckner's der "Concordia" überlasse, welches Ansuchen jedoch von der "Entreprise" mit der Begründung abgelehnt wurde, daß sie bereits einen ganzen Tag – nämlich den fraglichen Montag – den nothwendigen Vorbereitungen widmen mußte und die Angelegenheit als Ehrensache behandle.
     Nun haben Sie, Herr Bürgermeister, aus kleinlichem Aerger darüber, daß die von Ihnen begünstigte "Concordia" nicht dazu gekommen ist, das Leichenbegängniß Bruckner's zu besorgen, veranlaßt, daß der insbesondere über den Zeitpunkt, in welchem Sie mit mir verhandelten, unrichtig informirte Stadtrath das völlig ungerechtfertigte Tadelsvotum über mich gefaßt hat.
     Seitherige genaue Erhebungen bei jenen Personen, welche die Umgebung Bruckner's in den letzten Jahren bildeten, haben zur Evidenz dargethan, daß die angeblichen persönlichen Beziehungen Bruckner's zu Herrn Beschorner lediglich Erfindung sind. Sapienti sat!
     Es ergibt sich daraus, daß der Stadtrath in seinem Beschlusse übel berathen und überhaupt nicht berechtigt war, mein Vorgehen in Angelegenheit Bruckner's als ein "eigenthümliches", "voreiliges", "anmaßendes" zu bezeichnen, insbesondere konnte der Stadtrath sich nicht darüber beklagen, daß ich "der Gemeinde Wien ein Verfügungsrecht vorweggenommen" hätte, nachdem ein solches Verfügungsrecht lediglich mir als Testamentsexecutor und nicht der Gemeinde Wien zustand.
     Ich gewärtige, daß der Stadtrath nach dieser Aufklärung seinen sachlich unrichtigen und juristisch vollkommen unhaltbaren Beschluß in loyaler Weise beheben werde.
               In voller Hochachtung ergebener
                                                    Dr. Reisch.« (zn2).

Die Stadtratssitzung kommt auch in der Ostdeutschen Rundschau Nr. 290 auf S. 4 zur Sprache:
"                   Wiener Gemeinderath.
    
Es gibt schwerlich in sämmtlichen Städten Europas eine Verkehrsunternehmung, welche so rücksichtslos die Bedürfnisse des Verkehrs und die Forderungen des Publikums mißachtet, wie die Wiener Tramwaygesellschaft. [... ausführliches Lamento ...].
     Dann erhält GR. Dr. Reisch das Wort. Er erklärt, der Beschluß des Gemeinderathes, die Bestattungskosten des unsterblichen Tonmeisters Anton Bruckner von der Gemeinde tragen zu lassen, habe allgemeinste Befriedigung hevorgerufen. Die Trauerfeierlichkeit sei auch sehr würdig verlaufen. Ueber die betreffenden Beschlüsse habe der Stadtrath eine Bemerkung angefügt, welche seine Person betrifft.
     Bürgermeister Strobach: Ich bitte, Herr Gemeinderath, darüber können Sie jetzt nach der Geschäftsordnung nicht sprechen.
     GR. Dr. Reisch beruft sich auf die Geschäftsordnung.
     Es entsteht eine kurze lebhafte Debatte. Der Bürgermeister ertheilt dem Redner das Wort nicht, worauf dieser erklärt, er werde in einem offenen Schreiben antworten. [... das Dankscheiben der Geschwister Bruckners wird nicht erwähnt ...]." (zo1).

Die Österreichische Illustrierte Zeitung Nr. 30 bringt auf S. 3f einen Nachruf auf Bruckner und ein Porträt (en face, vermutlich nach IKO 37):
"[Beschriftung der Abbildung:]
             Dr. Anton Bruckner †.
Nach einer Photographie aus dem Atelier Huber, Wien.

      Dr. Anton Bruckner †.
     Der einstige Schulgehilfe von Windhag wurde mit Ehren zu Grabe geleitet, wie sie nur den Größten der Zeit erwiesen wurden. Die Commune Wien veranstaltete dem bescheidenen Alten ein Prunkbegräbnis, der Gemeinderath, unzählige Deputationen und Vereine folgten dem Sarge dieses Meisters der Töne.
     Dreiundsiebzig Jahre ist Bruckner alt geworden und kaum mehr als ein Jahrzehent ist es her, daß die Sorge nicht mehr zu Gaste gesessen an seinem bescheidenen Tische. Der große Künstler hat es eben nie verstanden, sich vorzudrängen in die ersten Reihen, bescheiden hat er sich hingestellt ganz hinten im Winkel und hat der Frau Musica gedient ohne Lohn und Dank. Und als man ihn endlich gefunden und ihn hinaufgestellt auf jenen Platz, der ihm gebührte, da staunte die Welt und insbesondere die musikliebenden Wiener, wie es denn möglich gewesen, daß ein solcher Tonheros so lange, schon ein Menschenalter lang, ungekannt und unbeachtet, geschaffen in ihrer Mitte.
     Im "Custodenstöckel" des Belvedereparkes, das ihm die Gnade unseres Monarchen als Behausung eingeräumt, verschied vor wenigen Tagen Meister Bruckner, der sich vom armen Sängerknaben und Unterlehrer einer Dorfschule emporgeschwungen zum Ehrendoctor der Wiener Universität. Es war wohl der stolzeste Moment im Leben dieses bescheidenen Mannes, als im Jahre 1891 bei der Ueberreichung des Doctordiplomes der Rector der stolzen alma mater viennensis die Worte sprach: "Ich, der Rector magnificus der Wiener Universität, beuge mich vor dem ehemaligen Unterlehrer von Windhag!" – – –
     Wir haben einen großen Künstler, wir haben einen guten Mann begraben!" (zo2).

"Die Presse" Nr. 290 berichtet auf S. 3 von der gestrigen Stadtratssitzung:
"                   Wiener Gemeinderath.
                  (Sitzung vom 20. October.)
     Der Austritt der "deutschnationalen" Gemeinderäthe aus dem "christlich=socialen Bürgerclub war gestern Abends vor der Gemeinderathssitzung Gegenstand lebhafter Discussionen. [...]
     Bürgermeister Strobach führt den Vorsitz [... über Konflikte mit der Gasgesellschaft ...].
     Der Bürgermeister berichtet ferner, daß von den Geschwistern Bruckner ein Dankschreiben eingelaufen ist und daß vom Secretariat des Jockeyclubs im Auftrage des Barons Oppenheim aus Anlaß des Sieges seines Pferdes im Austria=Rennen zweitausend Gulden für die Armen Wiens übergeben wurden.
[...]
     Dr. Reisch erbittet sich das Wort zur Geschäftsordnung, um über den Beschluss des Stadtrathes, betreffend die Veranstaltung des Leichenbegängnisses Anton Bruckner's, mit welchem Beschlusse das Bedauern über ein selbständiges Vorgehen des Dr. Reisch ausgesprochen wurde, sich zu äußern.
     Da ihm dies vom Bürgermeister nicht gestattet wurde, erklärte er, schriftlich seine Aeußerung vorbringen zu wollen.
     [... weitere Punkte ...].
     Hierauf wurde die öffentliche Sitzung geschlossen." (zp1).

Die Linzer Tages-Post Nr. 243 veröffentlicht auf S. 3 einen Auszug aus Gustav Bocks Feuilleton im Berliner Tagblatt [15.10.1896]:
»     (Erinnerungen an den ersten Aufenthalt Anton Bruckners in Berlin.) Unter diesem Titel veröffentlicht Gustav Bock im "Berliner Tagblatt" ein Feuilleton, in welchem unter anderem folgende Episode erzählt wird: "Der Tag der Tedeum=Aufführung [31.5.1891? oder eher 8.1.1894 gemeint?] war gekommen. Bruckner saß in seiner originellen Toilette – faltenschlagender Gehrock und unheimlich große Vatermörder, welche von einem weißen Halstuch zusammengehalten wurden – in einer Loge; man sah ihn in lebhafter Unterhaltung mit einer jungen, neben ihn placierten Dame begriffen. Der Erfolg jenes Abends – es trennten uns von ihm erst wenige Jahre – ist noch frisch in aller Hörer Gedächtnis. Nicht weniger entzückt als das Publicum war der Componist selber; immer wieder applaudierte er, auf das lebhafteste von seiner schönen Nachbarin unterstützt, und hob am Schluss des Concerts die Leistungen des Chors und des Orchesters in den Himmel. Ein Funke des Genies hatte hatte alle Mitwirkenden und Lauscher elektrisiert, aber ein zweiter Funke war urplötzlich in Bruckners Herz gefahren – ein Funke der Liebe. Gott weiß, wo sich der kleine Liebesgott in der Philharmonie versteckt hatte, er hatte wie immer sein Handwerk gut verstanden, und der 70jährige Alte erglühte in hellen Liebesflammen zu seiner schönen Nachbarin, deren Großvater er hätte sein können. Die Liebesidylle zwischen Goethe und Ulrike von Levetzow wiederholte sich wörtlich. Während der nächsten Tage hatte der Meister manches Rendezvous mit seiner Schönen [Ida Buhz gemeint?] und sprach es offen aus, dass er die ernste Absicht habe, seinem Junggesellenstande Valet zu sagen. Die junge Dame soll vollständig damit einverstanden gewesen sein, die Frau eines berühmten Mannes zu werden, aber schließlich mag Bruckner durch ruhige Ueberlegung von seinem abenteuerlichen Plan abgekommen sein, denn Hymen kam nicht dazu, die Hochzeitsfackeln zu schwingen." « (zt1).

»Das Vaterland« Nr. 290 veröffentlicht auf S. 4 den Text von Bruckners Testament:

»     * [Bruckner's Testament.] Nach der "Neuen Musikalischen Presse" [vom 18.10.1896] hat das Testament Bruckner's folgenden Wortlaut:
   Für den Fall meines Ablebens treffe ich nach reiflicher Erwägung folgende letzwillige [sic] Verfügungen: [... sechs Punkte ...] Wien, 10. November 1893. Doctor Anton Bruckner.« (zv1).

Auf Seite 5f wird von der Sitzung am 20.10.1896 berichtet:
"   Gemeinderathssitzung vom 20. October.
     Vorsitzender: Bürgermeister Strobach.
     Die Geschwister des am 11. d. M. verstorbenen Tondichters Dr. Bruckner, Herr Ignaz Bruckner und Frau Rosalia Weber [sic], geborene Bruckner, statten dem Präsidium, dem Stadtrathe und dem Gemeinderathe den wärmsten Dank für die auf Kosten der Gemeinde Wien veranstaltete würdige Leichenfeier nach Dr. Bruckner ab.
     Baron Eduard Oppenheim spendete anläßlich des Sieges seines Pferdes (Austria=Preis) 1000 fl. für die Armen Wiens. [...]
[... die Wortmeldung von Dr. Reisch findet keine Erwähnung ...]." (zv2).

Die von Arthur Seidl erzählte Anekdote [mit der Prinzessin von Meiningen] wird auch im Welser Anzeiger Nr. 43 auf S. 6 mitgeteilt:
"            Kronlandsnachrichten.
     Anton Bruckner.
Einen für Anton Bruckner charakteristischen Zug weiß Dr. Arthur Seidl in der D. V. [sic! recte D. W. (Deutsche Wacht)] von dem dahingeschiedenen Componisten zu erzählen. Einmal trat Bruckner, zu einer Abendgesellschaft bei Richard Wagner in Bayreuth geladen, unmittelbar hinter der Erbprinzessin von Meiningen im Vorsaale ein, die  sich ihm leutselig gleich selber vorstellte. Freundschaftlich drückt er ihre "Patschhand" sofort mit seinen beiden Händen: "Freut mich ungemein, gnädige Frau, werthe Bekanntschaft zu machen. Hab' schon so viel Schönes von Ihnen gehört, ist aber auch sehr lieb von Ihnen, daß Sie zu unserem Meister Wagner so gut sind!" "  (zw1).

Die Wiener Zeitung Nr. 244 berichtet auf S. 6 ebenfalls von der gestrigen Sitzung:
"                        Wiener Gemeinderath.
            (Oeffentliche Sitzung vom 20. October.)
     Vorsitzender Bürgermeister Strobach bringt eine Zuschrift [... zur Verlesung ... Gas-Gesellschaft ...].
    Zur Verlesung gelangt ferner eine Zuschrift, mittelst welcher die Geschwister des verstorbenen Tondichters Bruckner der Gemeinde für die Veranstaltung der Leichenfeier den wärmsten Dank aussprechen. (Wird zur Kenntniß genommen.)
     [... weitere Punkte ... die Wortmeldung von Dr. Reisch findet keine Erwähnung ...]." (zw2).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189610215, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189610215
letzte Änderung: Nov 23, 2023, 20:20