zurück 26.10.1896, Montag ID: 189610265

A: Geschehenes (Ereignisse)

Aufführung des Adagios der 7. Symphonie unter Nikisch in Berlin (*a) im 2. Philharmonischen Konzert (*b).
Solist des Abends ist Ferruccio Busoni (im Klavierkonzert "Concerto Eroico" op. 8 von Ottokar Novacek) (*c).
Nikisch trägt sich im Album der Berliner Philharmoniker ein (*d).

»Für das Pianoforte, zweihändig. [/] Nachruf an den verstorbenen Herrn Dr. Anton Bruckner. Trauermarsch, componiert von Ernest Petrschilek, Klaviermeister [Wels] und Seine Hochwürden, den hochzuverehrenden Herrn Herrn [/] Johann B. Burgstaller, Chordirektor des Maria [/] Empfängnis=Domes ergebenst zugeeignet. Linz OÖ hier loko am 26ten Oktober 1896« (Klavier zweihändig) (**).

B. Gedrucktes (Zeitungsartikel)

Anekdotischer Artikel [mit einem Porträt, Profilansicht, nach links blickend] in der Wiener Montagspost Nr. 146 auf S. 2f:
»[Das Porträt ist in der Mitte des zweispaltigen Textes der ersten Seite platziert]
                                  Anton Bruckner.
Ernstes und Heiteres aus seinem Leben und Lehren
     Mit dem am 11. October d. J. erfolgten Tode Prof. Dr. Anton Bruckners hat die Wiener Musikwelt einen schweren, ja wir möchten sagen: unersetzlichen Verlust erlitten.
     Anton Bruckner wurde am 4. September 1824 als der Sohn eines armen Dorfschullehrers zu Ansfelden in Oberösterreich geboren, von dem er den ersten Musikunterricht erhielt. [... Biographisches ... Anekdoten aus der Konservatoriumszeit: ...]
     Eines Tages kam Bruckner in die Orgelschule des Conservatoriums und zeigte seinen damaligen Schülern einen Brief einer wohlhabenden enthusiasmirten Dame, und bemerkte in seiner naiven Weise: "Was sagt's zu dieser Eroberung?" [... Bemängelt an einer Kritik die Formulierung "der greise Componist"; Schüler St. (Spitzname "Schulmeister") und die anderen Schüler bestätigen mit ihrer Unterschrift, dass es nicht so verhalte ... Bruckner] trocknete den Namenszug jedes Einzelnen mit dem Löschpapier sorgsam ab, damit ja kein Tintenklex unterlaufe, worauf das Blatt sofort recommandirt per Post an den betreffenden Herrn abgesandt wurde.
     Ein andermal kam Bruckner in das Lehrzimmer, bemerkt daß die Fenster geschlossen sind, schlägt den Thürflügel wieder zu, und entfernt sich. [... Diener Putzinger meldet Bruckners Verärgerung ... (strengste) Prüfung in anderem Zimmer ... zur Strafe muss der Delinquent (wie früher Mottl) vor der Türe knien ...].
     Zu dem heute als Componist und Musiklehrer in Wien lebenden damaligen Conservatoristen Cz. (welcher bei ihm den Spitznamen Professor hatte) sagte er in der Orgelstunde: "Geh', i bitt' die Professor, geh' runter von der Orgelbank und wir a Schuasta, Musiker wirst dein Leben kaner". – Nach circa vierzehn Tagen machte der Meister aber große Augen als derselbe Schüler hocherfreut mit der Nachricht kam, er habe den ersten Preis der Zusner'schen Liederconcurrenz erhalten. [Heinrich Czerwenka, "vor dem 19.6.1890"]
     Der Orgelunterricht war immer im kleinen Musikvereinssaale [... neben L. A. Zellners Hörsaal ... Zellner hatte wegen eigener Arbeit um leises Orgelspiel gebeten, worauf Bruckner alle Register zog und Pleno spielen ließ ... Br. bei Prüfungen stets aufgeregt; bei Fehlern des Schülers wischte er die falschen Noten aus und sagte:] "Die  Noten schöner schreiben, daß man's lesen kann."
     Auch für politische Ereignisse war Bruckner begeistert. So z. B. kam er, als einmal der deutsche Kaiser das Hofburgtheater besuchte [4.10.1888], bittend in's Orchester, man möge ihn nur wenigstens hier sitzen lassen, er möchte so gerne den deutschen Kaiser sehen. [... ein Musiker hilft ihm mit einer weißen Krawatte aus ...].
     Bei einem Concerte spielte er einmal die Orgel. Nach Schluß sprach ihn eine hohe aristokratische Dame mit den Worten an: "Herr Professor, das war aber heute prachtvoll, diese Kraft der Orgel, Sie müssen sich aber auch colossal echauffirt haben!" "Nun das glaub' ich," sagte Bruckner gemüthlich, und indem er sich den Rock aufknöpfte, "da schaun's wia i schwitz! Eines Tages trat er in die Classe [... statt Kontrapunktunterricht spielt er das Stück "Müller und sein Kind" als Soloszene ... Kontrapunktstunden waren von 18 bis 20 Uhr; beim Siebenuhrläuten der Karlskirche unterbrach er für ein Gebet ...]
     [... schimpft einen Schüler wegen des Rates, Aspik zum Würzen zu verwenden ...] "Ich hab mir an halben Kilo beim Delicatessenhändler kauft! – So a Schmarrn! Wann's Ihna schmeckt, hol'ns Ihnen, z'haus bei der Frau Kathi staht das G'fraßt!"
     [... in Bayreuth Bier mit Wagner, Liszt spielt Walzer, Wagner tanzt mit Bruckner ... Geldmangel: Kathi findet in Bruckners Röcken und Beinkleidern etwa vierzig geschlossene Umschläge mit Lektionshonoraren ...]
     Da über die Werke unseres größten Symphonikers der Neuzeit im Publikum noch viel Irrthümliches verbreitet ist, dürften folgende Daten willkommen sein.
     Symphonie Nr. I. C moll. [... Kompositions- und Aufführungsdaten und Druckausgaben der Symphonien (irrig: 5. Symphonie unaufgeführt), 150. Psalm ("Halleluja"), Quintett (irrig: UA am 8.1.1895), "Te deum" (irrig: UA 10.1.1896), Messen, "Germanenzug" ...].
     Prof. Dr. Anton Bruckner starb nach langer Krankheit an Herzlähmung [... ]. Seine Musik kontrastirt ganz und gar mit dem persönlichen und künstlerischen Wesen Bruckner's selbst. Sie verleugnet nirgends ein gewaltiges Pathos, eine fortreißenden Kraft, eine revolutionäre Rücksichtslosigkeit. Der größte Contrapunktist unserer Tage, hat kein einziges schulgerechtes oder pedantisches Musikstück geschrieben. Bruckner ist niemals Nachahmer gewesen, er geht seinen eigenen Weg, er ist sein eigenes Vorbild. Sein geniales Bild wird unsterblich sein und höher emporsteigen und wird ihm allgemeine dankbare und dauernde Bewunderung zu Theil werden. Den Feinden, Nerglern und Abtrünnig gewordenen aber, an deren Spitze Musiker und Recensenten von Namen stehen, rufen wir ruhig und mit reinem Gewissen mit Mozart zu: "Und wenn man euch alle zusammenschmilzt, so wird noch lange kein Bruckner daraus!« [keine Signatur] (***).

Die Allgemeine Zeitung München Nr. 296 bringt auf S. 2 eine Bruckner-Anekdote (bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde):
"     * Eine Bruckner=Anekdote. Professor Bruckner wurde bekanntlich unter dem Rectorate des Professors Dr. Adolf Exner zum Ehrendoctor der Wiener Universität promovirt. Nach Vollzug des feierlichen Actes schickte sich der Meister an, dem akademischen Senat für die ihm zutheil gewordene Ehre zu danken. Dieser Aufgabe entledigte sich nun Bruckner in einer rührend unbeholfenen Weise. Nach einigen einleitenden Worten verlor er in dem Maße den Faden der Dankesrede, daß er öfter zaudernd innehielt. Durch einen originellen Einfall half er sich schließlich aus der unangenehmen Situation heraus, indem er sagte: "So wie ich möchte, kann ich Ihnen nicht danken; wäre eine – Orgel hier, ich würde es Ihnen schon sagen." Das Aperçu des Meisters, in seiner stillen, naiven, bescheidenen Weise gesprochen, wurde nur von der nächsten Umgebung vernommen." (°).

Das Wiener Tagblatt Nr. 295 macht auf S. 6 auf den Artikel in der Neuen Musikalischen Presse Nr. 43 [25.10.1896] aufmerksam:
„     * Inhalt der „Neuen musikalischen Presse“ Nr. 43: [… Hugo Reinhold (G. S.) [Schönaich]), Brahms (Robert Hischfeld) …]. – Anton Bruckner †. – Berliner Brief […]“ (°°).

Kurze Meldung von Bruckners Tod mit Überblick über Bruckner-Aufführungen in den USA in der New York Tribune Nr. 18213 auf S. 7 in der 1. Spalte:
"                MUSICAL COMMENT.
A NEW PIANIST–DEATH OF ANTON BRUCKNER–
[...]
     [... Pianistin Rachel Hoffman ...].
     Dr. Anton Bruckner died in Vienna, after long suffering, on October 11. For years he was one of the most interesting figures in the musical life of the Austrian capital, not as professor at the Conservarory nor as admittedly one of the finest organists in the world, but as a composer. He was the high priest of the extreme wing of the Wagnerites and extremely zealous were the efforts which were made to place him before the world as the greatest composer after Wagner. In these efforts he took no part, and was by nature a modest and retirung man. He was seventy-two years old, and until prevented by the ailment of the heart which finally carried him off, worked industriously at composition. He had completed three of the four movements of his Ninth Symphony, and left directions that his "Te Deum" be incorporated in the work as its finale. So the world will hereafter have two Ninth Symphonies with choral finales. Three of Bruckner's symphonies have been heard in New-York. Mr. Walter Damrosch brought forward the third in D minor at a Symphony concert in the season 1885-1886; Mr. Thomas, the seventh in E major in the Season 1886-1887, and Mr. Seidl, the fourth in E flat, called "Romantic," in 1887-1888. Neither of the works was favorably received by the local public. The "Te Deum" was performed at the Cincinnati festival of May, 1892. In discussing it at the time The Tribune's reviewer said [ein passender Artikel in der New York Tribune konnte nicht aufgespürt werden]:
     I fancy the name of Anton Bruckner would not be looked at in such a sidewise manner as it is in New-York if it had been introduced by this "Te Deum" instead of the three symphonies which have been brought forward there. When his most admired symphony, the seventh, was performed by the Philharmonic Society five seasons ago one-third of the audience left the concert-room after the second movement. The "Te Deum" would have held the attention of its hearers to the end. It is a work of remarkable originality and power, though neither the conservative nor the ultraprogressist will be likely to set it down as impeccable. It is marked by some of the characteristics of his symphonic writing, especially by his fondness for pedal points and daring harmonies. Bruckner's boldness in this latter respect, indeed, sometimes leads him to be completely indifferent to one's ears. [vermutlich Ende des Zitats]
     There has probably been as much extravagance in the criticism of Bruckner's music, as in the laudation of his friends. How his compositions are viewed by the anti-Wagner school may be read in the fact that some fifteen years ago, when one of his symphonies was performed by the Vienna Philharmonic Society, Dr. Hanslick, a fellow-professor at the Vienna University, in his criticism printed in the "Neue Freie Presse," said that he had left the concert-room before the performance of the symphony because he "did not wish to be a witness of the room's desecration." " (°°°).

Das Prager Abendblatt Nr. 245 kündigt auf S. 3 das Konzert vom 7.11.1896 [mit dem "Germanenzug"] an:
"     *** Der Universitätsgesangverein Liedertafel der deutschen Studenten hat in seiner Vollversammlung vom 17. d. M. die Herren Prof. JUDr. Heinrich Schuster und Prof. Phil.=Dr. Ritter v. Wettstein einstimmig zu seinen Ehrenmitgliedern ernannt. – Das erste diesjährige Winterconcert des Vereines findet am 7. November im Grand Hotel=Wintergarten statt." (#).

Über das Testament schreiben "Het nieuws van den dag" Nr. 8209 (Amsterdam) auf S. 17:
"           Gemengd Nieuws.
[...]
     Anton Bruckner heeft in zijn testament de tantièmes voor de uitvoering zijner werken aaa zijne naaste bloedverwanten vermaakt, met den wensch, dat de opbrengst wat meer zou worden; „want ik zelf," schreef hij, „heb in mijn leven slechts weinig stoffelijk voordeel genoten."
     De oorspronkelijke handschriften zijner compositiën heeft hij vermaakt aan de Keizerlijke Bibliotheek te Weenen." (##).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189610265, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189610265
letzte Änderung: Mai 03, 2024, 9:09