zurück 16.4.1895, Dienstag ID: 189504165

Artikel, signiert »Elimar« (Theodor Altwirth), »Wiener Musikbrief: Über Bruckner-Aufführungen« in der Linzer Montagspost Nr. 15 auf S. 3f. Erwähnt werden die f-Moll-Messe [4.11.1894], die 2. Symphonie [25.11.1894], das Quintett [19.12.1894], der Chor »Um Mitternacht« [WAB 90, am 19.12.1894] und »Träumen und Wachen« [23.3.1895]. Die 7. Symphonie und das »Te deum« [21.12.1894] seien wegen Bruckners Erkrankung nicht aufgeführt worden. Bruckner arbeite derzeit an der 9. Symphonie:
„          Wiener Musikbrief.
   Ueber Bruckner=Aufführungen.
    Es war ein schöner Gedanke der Liedertafel „Frohsinn“ in Linz, die Reihe der anläßlich ihres fünfzigjährigen Bestandes veranstalteten Festlichkeiten mit der feierlichen Anbringung einer Gedenktafel an dem Geburtshause ihres ehemaligen Chormeisters, des berühmten Symphonikers Anton Bruckner in Ansfelden bei Linz zu beschließen. Dadurch hat sich der genannte ausgezeichnete Verein nicht allein selbst geehrt, sondern er hat auch seiner an ruhmreichen Blättern so reiche [sic] Geschichte eine neues ebenso ehrenvolles Blatt hinzugefügt. Für den Freund der Bruckner’schen Muse ist es erfreulich, zu bemerken, wie sich die Erkenntnis von der Bedeutung des großen Musikers immer mehr und mehr Bahn bricht. Daß sein Heimatland Oberösterreich dabei nicht zurückbleibt, ist für seine Heimatsgenossen doppelt erfreulich. Auch in Wien wird in den maßgebenden musikalischen Körperschaften Bruckner jetzt mehr gewürdigt als in früheren Jahren; freilich noch immer nicht in dem Maße, als ihm gebüren [sic] würde.
     In der nun zu Ende gehenden Winterspielzeit ist Bruckner von fast allen großen ständigen Musikunternehmungen bedacht worden. Im ersten Conceret [sic] der Gesellschaft der Musikfreunde wurde Bruckners III. Messe (in F-moll) aufgeführt. Die Philharmoniker brachten seine II. Symphonie, ein Kammermusik=Abend Hellmesbergers erfreute uns mit der Darbietung des herrlichen Quinttetes [sic] von Bruckner, während gleichzeitig vom Wiener Männergesang=Vereine in einem anderen Concertsaale der Chor (Um Mitternacht“ vorgetragen wurde. Auch der Akademische Gesangverein sang in seinem letzten Concerte einen Chor von Bruckner, nämlich die in Musik gesetzte Dichtung Grillparzers „Träumen, Wachen“, bei welcher Gelegenheit der in Linz wohlbekannte Herr Max Edlbacher das Tenorsolo vortrug und hiefür stürmischen Beifall errang. Die vom Wiener Akademischen Wagnervereine geplante große Brucknerfeier, bei welcher des Meisters VII. Symphonie und sein Tedeum zur Aufführung gelangen sollten, konnte leider infolge der schweren Erkrankung des greisen Tondichters im heurigen Winter nicht veranstaltet werden, sondenr wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
     Die frühere Nichtbeachtung Bruckners in Wien hat sonach ein Ende erreicht und die Zahl seiner Anhänger mehrt sich von Jahr zu Jahr, wenn auch kleine Geister und Neider seine Werke bekritteln und ihren Wert herabzusetzen versuchen.
      In dieser Beziehung hat sich anläßlich der Aufführung der III. Messe Bruckners der bekannte Kritik=Pascha von Wien, Herr Eduard Hanslik [sic], wieder ganz besonders hervorgethan. Da er den ungeheuren Eindruck, den das herrliche Werk auf alle Zuhörer machte, nicht wegleugnen konnte, so nergelte er an der musikalischen Behandlung einzelner Sätze und der Vertonung einzelner Worte herum, um dann darüber recht heftig zu greinen, daß Bruckner bei der Componierung des Credo denselben Fehler begangen habe, der sich, wie der Herr Professor Hanslik selbst zugestehen muß, durch die ganze Meßliteratur hiudurchzieht [sic], indem der Componist diesen Meßtheil dramatisierend und ausmalend behandelte. Der große Johann Sebastian Bach und der noch größere Ludwig van Beethoven, welche in ihren hohen Messen das Credo auch nicht zu einem einfachen aufzählenden Glaubensbekenntnis herabdrückten, sondern gerade in diesem Meßtheil die gewaltigsten und musikalisch=erhabensten Gedanken hineinlegten, werden selbstverständlich durch diese Kritik Beckmesser=Hansliks auch mitbetroffen.
     Von Interesse dürfte es sein, was der Componist selbst über die Aufführung seiner Messe bei der am 5. November 1894 abgehaltenen Vorlesung an der Universität seinen jungen Freunden mittheilte. „Es ist recht gut gegangen,“ sagte er, „besonders der Chor war brav. Die Leute waren mit Lust und Liebe bei der Sache; wie die Engerln haben sie gesungen. Das Kyrie und den 1. Satz vom Gloria hat nur der Dirigent (W. Gericke) zu schnell genommen. Ich habe ihn noch bei der Generalprobe um ein langsameres Tempo gebeten und er hat mir’s auch versprochen. Aber die Dirigenten folgen nicht. So sind sie alle. Als ein kranker Mann habe ich die Messe in Linz geschrieben; damals ist es mir auch so schlecht gegangen wie jetzt. Wissen Sie, wer gestern bei Aufführung der Messe auch da war? – Der Waldeck von Linz, der dortige Domorganist. Sehen Sie der ist die Schuld, daß ich das incarnatus est so componiert habe, wie es jetzt in der Messe vorkommt. Zuerst habe ich es ganz anders gehabt, und habe es, wie ich mit dem Credo fertig war, dem Waldeck in Linz einmal vorgespielt. Dem hat aber das incarnatus gar nicht gefallen, sondern er sagte zu mir: Das incarnatus in Deiner D=Messe ist viel schöner als das. Darauf habe ich mich ans Clavier gesetzt, habe eine Weile nachgedacht und dann ein neues incarnatus gespielt und dazu gesungen. Das hat dem Waldeck recht gut gefallen und das ist genau dasselbe, was jetzt in der Messe drinnen steht und so allgemeinen Beifall findet.“ – Besonders erfreut war Bruckner darüber, daß Johannes Brahms so vielen Gefallen an der Messe fand und sich lebhaft an den Huldigungen für den Componisten derselben betheiligte, worüber sich Bruckner, wie er uns erzählte, bei Brahms persönlich bedankte.
      Auch die Aufführung von Bruckners II. Symphonie war vom großartigsten Erfolge gekrönt. Insbesondere die beiden mittleren Sätze fanden stürmischen Beifall. Ueber diese beiden Sätze schrieb der bekannte Musikkritiker der amtlichen Wiener Zeitung Dr. Hans Paumgartner in der Wiener Abendpost: „Wunderschön ist der zweite Satz, ein tiefinniges und klangreizendes Andante. Etwas so Edles, so Gemüthsinnerliches, wie der Hauptsatz desselben ist nach Beethoven selten mehr gesungen worden. Von gewaltiger, unmittelbarer Wirkung ist das trotzige Scherzo mit seinen  kriegerischen, zum Kampfe rufenden Trompeten und seinem lieblich ländlerartig wiegenden und schmeichelnden Trio.“ Und Dr. Theodor Helm sprach sich u. a. Folgendermaßen aus: „Am herzlichsten erscholl der Beifall nach den beiden Mittelsätzen, die auch am Schönsten gespielt wurden. Wir [sic] sangen die Geigen und Hörner um die Wette in dem wunderbar poetischen, zuletzt gleichsam verklärt entschwebenden Andante! Eine der zauberischsten Klangwirkungen, die uns je in symphonischer Musik entzückten. Und dieses überaus schneidige, im Beethoven’schen Titanentrotz grollende und stürmende, dazwischen auch lieblich lockende Scherzo mit dem reizend melodischen, volksthümlichen Trio!“ – Dann weiter: „Wo gibt es in der neueren symphonischen Literatur etwas Innigeres, Zarteres, Edleres, Klangschöneres, poetisch Verklärteres, als das Andante, wo etwas Schneidigeres und kraftvoll Gesünderes, als das Scherzo der Bruckner'schen „Zweiten“? – Ferner: „Das Letztere erinnert im kraftvoll strotzenden Hauptsatze an Beethoven, im reizenden Trio an Schubert.“ –
     Bei diesem Concerte zeigte sich wieder das Kunstverständnis eines Theiles des Wiener Concertpublicums im schönsten Lichte, indem nach den einzelnen Sätzen der Bruckner’schen Symphonie zum Aerger der übrigen begeisterten Zuhörer viele aus den ersten Parquetreihen den Concertsaal verließen. Theodor Helm hat in der „Deutschen Zeitung“ in etwas unzarter, aber deshalb um so treffenderen [sic] Weise diesen Halbbarbaren zugerufen: „Wem fiele da nicht das Gleichnis von den Perlen und den Säuen ein?“ Musikkritiker, welche Bruckner feindlich gesinnt sind, haben bei dieser Gelegenheit wieder den alten Kohl aufgewärmt, den Herr Hanslik schon früher seinen Lesern vorsetzte, indem sie sagten, das Publicum habe haufenweise vor der Bruckner’schen Musik die Flucht ergriffen. Nun hat sich einige Wochen später etwas Köstliches ereignet. Im fünften philharmonischen Concerte war als letztes Vortragsstück die F-dur Symphonie von Brahms angesetzt und beim Vortrage derselben giengen nach den einzelnen Sätzen auch ganze Scharen von Zuhörern aus den Parterrereihen fort. Das war ein harter Schlag für die gewißen [sic] Macher der öffentlichen Meinung in Musikangelegenheiten. Aber findig wie [sie] schon sind, hatten sie alsbald den Grund dieser merkwürdigen Mißachtung des so sehr gefeierten Brahms zusammengereimt und schoben die ganze Schuld auf die Zusammenstellung des Programmes und insbesondere auf die bedeutende Länge desselben. Der eifrigste Trabant des Wiener Musikkritik=Paschas Herr Richard Heuberger ließ sich über diesen „peinlichen“ Vorfall in folgender Weise vernehmen: „Das Programm=Machen ist nicht die stärkste Seite der Philharmoniker. Manchmal übersehen sie, daß sämmtliche Stücke, die der Concertzettel aufweist, in D-moll sind, ein anderesmal verrechnen sie sich in der Zeitdauer um ein Erkleckliches. So auch gestern[.] Gegen ¾2 Uhr begann die Brahms’sche Symphonie, nach deren einzelnen Sätzen ganze Gruppen aus dem Publicum die Flucht ergriffen. Wagners Wort, daß es merkwürdig sei, was Alles der Deutsche zu vertragen vermöge, wenn [er] es nur im Abonnnement genießen kann, paßt auf die Abonnenten der philharmonischen Concerte nicht. Diese haben eine ganz genau geaichte [sic] Aufnahmsfähigkeit. Wird ihnen über diese hinaus auch nur das geringste Maß geistiger Erhebung zugemuthet, so antworten sie – obwohl das in diesem Falle nicht als Ehrenbezeugung aufzufassen ist – mit leiblicher Erhebung, mit „Erheben von den Sitzen, wie es in der parlamentarischen Sprache heißt.“ – Also bei Bruckner war’s Flucht vor dem Werke, bei Brahms dagegen – ja, Bauer das ist was anderes – Erhebung von den Sitzen wegen Nichtberücksichtigung der genau geaichteten [sic] Aufnahmsfähigkeit des Publicums. Und doch liegt die Erklärung des Fortgehens eines Theiles der Concertbesucher so nahe[.] Dasjenige Publicum, welches in Wien in den Concerten (und im Theater) die vordersten Parquet= und Parterrereihen, dann die Logen einnimmt, hat zum größten Theile überhaupt gar keinen Kunstsinn und kein Musikverständnis. Haben wir doch auch erst vor Kurzem bei dem dritten Concerte der Berliner Philharmoniker gesehen, wie ein Theil des Publicums nach den einzelnen Sätzen von Beethovens unsterblicher „Eroika“, einem Werke also, das über den Streit der Parteien steht, und von allen Musikkennern und Musikfreunden als eine der herrlichsten Blüten der Kunst gepriesen wird, in wahrhaft empörender Weise davongelaufen ist, trotzdem das Werk unter Mottl’s Leitung hinreißend schön zum Vortrage gebracht wurde. Diese Gattung von Leuten geht nur in’s Concert, weil es Mode ist und um zu sehen und gesehen zu werden. Was ist diesem unwissenden und ungebildeten Volke, welches zur sogenannten feinen und vornehmen Welt gezählt wird, die Darbietung eines erhabenen Kunstwerkes? Ja, wenn am Schlusse der Concerte das boxende Känguruh, die singenden Wölfe oder der clavierschlagende Jausenspieler Alfred Grünfeld sich producieren würden! Da bliebe man schon nach gerne eine Stunde länger sitzen. Aber Symphonien anhören von Brahms, Bruckner oder Beethoven! Das ist doch zu langweilig! Das ist doch nicht Pschütt! – Wie kann man von einem solchen Publicum eine gerechte Würdigung Bruckner’s erwarten, des Meisters, der niemals dem herrschenden Geschmacke und der Mode nachgieng, sondern seine gigantischen Werke immer nur einzig und allein nach seinem inneren Bedürfnisse und Empfinden schuf.
     Bruckner’s Befinden bessert sich nach seiner schweren im Winter überstandenen Krankheit allmählich; er ist aber noch so schwach und angegriffen, daß es ihm jetzt unmöglich ist, zu componieren und an der Vollendung seines Schmerzenskindes der IX. Symphonie zu arbeiten. Ueber dieses Werk äußerte sich Bruckner in der Vorlesung am 12. November 1894 an der Universität, der letzten Vorlesung, welche er vor seiner Erkrankung abgehalten hat, folgendermaßen: „Drei Sätze von der IX. Symphonie sind schon fertig, die beiden ersten schon vollständig, nur im 3. Satz muß ich noch etwas nuancieren. Mit der Symphonie habe ich mir noch eine starke Arbeit auferlegt. Ich hätte es nicht thun sollen, bei meinem hohen Alter und meiner Kränklichkeit. Zum Spieln wird die Symphonie nicht leicht werden. Das Adagio, das darinnen vorkommt, soll das schönste sein, was ich geschrieben habe. Mich ergreift es immer, wenn ich es spiele. Sollte ich vor der Vollendung der Symphonie sterben den 4. Satz nicht mehr fertig bringen, so muß mein Tedeum als 4. Satz dieser Symphonie verwendet werden. Ich habe es schon so bestimmt und eingerichtet.“
     Hoffen wir, dass der Meister wieder seine Gesundheit und Rüstigkeit erlange und daß es ihm vergönnt sei, seine „Neunte“, auf welche von seinen Anhängern und Verehrern die allergrößten Erwartungen gesetzt werden, ganz zu vollenden.
                                               Elimar.“ (*).

Die Linzer Montagspost teilt auf S. 5 zudem mit, daß die Enthüllung der Ansfeldener Gedenktafel vom 21.4.1895 auf Mai 1895 [12.5.1895] verschoben wurde:
„     Tagesneuigkeiten.
                   
     Linz, am 16. April.
[…]
    „Liedertafel Frohsinn.“ Die Enthüllung der Gedenktafel für Dr. Anton Bruckner in seinem Geburtsorte Ansfelden wird vom 21. April auf den Monat Mai verschoben. Der Tag der Feier wird später noch bekanntgegeben.“ (**).

Der Ausschuß der Liedertafel »Frohsinn« legt den 12.5.1895 als Termin der Gedenktafelenthüllung in Ansfelden und den Text der Inschrift fest (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189504165, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189504165
letzte Änderung: Nov 27, 2023, 21:21