zurück 19.10.1896, Montag ID: 189610195

A. Geschehenes, Geschriebenes (Ereignisse, Briefe)

Dr. Reisch verständigt die Hofbibliothek von Bruckners Legat, seine Manuskripte betreffend (*).

Präsentationsvermerk und Notiz auf der am 14.10. zugeschickten Todesanzeige: Fürst Liechtenstein habe Bruckner hoch geschätzt und auch einmal mit ihm persönlich verkehrt (**).

Gedenkfeier des Brünner Wagner-Vereins mit einer Aufführung des Adagios der 7. Symphonie. Anwesend vom Wagner-Verein: Strauch, Otto Rupp, Richard Wickenhaußer, Antonie Nikodem, Heinrich Janoch und Bruckners Schüler Krumpholz, anwesend als Mitwirkende außerdem das Pawlik-Quartett und Bräunlich (***).

Beim Probenabend des Männergesangvereins Grünburg-Steinbach widmet Dr. Hueber Bruckner einen Nachruf. Als letzter Gruß an den Verstorbenen wird das Vereinsmotto gesungen (°).

Brief von Theodor Helm an Jean Louis Nicodé:
     Dankt für den Brief [vom 14.10.1896] und den beigelegten Artikel Dr. Seidls [vermutlich Artikel in der "Deutschen Wacht" nach dem 11.10.1896]. Die 9. Symphonie schon jetzt mit dem "Te deum" aufzuführen, scheitere daran, dass Bruckner die geplante Überleitung nicht mehr fertigstellen konnte. Für notwendige Ergänzungen kämen außer Nicodé selbst auch Hugo Wolf, Felix Mottl oder Richard Strauss in Frage. Außerdem benötige man die Ausleihegenehmigung der Hofbibliothek. Vielleicht könne Dr. Reisch weiterhelfen. Auskünfte zu den Manuskripten könnten auch Ferdinand Löwe und Cyrill Hynais geben. Aber Nicodé könne für seine Dresdener Konzerte auch an die 2., 3. und 5. Symphonie denken oder – etwas gewagt – an die bei Doblinger erschienene 1. Symphonie (°°).

B. Gedrucktes (Zeitungsartikel in alphabetischer Reihung)

[vermutlich Falschmeldung!]
Artikel über Bruckner im Deutschen Volksblatt (zd1).

Artikel Göllerichs »Dr. Anton Bruckner« in der Linzer Montagspost Nr. 42 auf S. 5f:
„           Dr. Anton Bruckner.
 
  Die Erscheinungen in der Welt der Kunst, welche sich ganz nur aus sich heraus entwickelten, ohne daß Einflüsse zwingender anderer Individualitäten ihre Richtung bestimmt oder abgelenkt hätten, werden in unserer Zeit immer seltenber. Zu diesen Seltenheiten zählt Anton Bruckner dessen Sendung es war, in einer Zeit, die alle überbrachte Form sprengte, um auf neuen Pfaden wesentlich Neues zu gewinnen, die alte Form der classischen Symphonie mit neuem Inhalt zu erfüllen.
     Zeitgenosse der größten Meister der Musik des Jahrhunderts: Berlioz’, Liszt’s und Wagner’s ließ ihn sein Weg ferne dieser Meister, ferne ihrem Ideenkreise ziehen und zur Zeit, als der Kampf um die programmatische Zukunftsmusik am heftigsten tobte, war und blieb er, ohne irgendwie in diesen Kampf einzutreten, unbeirrt der absolute Musiker, der schon in seiner ersten Symphonie die seiner Eigennatur eben voll entsprechende Form gefunden hatte und an ihr unentwegt festhielt bis an das Ende seines Schaffens. Nur einem der genannten Meister, R. Wagner, ist er persönlich näher getreten, und diesem war seine Individualität so sympathisch, daß er Bruckner offen als den Einzigen bezeichnete, der ihm unter den componierenden Zeitgenossen etwas zu sagen hätte. Die Bruckner eigene Form indeß blieb durch diese Freundschaft mit Wagner ganz unberührt – wie denn auch die Bruckner’sche Orchester=Farbe von der seiner sämmtlichen Zeitgenossen völlig verschieden ist.
     Gott als Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens im Herzen, führte ihn sein Schaffensdrang mit heißer Inbrunst  und kindlicher Demuth zur Schöpfung kirchlicher Werke, deren Bedeutung in künftige Jahrhunderte hineinleuchtet, und ließ ihn hier Bahnen betreten, auf denen ihm Franz Liszt – von anderen Ausgangspunkten kommend – begegnete, ohne daß er von den betreffenden Werken dieses Reformators der Kirchenmusik auch nur eine Ahnung gehabt hätte.
     In voller Schöpferlust trieb es ihn einst aus den compliciertesten Formen der Instrumental= und Vocalkunst hin zur Kammermusik, und er rastete von seinen ungeheuren Thaten in Musik aus in der Schöpfung eines Streichquintettes[.] Als ich ihm meine Ueberzeugung aussprach, daß dieses Werk eine directe Fortsetzung der letzten Quartette Beethovens bedeute, erschrack [sic] er lebhaft in seiner Bescheidenheit vor dieser Zusammenstellung mit dem von ihm höchstverehrten Meister und erzählte mir, daß er leider die letzten Quartette Beethovens überhaupt nicht kenne! –
     Was er konnte, hat er aus sich erworben durch kraftvolles Ringen, durch harte Arbeit, durch unermüdliche Ausdauer. Der bedeutendste Theoretiker seiner Zeit, Sechter, bezeichnete ihn als denjenigen, dem sein Wissen nichts mehr zu sagen hätte. So virtuos beherrscht er die Satzkunst, daß seine augenblicksgebornen Orgel=Improvisationen die volle Kritik und die Sonde aller Gelehrsamkeit nicht nur vertragen, sondern die verlegenen Richter geradezu zum Eingeständnisse zwingen, daß hier das gewohnte Können weit überschritten sei, und sie zum Geprüften gerne in die Lehre gehen wollten.
     Unbekannt mit der Welt zieht Bruckner nach Frankreich und England und der Oberösterreicher schlägt in glorreichem Siege auf der Orgel die gefeiertsten Koryphäen! – Er kehrt heim mit dem Zeugnisse, daß sein Spiel nur dem Bach’s zu vergleichen sei.
     Voll überströmender Liebe zur Jugend möchte er diese des Wissens theilhaftig machen, das seine Innenschau über die Gesetze seiner Kunst erworben. Er bittet, ihn an der Wiener Universität Vorlesungen über Harmonie=Lehre halten zu lassen. Aufgescheuchte Trägheit und offenes Mißwollen suchen unermüdlich das Gelingen auch dieses Wollens zu hintertreiben, wie sie durch abwitzelnde Entstellung und rohe Verspottung der Eigenthümlichkeiten der Welt des Truges verrathenen Genius [sic] sein Schaffen zu verspäten trachteten.
     Was geschieht? Die Vorlesungen Bruckners zählten alsbald nicht nur zu den besuchtesten und populärsten, sondern die Universität ernennt den einstigen Schulgehilfen des oberösterreichischen Dorfes zum Ehrendoctor der Philosophie.
     Mit Umgehung allen Instanzenweges endlich dringt die laute Kunde von der Bedeutung seines Schaffens zum Throne selbst und der weltscheue, einfache Mann, dem Jahrzehnte hindurch auch die geringste Ehrung vergällt worden war, der Alles, was menschliche Niedertracht ersinnen kann, erleiden mußte, legt sein müdes Haupt zur Ruhe in dem Lustschlosse, das ihm kaiserliche Huld eröffnet hat.
     Und als er zu Grabe getragen wird, nimmt ein Volk an der Trauerfeier ergriffen theil, dem bewußt geworden, daß hier einer der Größten im Reiche der Töne geschieden, den zu ehren hehre Pflicht ist. Das reichste Stift Oberösterreichs gönnt dem todten Meister gerne unter Feierlichkeiten, wie sie nur Gekrönten zu Theil werden, Aufnahme in seiner Kirche, wo der Geschiedene nun unter der berühmten Orgel ruht, die seine Hand so oft gemeistert! Fürwahr, ein selten Leben – ein selten Ende!
     Das Walten Anton Bruckners errang Unsterblichkeit.
     Seine reine, nie zu trübende Lauterkeit, seine echt deutsche Schlichtheit, vor Allem aber: seine erhabenen Werke – künden laut, daß nur Eines erhält: feste Ueberzeugungstreue, nur Eines siegt: volle Wahrhaftigkeit!
                         August Göllerich.“ (zl1).

Auf S. 6 wird mitgeteilt, daß die Aufstellung einer Bruckner-Büste im Arkadenhof der Wiener Universität geplant sei:
"           Tagesneuigkeiten.
                            Linz, 19. October 1896.
     Meister Anton Bruckner †. Der Rector der Wiener Universität, Professor Reinisch, hat die Anregung gethan, im Arcadenhofe der Universität die Büste Bruckners, der bekanntlich Ehren=Doctor der Universität war, aufzustellen. […]." (zl1a).

[vermutlich Falschmeldung! 14.10.1896 gemeint?]
Artikel von Ludwig Josef Bermanschläger »Eine Erinnerung an Bruckner« im Linzer Volksblatt (zl2).

Artikel »Das Testament Anton Bruckner's.« im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 288 auf S. 5: "     * (Das Testament Anton Bruckner's.) Zu Universalerben hat der verstorbene Anton Bruckner seinen Bruder Herrn Ignaz Bruckner und seine Schwester Frau Rosalia Hueber ernannt. Seiner langjährigen Wirthschafterin Kathi bestimmte er 700 fl. Die Manuscripte hinterließ der Verstorbene der Hofbibliothek. In dem Testamente spricht übrigens Anton Bruckner den Wunsch aus, daß seine Erben größerer Tantièmen sich erfreuen mögen, als es ihm vergönnt war. Nicht uninteressant ist der Wunsch des Verblichenen, mit welchem er ein Leichenbegängniß erster Classe verlangte und speciell einen Metallsarg. Schon bei Lebzeiten, heißt es im Testament, habe sich Bruckner vom Stifte St. Florian die Erlaubniß erbeten, dort unter der großen Orgel gebettet zu werden." (zn1).

Artikel im Sonn- und Feiertags-Courier Nr. 42 auf S. 2:
"Theater= und Kunstnachrichten.
     Anton Bruckner ist vorige Woche hochbetagt gestorben. Er hat als Componist nach dem Höchsten gestrebt, aber es leider nicht erreicht. Er besaß nicht das Talent, seine musikalsichen Gedanken zu einem wohlgegliederten Ganzen zusammenzufassen. Seine Compositionen blieben Stückwerk und werden ihn daher wohl nicht lange überleben. Seine Freunde haben in den letzten Jahren sehr viel für ihn gethan. Sie wollten ihn zu einer Größe hinaufschrauben, zu der ihm Alles fehlte. Seine Compositionen sind alle formlos und ungeheuerlich. Das "Musikalisch=Schöne" ist ihm bis an sein Ende fremd geblieben." [keine Signatur] (zs1).

"Het vaderland" Nr. 247 ('s-Gravenhage) schreibt auf S. 10 über Klavierbearbeitungen der Symphonien: "Kunst- en Letternieuws. [...]     Men zegt, dat het „Wagner-Verein” de kosten van een klavierbewerking van Bruckner’s Symphonieën voor haar rekening zal nemen." (zv1).

Artikel, signiert »H. W.« [= Hans Woerz?], in der Wiener Sonn- und Montagszeitung Nr. 42 auf S. 1f:
»                         Feuilleton.
      Bruckner, Brahms und die Kritik.

     H. W. Wie damals, als Johann Herbeck in des Lebens Vollkraft von der raschen Hand des Todes dahingerafft wurde, so liegt auch heuer ein frisches Musikergrab hart am Eingange der neuen Concertsaison; [... Urteil Herbecks, Vergleich mit Brahms, Tadel am Übereifer der Anhänger, an der Überfülle der Konzertsaison, der die Kritik, die sich auf das Wertvollste beschränken müsse, nicht folgen könne ...] Wir unserestheils haben niemals auf einen anderen Erfolg unserer bescheidenen Thätigkeit gehofft, als auf das Bewußtsein, das Unserige gethan, eine Pflicht erfüllt zu haben. Das ist immerhin schon etwas.« (zw1).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189610195, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189610195
letzte Änderung: Dez 31, 2023, 15:15