zurück 10.12.1896, Donnerstag ID: 189612105

Artikel »Anton Bruckner« von Theodor Helm im Musikalischen Wochenblatt Nr. 51 auf S. 679 - 681 [der komplette Text ist über den Link abrufbar]:
"                Biographisches.
                     Anton Bruckner.

(Eine Ergänzung zu der in No. 1–5 des Jahrganges 1886 des "Musikalischen Wochenblattes" enthaltenen biographischen Skizze.)
     "Es dürfte wohl nicht oft vorkommen, dass ein bedeutender Tondichter, der durch mehrere Jahrzehente [sic!] hindurch ununterbrochen auf das Fleissigste und im grössten Stile geschaffen, erst sein sechszigstes [sic] Lebensjahr erreichen muss, um über die Grenzmarken seines Heimathlandes auch nur genannt zu werden, dann aber auch sofort, und zwar durch ein einziges Werk zum gefeierten Mann des Tages wird. Beides: die langjährige Ignorirung und die endlich um so glorreichere Anerkennung war das Loos Anton Bruckner's, des genialen Wiener Symphonikers und Kirchencomponisten, dessen Name, bis zur Jahreswende 1884 – 1885 in ganz Deutschland kaum gekannt, nun mit Einem Male durch den sensationellen Erfolg seiner siebenten Symphonie (Edur) in Leipzig und München in den Mund aller Musiker und Musikfreunde kam."
     Wörtlich so lautet die Einleitung zu dem biographischen Artikel über Anton Bruckner, welchen der Unterzeichnete auf Wunsch des Herausgebers dieser Fachzeitung [E. W. Fritzsch] zur Eröffnung des neuen Jahrganges 1886 unseres "Musikal. Wochenbl." schrieb, und es erscheint wohl die in besagter Einleitung constatirte Thatsache noch heute so sehr geeignet, das Interesse aller Musiker und Musikfreunde zu erregen, dass ich mir gestatten konnte, auf meine damaligen, oben citirten Anfangsworte hier nochmals zurückkommen. Seither [... 30.12.1884 Nikisch 7. Symphonie, 10.3.1885 Levi ...] sind fast zwölf Jahre vergangen. Was sich in dieser langen Zeit am Lebensabende  Bruckner's Bedeutsames ereignet – und es war meist für den greisen Componisten höchst Ehrenvolles und Erfreuliches, so sehr ihm andererseits ein Theil der Kritik die Freude an den immer grösseren Erfolgen beim Publicum verbitterte –, ist zwar den Lesern dieses Blattes aus meinen Wiener Musikbriefen von Fall zu Fall bekannt geworden, es dürfte aber eine zusammenhängende Darstellung jetzt um so mehr am Platze sein, als vor Kurzem – am 11. October 1896 – der Meister zu seinen Vätern versammelt worden, und nun, da wir von ihm keine neue Schöpfung mehr zu erwarten haben, die Möglichkeit gegeben, die künstlerische Bilanz seines vielgepriesenen und vielbestrittenen Schaffens zu ziehen. Eine Möglichkeit, die aber noch nicht so bald in die von des Meisters Verehrern so heissersehnte Wirklichkeit übergehen dürfte. Denn so lange man Bruckner's Symphonien und Chorwerke nicht ganz genau kennt – sei es durch wiederholte Aufführungen oder wenigstens durch gründliches Studium der betreffenden Partituren und Clavierauszüge – wird man über diesen höchst individuellen Titanen der Töne kein entscheidendes Urtheil sprechen können. Am wenigsten berechtigt ein erstmaliges, durch keinerlei häusliche Vorbereitung unterstütztes Hören dazu: ich spreche hier durchaus aus eigener Erfahrung. Wie fremd bin ich anfangs z. B. der zweiten, dritten, selbst der mir jetzt besonders lieben vierten Symphonie des Meisters gegenübergestanden, und wie habe ich mich durch öfteres Hören (und nicht zum Mindesten durch wiederholtes Durchspielen der vortrefflichen vierhändigen Clavierauszüge mit verstehenden Partnern) in die kühnen, nicht mit herkömmlichem Maasse zu messenden Schöpfungen endlich eingelebt! Doch es soll in nachfolgenden Zeilen nicht mehr von Beurtheilung der grossen Bruckner'schen Tondichtungen die Rede sein – wozu wohl wirklich die unmittelbare Gegenwart noch nicht reif ist –, und am wenigsten kann es mir beifallen, gegen irgend Jemanden, über Bruckner anders Denkenden (wie ich weiss, sind das noch sehr Viele) irgendwie zu polemisiren. Es soll, wie gesagt, nur das rein Thatsächliche aus den zehn letzten Jahren des an Ehren und Dornen reichen Bruckner'schen Erdenwallens den Lesern in Erinnerung gebracht werden. [... 7. Symphonie 21.3.1886 in Wien ...]. Aber die eigentlichen Stammabonennten (darunter freilich viele als unmusikalisch bekannte reiche Leute, die nur um der lieben Mode Willen diese Concerte besuchen) nahmen schon nach dem ersten Satz – ohne nur das erhabene Adagio abzuwarten – in hellen Schaaren Reissaus, sodass das Finale vor arg gelichteten Bänken spielte. [... Stichwörter: Hanslick, Wiener Akademischer Wagner- Verein, Herbeck 3. Symphonie 16.12.1877, David Poppers Appell "von den übel unterrichteten an die besser zu unterrichtenden Collegen" und Bruckners "glühender Dank" für dessen Eintreten, Hans Richter 21.12.1890 ...]. Nur wenige Hörer verliessen diesmal  vor Ende des Ganzen den Saal, und weit herzliche rund einhelliger erklang nach den einzelnen Sätzen der Beifall. Damit war eigentlich erst das Eis für Bruckner in Wien gebrochen. [...] Der Name Bruckner verbürgte von jetzt an den Herren Musikern ohne Weiteres den hohen ästhetischen Werth, eine Auszeichnung, welche bisher von den Philharmonikern nur ganz wenigen hervorragenden Zeitgenossen eingeräumt war, vor Allem natürlich Brahms, dann etwa Dvořák, Goldmark, in neuester Zeit auch Richard Strauss. [... 1. Symphonie 13.12.1891, Ehrendoktorat, Exner ...] Ich, der Rector magnificus der Wiener Universität, beuge mich vor dem ehemaligen Unterlehrer von Windhag."
                   (Schluss folgt.)" [Signatur am 17.12.1896: "Theodor Helm."] (*a).

Auf Seite 685 sind als »Aufgeführte Novitäten« verzeichnet die 4. Symphonie in Leipzig [9.11.1896], Laibach [18.10.1896] und Frankfurt [30.10.1896] und das Adagio der 7. Symphonie in Berlin [26.10.1896] und Dresden [28.10.1896]:
"Bruckner (A.), Romant. Symph. (Frankfurt a. M., 2. Freitagsconc. der Museumsgesellschaft [Kogel]. Laibach, 1. Mitgliederconc. der Philharm. Gesellschaft [Zöhrer]. Leipzig, 3. Concert des Liszt-Ver. [Sitt].
– – 2. Satz a. der Edur-Symph. (Berlin, 2. Philharmon. Conc. [Nikisch a. Leipzig]. Dresden, 1. Nicodé-Conc.)" [die eckigen Klammern so im Original] (*b).

Im Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten Nr. 574 (Vorabend-Blatt) auf S. 3 über das Konzert vom 8.12.1896, signiert "M.", werden die Motetten »Christus factus est« [WAB 11] und »Virga Jesse« als »sehr stimmungsvolle Kirchengesänge« bezeichnet:
"Theater und Musik.
[...]
      M. Das Kirchenkonzert des Porges'schen Chorvereins, das gestern (Dienstag) in der neuen protestantischen Kirche am Mariannenplatz zu einem Wohlthätigkeitszwecke stattfand, nahm einen sehr schönen Verlauf. Die Leistungsfähigkeit dieser Chorvereinigung, die unter der energischen, bahnbrechenden Führung ihres Dirigenten sich in der verhältnismäßig kurzen Zeit ihres Bestehens schon einen sehr bedeutenden Namen in der Musikwelt errungen hat, trat auch diesmal rühmlich hervor. Vorübergehende kleine Schwankungen in der Reinheit der Tongebung bei einigen Nummern mögen in der für den Chor noch ungewohnten Akustik des neuen Raumes ihren Grund gehabt haben. Das Programm wies, wie dies bei Porges rühmlicherweise Regel ist, Namen der Pioniere der neueren Konzertmusik auf. Das sagt mehr, als es auf den ersten Blick aussieht. Denn die Schreibweise der neueren Tonsetzer für den Vokalsatz ist wesentlich komplizirter als die ihrer Kunstgenossen der vorausgegangenen Periode und es ist natürlich ein viel schwierigeres, aber deshalb auch verdienstvolleres Unternehmen, ihnen auf ihren neuen Pfaden zu folgen, als, wie sonst meist üblich, längst ausgetretene Geleise fortzuwandeln. Zwei sehr stimmungsvolle Kirchengesänge "Christus factus est" und "Virgo Jesse floruit" des jüngst ver-verstorbenen [sic] Wiener Tonsetzers Anton Bruckner eröffneten die Vorträge des Chores in sehr schöner Weise. Desgleichen [... weitere Werke, darunter auch von Hugo Wolf ...]. Der Organist Herr Franz Reidl, der sich um die Musikaufführung durch Begleitung sämmtlicher Vokalnummern in hervorragendem Maße  verdient machte, erfreute die Zuhörer überdies durch außerordentlich fesselnde und mit großer Kunstfertigkeit ausgeführte Orgelvorträge. [...]." (**).

Die Allgemeine Zeitung München Nr. 341 informiert im Abendblatt auf S. 3 über die Pläne zu einem Bruckner-Denkmal in Wien:
"     * Wien, 6. Dec. Ein Bruckner=Denkmal wird für Wien angeregt. Das gibt dem conservativen "Vaterland" Anlaß, die Platzfrage für Wiener Monumente im allgemeinen zu erörtern. Richard Kralik stimmt in einem sehr gescheidten [sic] Aufsatze [...], 1) die Arcaden des Wiener Rathhauses [...], und 2) die Außenseiten der Votiv=Kirche mit Monumenten von deutsch=österreichischen Fürsten und Künstlern [...] zu bedenken. [...dadurch auch Förderung der Bildhauergilde (Beispiel: Ludwig I.) ...]. Hoffentlich findet die Mahnung allerorten Gehör." (***).

Von dem entsprechenden Projekt in Steyr (Glasfenster) berichtet die St. Pöltner Zeitung Nr. 50 auf S. 11:
"                      Aufruf
zur Ehrung des Andenkens an Dr. Anton
       Bruckner in Stadt Steyr.

     Das Hinscheiden des großen Symphonikers Dr. Anton Bruckner hat in der ganzen musikalischen Welt die innigste Theilnahme hervorgerufen, denn mit ihm ist ein Tondichter dahingegangen, der zu den bedeutendsten Componisten der Gegenwart zählt. – Bruckner war bekanntlich ein geborener Oberösterreicher und der große Meister weilte mit besonderer Vorliebe in der Stadt Steyr, wo er im Stadtpfarrhofe alljährlich Sommeraufenthalt nahm und dortselbst viele seiner unsterblichen Werke schuf.
     Geleitet von dem Bestreben nun, das Andenken an Dr. Bruckner und an seinen Aufenthalt in Steyr dauernd und würdig zu ehren, hegt man die Absicht, dem großen Todten ein Denkmal in dieser Stadt zu errichten, und man glaubt dies am besten zu erreichen durch Schaffung eines Votivfensters in der hiesigen Stadtpfarrkirche in der Nähe des Chores, woselbst der Verewigte durch sein meisterhaftes Spiel so oft die Andächtigen erhob.
     Sollte die zur Herstellung eines solchen Votivfensters nöthige Summe, welche sich auf circa 6000 fl. stellen dürfte, nicht aufgebracht werden können, so würde eine andere Form des Denkmales gewählt werden.
     Zur Durchführung dieser Idee ist das unterzeichnete Comité zusammengetreten und erlaubt sich, zur Aufbringung der Kosten eine Sammlung einzuleiten und alle Verehrer des verblichenen Meisters, insbesondere die musikalischen Vereine zu bitten, sich mit einem entsprechenden Beitrage gütigst betheiligen zu wollen.
     Spenden nimmt Herr Franz Bayer, Regenschori und Chormeister des Männergesangvereines "Kränzchen" entgegen, und werden dieselben in den hiesigen Localblättern veröffentlicht.
     Steyr, im November 1896.
Johann Redl, Bürgermeister, Obmann. Joh. Ev. Strobl, geistlicher Rath und Stadtpfarrer, Obmann=Stellvertreter. Franz Bayer, Chorregent und Chormeister des Männergesang=Vereines "Kränzchen", Cassier. Hermann Bachtrog, Secretär der "Gesellschaft der Musikfreunde", Schriftführer. Franz Tomitz, Gemeinderath. Dr. Franz Angermann, Vorstand der "Steyrer Liedertafel". Dr. Hermann Spaengler, Vorstand des Männergesangvereines "Kränzchen". Josef Tobisch, Chormeister der "Steyrer Liedertafel". " (°).

Über das Konzert am 16.12.1896 (mit dem 2. Satz der 3. Symphonie) schreibt das Salzburger Volksblatt Nr. 282 auf S. 2:
"     * Mozarteums=Concert. Das letzte diesjährige Abonnements=Concert am Mittwoch den 16. d. M., Abends halb 8 Uhr im Kursaale bringt zur Erinnerung an Mozart's Todestag [ ... D-Dur-Klavierkonzert mit Josef Pembaur ...]. Das Mozarteum gedenkt in diesem Concerte auch des jüngst verstorbenen österreichischen Meisters Dr. Anton Bruckner. Bei der Fülle der verschiedenen musikalischen Vorführungen, die um diese Zeit das Publikum in Anspruch nehmen, war es nicht möglich, eine Feier größeren Styles zum Gedenken des verblichenen Meisters zu veranstalten. Gewiß ist aber die Wahl des Adagio aus seiner Symphonie Nr. 3, R. Wagner gewidmet, als eine gelungene zu nennen, es sind wunderbare Harmonien, die in stimmungsvoller Abwechslung und Schönheit Bewunderung einflößen. [... "Eroica" ...]." (°°).

Die Zeitung The San Francisco Call Nr. 10 berichtet auf S. 6 vom Denkmalprojekt und von der geplanten Aufführung der d-Moll-Messe in Wien:
"           MUSIC AND MUSICIANS.
[...]
     The Austrian composer, Antoine Bruckner, was not so much made of during his lifetime, but his death has been the signal for all sorts of post mortem honors. A statue is to be erected to his memory in Vienna, and in the same city his grandioso Mass in D minor, which he never had the pleasure of hearing well performed, will be rendered next month, in a concert hall, with the best orchestra and chorus procurable." (°°°).

 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189612105, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189612105
letzte Änderung: Apr 16, 2024, 15:15