zurück 4.9.1894, Dienstag ID: 189409045

Übersicht:
A. Geschehenes (Ereignisse)
B. Gedrucktes (Zeitungsartikel)
C. Geschriebenes (Briefe)
D. Gesendetes (Telegramme, alphabetisch sortiert)

A. Geschehenes

Bruckner feiert in Steyr seinen 70. Geburtstag. - Eine Abordnung der Stadt Steyr mit Bürgermeister Johann Redl an der Spitze überreicht Bruckner ein offizielles Glückwunschschreiben (*).
Auf Bitten Bruckners liest Pfarrer Aichinger eine Messe, an der Bruckner teilnimmt (*a).

Bruckner wird anläßlich des Geburtstages von der Steyrer Liedertafel [vgl. 12.9.1894] (**)
und dem Wiener Schubertbund (***) zum Ehrenmitglied ernannt.

B. Gedrucktes

Artikel Theodor Helms (2. Teil) in der Morgenausgabe der Deutschen Zeitung Nr. 8148 auf S. 1f:
"                             Anton Bruckner.
          Zur 70. Wiederkehr seines Geburtstages.
                     Schluß.*) [Fußnote: "Siehe Nr. 8147."]
     Von der folgenschwersten Bedeutung für Bruckner's weitere künstlerische Entwicklung war das Jahr 1865. Die denkwürdigen ersten Aufführungen von "Tristan und Isolde" lockten ihn nach München und er machte dort die persönliche Bekanntschaft des genialen Schöpfers des genannten Musikdramas, Richard Wagner's, zu dessen glühendsten Verehrern er nun fortan gehörte. Wurde durch das Studium der großen Wagner'schen Tondichtungen, in die er sich immer mehr versenkte, seinem schöpferischen Ideenkreise die segensreichste Anregung und Erweiterung, so zog er sich andererseits, da er aus seiner Begeisterung für Wagner kein Hehl machte, in den damals noch sehr zahlreichen dem Dichtercomponisten feindlichen Musikern und Musikreferenten selbst unversöhnliche Gegner auf den Hals, die ihm, besonders seit seiner Uebersiedlung nach Wien, die dortige Stellung vielfach erschwerten. [... über die Aktivitäten in Linz, die Sonderstellung der 1. Symphonie ... die Vernächlässigung in den philharmoniken Konzerten, die Unterstützung durch den Wiener Akademischen Wagner-Verein, speziell Josef Schalk und Ferdinand Löwe, über die Beziehung zu Richard Wagner, das Schicksal der späteren Symphonien ...].
     Zwar nicht unter dem niederschmetternden Eindruck von Wagner's Tode (wie irrig Viele, unter ihnen auch unser wiederholt citirter K. Egsch, meinen), wohl aber unter einer nicht abzuweisenden Vorahnung des ungeheueren Verlustes eines Größten, Edlen, bei welcher er wohl dunkel an Wagner denken mochte, schrieb Buckner das Cis-moll=Adagio seiner siebenten Symphonie (in E-dur), den erhabensten symphonischen Trauergesang seit Beethoven, mit welchem sich dessen Schöpfer – wie ein hervorragender Münchener Kritiker erklärte: für ewige Zeiten ins goldene Buch der Tonkunst eingetragen hat. Und eben dieses Adagio, dieser bei höchster Selbstständigkeit von Beethoven's und Wagner's Geiste förmlich durchtränkte Wundersatz, an tragischer Gewalt nur der unsterblichen Trauermusik beim Tode Siegfried's in der "Götterdämmerung" oder der "marcia funebre" in der "Eroica" zu vergleichen, diese edelste und erhabenste musikalische Trauerfeier des geheimnißvoll vorgeahnten Hinscheidens des Bayreuther Meisters war es, was den Riesenerfolg der siebenten Symphonie in Leipzig und München entschied und hiermit Bruckner plötzlich zu einer Berühmtheit verhalf, von der er sich selbst nichts hatte träumen lassen. Kann man da nicht sagen: Der jetzt seine greise Stirn schmückende unverwelkliche Lorbeer wäre ihm eigentlich aus dem Grabe Wagner's heraus erblüht?     *     *     *
      [... in Wien Erfolg des Quintetts, des "Te deum" und der 8. Symphonie ...] – trotz dem unablässigen Gekreisch gewisser kritischer Nachtvögel. [...zunehmende Anerkennung in Wien und andernorts ... über den Commers nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde ...].
     Unterzeichneter aber schließt – diesfalls gewiß im Namen von vielen Tausenden sprechend – mit dem innigen, verehrungsvollen Herzenswunsche, daß dem geliebten Meister vom 4. September an seine leider etwas angegriffene Gesundheit in voller Frische zurückkehre, ihm dadurch Kraft und Lust gewährend zur Vollendung des neuen großen Werkes, mit dem wir ihn jetzt beschäftigt wissen und von welchem wir nach dem Vorangegangenen nur das Höchste erwarten dürfen: seiner neunten Symphonie!    Theodor Helm." (°).

Artikel Speidels "Anton Bruckner (Zu seinem siebzigsten Geburtstage)." im Fremdenblatt Nr. 243 [Morgen- oder Abendblatt?] auf S. 5f, signiert "L. Sp.":
            Theater und Kunst.
                     
Anton Bruckner.
        
(Zu seinem siebzigsten Geburtstage.)
     
 
Aus bescheidenen Anfängen hat es Anton Bruckner auf eine Höhe gebracht, wo er allgemein als einer der ersten Komponisten unserer Zeit angesprochen, ja von Vielen als die größte musikalische Begabung der Gegenwart gepriesen wird. Wir wissen nicht, in welchem Neste Oberösterreichs Bruckner geboren ist. Als das neugeborene Knäblein 1824 die Welt beschrie, saß Beethoven sinnend über seinen letzten tiefsinnigen Tonwerken; Franz Schubert, dem kaum mehr vier Jahre Lebenszeit gegönnt waren, schuf, wie von der Vorahnung eines frühen Todes getrieben, Werk auf Werk; Richard Wagner aber, der dritte Mann neben jenen Beiden, der den wesentlichsten Einfluß auf Bruckner geübt, lag, musikalisch genommen, noch in den Windeln. Von Bruckner' Knabenjahren und wie das musikalische Talent in ihm erwacht ist, haben wir nichts erfahren können; nur das wissen wir, daß ihm das Leben nicht leicht gemacht worden. Er hat das harte Brod des Schullehrers gegessen. Er versah Jahre hindurch das Amt eines Schulgehilfen auf dem Lande mit einem monatlichen Gehalt von zwei Gulden, so daß er, um nicht zu verhungern, gezwungen war, auf Bauernhochzeiten und Kirchtagen um einen Zwanziger die ganze Nacht zum Tanz aufzuspielen. Wie die Musik seine Brodgeberin war, so war sie es auch, die ihm ideale Flügel wachsen ließ und ihn über die Armseligkeiten eines kümmerlichen Lebens hinweghob. Bruckner ist an der Orgel herangewachsen, einem musikalischen Instrumente, das eigentlich nur das ganz Große auszusprechen berufen ist. Man könnte sagen, seine musikalische Gesinnung, die Kleines und Kleinliches verschmäht, habe sich an diesem würdigen Instrumente entwickelt. Mit Eifer und Energie, oder sagen wir lieber, mit der Liebe des entschiedenen Talentes, warf er sich auf das Orgelspiel, wo denn bald die Fertigkeit der Hände und der Füße — denn die Orgel nimmt den ganzen Menschen in Anspruch — der Beweglichkeit seiner Phantasie entsprach, so daß er im freien Vortrag eine Meisterschaft gewann, deren Ruf bis nach England sich verbreitete. Die Orgel erlöste ihn auch aus der Dienstbarkeit der Schule. Er wurde als Domorganist nach Linz berufen. In dieser Stellung konnte er aufathmen, weil er, in allerdings bescheidener Weise, seine Zukunft gesichert fand.
     Schon zu männlichen Jahren vorgeschritten, fühlte Bruckner, der sich in der Musik bisher naturalistisch fortgeholfen, das Bedürfniß, sich in die Theorie seiner Kunst systematisch einführen zu lassen. Das war im Jahre 1855. Sein Lehrer war Simon Sechter in Wien, der berühmte Theoretiker, der so korrekt und erfindungsarm kompomirte. Vier Jahre hindurch, immer zu Ostern und Weihnachten, wo ihm kurze Ferien gewährt wurden, konnte man den Linzer Domorganisten in Wien sehen, wie er zwischen seiner Wohnung und der Wohnung Sechter's hin= und herging, unendliches Notenpapier unter der Achsel, weder rechts noch links schauend. Das waren für Bruckner Zeiten der angestrengtesten Arbeit, wahrhaft musikalischer Robott. Er empfing von Sechter die Lehre und das Beispiel, und das Beispiel arbeitete Bruckner durch alle Formen und alle Tonarten gründlich durch, ganze Tage, halbe Nächte. Er arbeitete wie ein folgsamer Schüler, ohne eigene Einfälle, ohne Umgehung der Regeln. Er war ein Pedant, wie sein Lehrer ein Pedant war. Als Bruckner diesen strengen Kursus durchgemacht hatte, als er sich im Besitze der Grammatik der musikalischen Sprache fühlte, wendete er sich an das Wiener Konservatorium mit der Bitte eine Maturitätsprüfung im Kontrapunkt ablegen zu dürfen. In der Biographie seines Vaters theilt Ludwig Herbeck die näheren Umstände dieser Prüfung mit. Die Prüfungskommission bestand aus seinen Lehrer Sechter, aus Hellmesberger, Otto Dessoff und Johann Herbeck. Man kam sofort davon ab, an Bruckner theoretische Fragen zu stellen; als Künstler sollte er beweisen, was er konnte. Sich für Klavier oder Orgel zu entscheiden, stellte man dem Kandidaten frei. Bruckner entschied sich für sein Lieblingsinstrument, die Orgel. Man traf sich in der Piaristenkirche in der Josefstadt, wo eine gute Orgel steht. Sechter wurde aufgefordert, ein Fugenthema niederzuschreiben. Es waren vier Takte. Darauf ersuchte Herbeck seinen Kollegen Dessoff, das Thema zu verlängern; auf die Weigerung Dessoff's nahm Herbeck die Verlängerung auf acht Takte selbst vor. „Sie Grausamer!“ rief ihm Dessoff zu. Bruckner besah sich den Schaden, zögerte eine Weile, fing aber dann zu präludiren an und ließ eine so genial durchgeführte Fuge folgen, daß die Herren der Prüfungskommission erstaunt und entzückt waren. „Er hätte uns prüfen sollen," hörten wir Herbeck sagen. Herbeck ließ nun den begabten Landsmann nicht mehr aus den Augen. Seinen Bemühungen ist es zu danken, daß Bruckner für das Wiener Konservatorium und für die Wiener Hofkapelle gewonnen wurde. Anton Bruckner, der ein Träumer, ein Phantast und dann wieder der weltklugste Mensch sein kann, machte seinem Freunde Herbeck viel zu schaffen, bevor er endlich in Wien eintraf. „Meine Landsleute stoßen mich zurück, ich will aus der Welt hinaus," schrieb er ihm; nein, schrieb ihm Herbeck zurück, Sie müssen nicht aus der Welt hinaus, „Sie müssen erst in die Welt hinein!“ So lange Herbeck lebte, hat Bruckner einen starken Rückhalt an ihm gehabt, Herbeck hielt die größten Stücke auf Bruckner's Kompositionstalent. Nach einer Probe von Bruckner's C-moll-Symphonie sagte er zu dem Komponisten: „Noch habe ich Ihnen keine Komplimente gemacht, aber ich sage Ihnen, wenn Brahms im Stande wäre, eine solche Symphonie zu schreiben, dann würde der Saal demolirt vor Applaus. Brahms könnte freilich sagen, daß er das nicht wollte, wenn er es auch zehnmal könnte. Von Bruckner's vierter („romantischer“) Symphonie äußert Herbeck: „Die könnte Schubert geschrieben haben; wer so etwas schaffen kann, vor dem muß man Respekt haben.“ Herbeck's Urtheil ist das Urtheil weiter Kreise geworden; es ist sogar von der Wiener Universität bestätigt worden, indem sie Bruckner zum Ehrendoktor ernannte.
     Es ist nicht ohne Humor, daß Simon Sechter der Lehrer Bruckner's gewesen. Bei aller Werthschätzung seines Schülers, der so viel bei ihm gelernt hatte, schlug er ein Kreuz vor der freien Richtung Bruckner's, die dem urkonservativen Tonkünstler wie musikalischer Sanskullotismus erscheinen mochte. Sechter mußte sich vorkommen wie ein Huhn, das aus einem unterlegten Ei einen Adler ausgebrütet hat. Bruckner hat zwar nie das große Vorbild Beethoven's aus dem Auge verloren, er hat in manchem Punkte landsmannschaftliche Verwandtschaft mit Franz Schubert; aber das große und bestimmende Ereigniß seines Lebens war Richard Wagner's Musik und alles Radikale, was sich ihm nähert: Hektor Berlioz, Franz Liszt. Was Wagner nicht ist, will er im Geiste Wagner's sein: der Symphoniker. Mit einer ungewöhnlichen Energie hat er Motivbildungen im Sinne Wagner's unter das Joch der symphonischen Form gebeugt und ihnen Keime zur thematischen Entwicklung eingeimpft. Er hat das als Künstler gethan, nicht als Doktrinär. Daher doch wieder seine Unabhängigkeit von Wagner, sein Einlenken in Beethoven'sche Bahnen, sein Anschluß an Schubert. Bruckner ist in kunsthistorischer Beziehung eine verwickelte Erscheinung, und doch wieder ganz einfach, wie jede große Begabung. Bruckner hat Erfindungen, die ganz sein eigen sind, wahre Kerngedanken, die wie mit einem Knall die historische Schale sprengen. Ein abschließendes Urtheil über Bruckner wäre freilich heute noch verfrüht; ober muß man denn immer urtheilen, wo so viel zu genießen ist? Wir verehren den Mann, der Alles, was er geworden ist, durch seine eigene Kraft erreicht, und wir danken ihm vom ganzen Herzer für die großen Genüsse, die er uns durch seine geniale Begabung bereitet hat. Das ist es, was wir ihm zu seinem siebzigsten Geburtstage sagen wollten              L. Sp." (°°).

Das Fremdenblatt Nr. 243 [Morgen- uder Abendblatt?] bringt zusätzlich  auf S. 13f Ludwig Hevesis Schilderung Bruckners als »Wiener Figur« mit Erwähnung des Berner Organisten Jakob Mendel [vgl. die Anmerkung und 8.9.1880]:
"           Feuilleton.
         Eine Wiener Figur.
    
(Anton Bruckner.)
     Heute also wird der große Organist siebzig Jahre alt. Seit vielen Jahren sieht er wie ein Achtziger aus. Freilich wie ein sehr gesunder Achtziger, einer von jenen, die hundert Jahre alt werden. Jeder Wiener kennt ihn ja als eine „Wiener Figur“ erster Ordnung. Die Leute sehen ihm nach, wenn er vorübergeht, mit hastigen kleinen Schritten, das klassische Embonpoint weit vorgestreckt, die bedeutsame, kühn gebogene Nase schroff in die Luft ragend aus dem merkwürdig verrunzelten Antlitz. Vor einem Jahre hat Viktor Tilgner diese Gestalt in Erz gegossen, bis an den Gürtel. Wie sie dastand in ihrer breitspurigen Leiblichkeit, von dem eigensinnigen Umriß des kahlen Schädels gekrönt, mit diesem zerfurchten Angesicht, aus dem jene ganz individuelle Nase sich so imperatorisch herausbäumte, da mochte Einer, der den Meister nicht persönlich kannte, rathen: Das ist Kaiser Nero, oder Caligula oder Heliogabalus im neunzigsten Lebensjahr. Eine so grausame Entschiedenheit liegt in diesem Profil, eine solche Härte steckt in diesen untapezierten Schädel. So stellt man sich die grimmigen Fugenhelden des achtzehnten Jahrhunderts vor, die Hexenmeister des Kontrapunkts, die um Mitternacht an der Orgel saßen und sich vom Teufel die Bälge treten ließen. Wenn dann ein Dichter kam, wie E. T. A. Hoffmann, der in einer Gänsehaut geboren worden, so machte er einen Solchen zum Helden einer gruseligen Novelle und war sicher, daß der Leser, nachdem er sie gelesen, nicht den Muth haben werde, seine Nachtlampe auszulöschen. Und dabei ist dieser Gewaltmensch eine „Seele“, wie es wenige gibt. Man sieht es ihm deutlich an. Solche kreisförmige Leibesumfänge kommen nur bei seelenguten, selbst von den wehleidigsten Fliegen nicht gemiedenen Menschen vor. Und sein Umfang war ja früher, wenn man so sagen darf noch kreisförmiger. Es gab für seine Taille keine Kleider auf der Welt und er selber mußte sich welche erfinden. Der Schnitt seiner Beinkleider ist in= und außerhalb der Musikwelt Wiens als durchaus originell anerkannt; Techniker rühmen daran die Lösung der Aufgabe, einen Trichter mit zwei Röhren zu konstruiren. Auch seine kurzen Saccoförmigen Röcke würden keinem anderen Sterblichen sitzen, während sie seine Person ganz stylgerecht umflattern. Sein schwarzer Schlapphut hat nicht minder einen eigenen Sitz und paßt vortrefflich zu dem mächtigen schwarzen Mantel, in den er sich, wie ein rechter „Mann im Mantel der Nacht" bei schlechtem Wetter zu hüllen pflegt. Nein, es gibt keine zweite Figur im Neu=Wien, wie diese. So sieht man nur im vorletzten Bande der illustrirten Musikgeschichte aus, in Holz geschnitten nach einer gleichzeitigen Silhouette.
     Aber der Respekt geht vor dem schwarzen Männchen einher, wo immer es sich zeige. Wenn er in einem klassischen Konzerte durch die Bankreihen streicht, als wollte er sie niederfegen, dann wispert es um ihn her bedeutungsvoll, und so manches Auge sucht während der Vorträge in seinem immer sprechenden, mitkomponirenden, mitspielenden Antlitz den Abglanz des Gehörten. Selbst im Gasthause, wo der Mensch meist nur Mensch ist und sich nicht gerade symphonisch benimmt, ist der Altmeister ein aparter Herr, eine „Figur“. Wie aus der Erde gestiegen steht er plötzlich an einem entlegenen Tische und läßt mehrere Hüllen fallen, die, ohne daß er's achtet, von irgend welchen Händen aufgefangen werden. Die Kellner bedienen ihn mit Bewegungen, als wollten sie ihm die Hand küssen,  . . .  es weht eine Art geistlicher Atmosphäre um ihn. Sie wissen auch schon, wessen er zu des Leibes Atzung bedarf. Ohne Frage erscheint alsbald ein gewaltiger Suppentopf auf seinem Tische, mit vier Portionen frisch eingekochter Nudelsuppe. Das ist sein Abendmahl. Dazu erscheint, in unabsehbarer Folge, Glas auf Glas vom blondesten Pilsner. Wie viele, das weiß er nicht. Aber sie müssen ganz aus Schaum bestehen und mit einer einzigen hastigen Bewegung stürzt er jedes hinter den weiten ungestärkten Hemdkragen. Und Alles ringsum hat eine eigene Freude, wenn's ihm schmeckt. Er ist einer, dem man's gönnt. Leute, die er nicht kennt, grüßen ihn. Und meist hat er ein kleines Gefolge von jungen Leuten um sich, die ihn als ihren musikalischen Vater verehren. Er ist ein seltsam geformtes Gefäß der Begeisterung und begeistert auch Andere. Ohne viel und tief zu sprechen, sprudelt er ein ideales Gefühl aus und steckt damit an. Er ist ein großer Naiver vor dem Herrn, ein gewaltiger Ungeschickter, in dem das Element wüthet, so daß man es merkt, durch diese ganze Kruste von linkischer formloser Schlichtheit hindurch. Mitunter geschieht es, daß die Jünger ihn aus Wien entführen, in die breite, tiefe Natur hinein, wo er sich in Naturlauten austoben soll, wie ein Kind. Auch im Winter, durch hohen Schnee, in lustiger Schlittenfahrt, nach Klosterneuburg, oder wo sonst ein warmer Tropfen winkt. Um Mitternacht auf dem Bock jauchzend heimzufahren, einen Vollgeladenen aus dem Straßengraben aufzulesen, und was sonst an harmlosen Abenteuern sich ergeben mag, das ist ihm Kinderlust, das knöpft ihn auf.
     Aber das Kind ist ein Riese. Man muß einmal im Auslande herum hören, mit welchen Maßen er gemessen wird. Ich hörte einst in Bern, wo die zweitgrößte Orgel der Welt steht, den dortigen Organisten spielen. Ein tüchtiger Meister, der Jakob Mendel; er ist leider vor einigen Jahren gestorben. Er spielte Abends im stockfinsteren Dom, in dessen Hallen sich die Zuhörer verloren. Nur oben auf dem Orgelchor brannten zwei Lichtlein, zwischen denen die schwarze Gestalt des Künstlers sich gespenstisch regte. Dann, als er hörte, daß wir aus Wien kamen, umarmte er uns. „Ah, aus der Bruckner=Stadt, da muß ich Ihnen was Rechtes spielen!“ Und nun ging es an ein Privatissimum, zu dem das Rieseninstrument seinen letzten Seufzer hergeben mußte. „Ja, der Bruckner sollte da sitzen, der versteht das noch ganz anders!“ sagte er, als er uns in Grund und Boden gespielt hatte, „dem reichen wir Alle nicht das Wasser." Er bereitete sich auch schon seit Jahren auf eine Reise nach Wien vor, um den „Letzten Organisten“ vor seinem Tode noch einmal zu hören, aber er ist darüber gestorben.
    Einer der größten Genießer von Bruckner’s Orgelspiel war Bischof Rudigier von Linz. Gar oft mußte Bruckner plötzlich nach Linz fahren, weil der musikfreudige Kirchenfürst sich nach dieser klingenden Andachtsübung sehnte. Er ließ sich von Bruckner erheben und erschüttern, das war für ihn eine Herzenskur. Und eines Tages – so erzählten damals die Musiker – als Bruckner ihn wieder „geheilt“ hatte, wie David’s Harfe den König Saul, und der Meister wieder nach Wien zurück mußte, da führte ihn der Bischof an eine Stelle der Domkirche und sagte: „Lieber Bruckner, Sie haben mir wieder, wie schon so oft, sehr wohl gethan, aber auch ich habe an Sie gedacht. Womit könnte ich Ihnen meinen Dank besser abtragen? Hier, dieses Plätzchen in heiligem Boden gehört Ihnen; ich habe es Ihnen als Grabstätte gewidmet.“ In frommer Rührung dankte der Künstler, der die Meinung des Bischofs wohl verstand. Aber einstweilen hat er von dem heiligen Plätzchen noch keinen Gebrauch gemacht   .  .  .   und wird, bei seiner strammen Lebensführung, hoffentlich noch recht lange nicht in die Lage kommen.      H." (°°°).

Artikel Camillo Horns im Deutschen Volksblatt Nr. 2038 auf S. 1f:
»                   Anton Bruckner.
            Der Meister von Ansfelden.
     Dem 4. September gebührt unter den Erinnerungstagen, welche die deutsche Kunst zu feiern hat, ein besonderer Ehrenplatz, erblickte doch an diesem Tage einer der begabtesten Künstler der Jetztzeit, Professor Dr. Anton Bruckner, das Licht derWelt. [... internationale Bedeutung ...]
     Die Beweise der Werthschätzung und Huldigung, welche Bruckner heute von so vielen Seiten zufließen, sind ihm als Künstler und Mensch wohl vom Herzen zu gönnen, und sie müssen als im höchsten Maße verdient angesehen werden. [... biographische Stationen, von der "Dornenkrone" zum "Siegerkranz" ... Förderer (Löwe, Schalk, Theodor Helm, Wagner-Verein)].
     Der hohe Werth Bruckner's, dem auch wir nach jeder genossenen Wiedergabe seiner Werke unser Lob stets auf's Neue und aus vollster Brust zollen mußten, steht heute für die Kunst außer Frage. [... eigener Charakter, Größe und Fülle streben zu großen Formen ...] Wie könnten auch Bruckner's immer breit angelegte Themen, die sofort den geborenen Symphoniker verrathen, sich in so enge Schranken fügen?
     Bruckner's eigentliche Sphäre ist und bleibt einmal die Symphonie, welcher Kunstform er sich mit jugendfrischer, unveränderter Schaffenskraft immer wieder zuwendet. [... Arbeit an 9. Symphonie ... am beliebtesten die 3. Symphonie und die 7. Symphonie "(in C-dur") [sic] ... neben kontrapunktischer Meisterschaft andere Tugenden (Harmonisierung, Modulationen, Instrumentation) nicht vergessen! ...]
     Neben dem Symphoniker feiern wir in Bruckner den Kirchencomponisten. [... Messen etc., modern, mit "Mitteln überzeugender Dramatik" ("Resurrexit" der f-Moll-Messe!) ...]
     Ein drittes Gebiet, das Bruckner unseres Wissens nur einmal, freilich mit höchster Kunst, bebaut hat, ist jenes der Kammermusik. Ihm entsproß [... das Quintett], dessen von Wohllaut gesättigtes Adagio mit zu dem Schönsten zählt, was die moderne Musik aufzuweisen vermag.
     Ein letztes Feld der Ehre, auf welchem unserem Meister gleich zu Beginn seiner Laufbahn der Lorbeer erblühte und das Glück mit einer Auszeichnung verlockend lächelte, ist der Männerchor. [... "Germanenzug", "Das deutsche Lied" [WAB 63] und "Helgoland" zeigen "deutsche Gesinnung" ... diese auch in der textlosen Musik ...], genügt ja doch ein einziger Blick in des Meisters Partituren, um zu erkennen, daß jeder Tact des von Beethoven und Wagner heiß entflammten Künstlers ausgesprochen germanische Eigenart besitz.
     Und so verehren wir in Bruckner nicht nur einen der begnadetsten Componisten der Gegenwart, sondern auch einen wahrhaft deutschen Tondichter, der es mit Recht unter seiner Würde hält, bei fremden Völkern musikalische Anleihen zu machen. Möge sich der Meister von Ansfelden noch recht viele Jahre des Vollbesitzes seiner körperlichen und geistigen Kräfte erfreuen
               zum Segen des Vaterlandes,
               zum Heile der Kunst!
                                  Camillo Horn.« (#).

[recte: 6.9.1894] Artikel (signiert »Alpha«) "Dr. Anton Bruckner (Zu des Meisters 70. Geburtsfeste.)" im Neuigkeits-Weltblatt (##).
[4.9.1894] Bruckner wird im Neuigkeits-Weltblatt Nr. 202 auf S. 12 als Kirchenkomponist erwähnt:
»            Zur Reform der Kirchenmusik.
     In einer seiner letzten Encycliken hat Se. Heiligkeit unser glorreicher Papst Leo XIII. mit eindringlichen Worten eine Reinigung der Kirchenmusik von allen im Laufe der Zeit entstandenen Mißbräuchen und eine Reform derselben im Sinne der Rückkehr zum alten gregorianischen Gesangsstyl empfohlen. [... der Palestrina-Stil ist kein Gegensatz zur Gregorianik, sondern eine Weiterbildung mit kontrapunktischer Behandlung ... die Mißstände in Wien haben sich gebessert (Beispiele vorher und nachher, darunter auch Auswüchse) ... Kirchenmusik nicht wegen der Musik, sondern wegen der Kirche ... Musik nicht Zweck, sondern Mittel ...].
     Dies sind  nun die Gründe, welche unseren heiligen Vater [...] bewogen haben, in der Kirchenmusik wieder die Einführung des reinen gregorianischen Gesanges zu empfehlen und welche diese Frage zu einer aktuellen, ja drängenden gestalten. Bei einer rigorosen Auffassung dieser Forderung müßte so Manches abgeschafft werden, was uns Musikern zur liebgewordenen Sache geworden ist. Nicht nur die Werke von Liszt, Bruckner, Gounod, die großartige missa solennis von Beethoven (die ohnedies nur im Konzertsaal aufgeführt wird), auch die hochgeschätzten Messen von Haydn und Mozart wären mit dem Interdikt belegt, denn sie sind edel, erbaulich, aber durch ihren weltlichen Charakter vom kirchlichen Standpunkt nicht stylgereecht und haben am allerwenigsten den Choralstyl, der doch die Grundlage der Kirchenmusik bilden soll.
     Wie bei allen Gesetzen es einen letzten Paragraphen, die "Uebergangsbestimmungen" gibt, so wird auch in unserer Frage der Uebergang voraussichtlich sehr lange dauern; [... Rolle der Cäcilien-Vereine (die "Toleranten" im Gegensatz zu den "orthodoxen" Gregorianern) ... 2 Parteien für 1 Sache ...]. Beide aber vereinigen sich in gleich edlem Streben und mit gleicher Begeisterung zu einer wahrhaft bedeutenden, einer heiligen That!     G. v. B. «  [vermutlich: Gaigg von Bergheim] (##a).

Artikel von Theodor Antropp »Anton Bruckner. Zum 70. Geburtstag des Meisters.« in der Ostdeutschen Rundschau (###).

Artikel zu Bruckners Geburtstag im Grazer Tagblatt Nr. 243 (a),

im Illustrierten Wiener Extrablatt Nr. 243 auf S. 5:
„       Theaterzeitung.
[...]
      * Heute feiert Anton Bruckner seinen 70. Geburtstag. Wir brauchen den Meister unseren Lesern wol nicht vorzustellen, sein Name ist allbekannt. Seine Tondichtungen sind in dem kostbaren Schreine, der die Perlen der Musikliteratur umschließt, geborgen. Lange dauerte es, bis seine Bedeutung erkannt wurde und festgestellt muß werden, daß Herbeck es gewesen, der den [sic] bescheidenen Oberösterreicher, aus dessen Werken die Botschaft einer eigenartigen Begabung herausklang, geholfen, den Fuß auf die erste Sprosse der Ruhmesleiter zu setzen. Und welche bitteren Kämpfe waren seither dem genialen Musiker beschieden, bis es ihm gelungen, sich zur allgemeinen Anerkennung emporzuringen. In der vornehmsten Orchestervereinigung Wiens versenkte man sich erst dann in das Studium der Werke Bruckner’s, als durch Nikisch in Leipzig und Hermann Lewi [sic] in München der den österreichischen Kapellmeistern unbekannte Schatz gehoben worden war. Bald wurde dem vielbekämpften, großen Symphoniker allerorten gehuldigt, der heute, zurückgezogen in einem Pfarrhofe bei Steyr, sein Wiegenfest begeht. Die Feier des 70. Geburtstages von Anton Bruckner wird seinen zahllosen Verehrern Gelegenheit zur Bethätigung ihrer Sympathien geben und hoffentlich wird auch der Wiener Gemeinderath des greisen Tondichters, Hoforganisten und Ehrendoctors der Philosophie sich erinnern, der zu den vornehmsten Zierden der Kaiserstadt gehört, hier geschaffen und am Conservatorium gelehrt hat. Mit diesen Zeilen möchten wir unsere Stadtvertretung an ihre Pflicht gemahnt haben!“ (b),

in der Reichspost Nr. 203 auf S. 7:
"     Anton Bruckner, der so lange verkannte Componist und treue Sohn seiner Kirche feiert am 4. September seinen siebzigsten Geburtstag. [... Biographisches (1867 [sic] nach Wien)...]. Bruckners Verdienste wurden erst sehr spät gewürdigt, lange blieb sein Name der großen Welt unbekannt, standen ihm, dem treuen gläubigen Katholiken doch nicht die großen Reclameposaunen zur Verfügung, mit welchen Israel seine kleinen Geister zu großen Männern und gewaltigen Herren aufbläst. Bruckner hat als echter Künstler und Christ jegliche Reclame gehaßt, sein Genie hat sich doch durchgerungen und am Abend seines Lebens sehen sich selbst die allen [sic] Katholischen, allem Kirchlichen so feindlichen Judenblätter – auch ohne Honorar – sich gezwungen, in das Loblied auf Dr. Anton Bruckner einzustimmen. Wir rufen mit herzlichen Glückwünschen dem Künstlergreise ein Ad mnltor [sic] adme annos zu." (c).

Artikel Schönaichs "Zum siebzigsten Geburtstag Anton Bruckner's." im Wiener Tagblatt Nr. 243 S. 6 (signiert »G. S.«):
„                Theater, Kunst und Literatur.
Zum siebzigsten Geburtstag Anton Bruckner’s.
     
Der Komponist Anton Bruckner feiert heute seinen siebzigsten Geburtstag. Von Nah und Fern werden ihn Zeichen der Verehrung und Liebe begrüßen, die er mit den oft zitirten Worten: „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt“ – doch aber dankbar, wie das der genialen Kindlichkeit seiner Natur entspricht, aufnehmen mag. Es ist dem oberösterreichischen Bauernsohne nicht leicht geworden, das aufmerksame und zum Theile begeisterte Hinhorchen der musikalischen Welt auf seine Schöpfungen zu erzwingen und zu erleben. Ersteres vollbrachte der nach langer Zeit als original erkannte Gehalt seine Werke, und daß er es erlebte, dazu verhalf ihm das Talent, das er heute zur Freude seiner Verehrer bewährt – die Gabe, alt zu werden. Der falschen Propheten, welche der Welt ihre Weissagungen unter Zahnbrechergeschrei anbieten, sind zu viele, und die moderne Welt mit ihrer gesteigerten Rotationsschnelligkeit hat noch weniger Zeit und Ruhe als vergangene Perioden, sich einer besonnenen Scheidung des Echten vom Falschen hinzugeben. Erst eine Zukunft, welche auf unsere Kulturzustände einen Blick aus der Vogelperspektive gestattet, wird es lehren, wie der Ruhm, den wir uns so gerne zuschreiben – daß heute nichts Bedeutendes übersehen oder verkannt werden könne – auf arger Selbsttäuschung beruht. Das Unechte hat zu jeder Zeit die weit bessere Aussicht, zu momentaner Geltung zu gelangen, denn es ist die Nachahmung des Gangbaren und Vertriebsfähigen am herrschenden Echten, also gerade seines zur Manier und zur Erstarrung führenden Theiles. An diesen menschlichen, allzu menschlichen Zuständen litt und mußte auch Anton Bruckner leiden. Innerhalb der siebzig Jahre, auf die er heute zurückblickt, haben es auf seinem Kunstgebiete eine große Anzahl von Persönlichkeiten zu Rang, Stellung, Zeitungslob und Geltung gebracht, deren Nachwirkung mit ihrem Nekrolog auf immer und gründlich erschöpft ist. Das Verdienst, eine so eigenartige, räthselvolle künstlerische Erscheinung wie Anton Bruckner erkannt, nach ihrem wahren Werthe geschätzt und dem Künstler, sobald er ihm entgegengetreten war, eine Stellung und die Möglichkeit einer wenn auch späten Entwicklung und Arbeitsmuße geschaffen zu haben, gebührt Johann Herbeck, und es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, an dem Tage, da wir dem alten Manne, aber jungen Sieger, den Ausdruck unserer Liebe und Verehrung entgegenbringen, dessen zu gedenken, der den schon vierundvierzigjährigen Schulgehilfen von St. Florian und Dorfkirchen=Organisten, dessen Bezüge als Lehrer zweihundert Gulden jährlich und als Organist zwei Gulden monatlich betrugen, aus unwürdigen Verhältnissen befreit und ihn durch Vermittlung seiner Berufung als Professor an das Wiener Konservatorium und als Organist an die Hofkapelle in seiner würdige Verhältnisse brachte. Der Mann mit der Gestalt und dem Kopfe eines Bauern=Imperators, durch dessen Werke sich die Musikerwelt endlich doch hat überzeugen lassen, daß er etwas durchaus Eigenes zu sagen habe, ist unter den eigenthümlichsten Verhältnissen persönlicher Veranlagung und einer dem Getriebe der großen Welt fremden Umgebung zur Entwicklung gelangt. Kein Wunder, daß seine sybillinischen Werke ihren Inhalt oft in krausen Schriftzügen bieten. Aber daß ihre Entzifferung die Mühe lohne, haben zuerst Wenige, dann aber eine immer steigende Zahl an sich erfahren. Anton Bruckner hat in seinen Hervorbringungen etwas Cyklopisches. Das laute und stoßweise Athmen in seinen Werken ist augenscheinlich nicht auf Kurzathmigkeit, sondern darauf zurückzuführen, daß Bruckner seine Gedankenschätze aus tiefen Regionen heraufholt. Er denkt eigentlich nur in Tönen. Die ganze Außenwelt ist ihm durch siebzig Jahre kaum in deutlicheres Bewußtsein getreten. Bei alledem ist er in eminentestem Sinne ein Musiker, der mit dem Stempel unserer Zeit versehen ist. Als Beethoven in seiner großen D-dur=Messe den dramatischen Gehalt des Messetextes durch die musikalische Gestaltung bestimmt hervorkehrte, da wurden wir belehrt, daß der reflektirende Zug der Zeit die naive Gläubigkeit aus der Kirchenmusik verdrängt habe. Wie aber kam der durch und durch kirchenfromme Schulgehilfe von St. Florian schon in Linz dazu, Messen zu schreiben, in denen durchaus dasselbe Bestreben und derselbe Geist zu finden ist?                    G. S.“ (d).

Artikel im Abendblatt der Neuen Freien Presse Nr. 10788 auf S. 1:
"     [Anton Bruckner.] Dr. Anton Bruckner, der bekannte Componist, feiert heute den 4. d. seinen 70. Geburtstag. [... Biographisches: Windhaag etc., Domorganist in Linz ...] Gegenwärtig arbeitet er an einer „neunten”. Bei dem Organisten=Concurrenzspiel in Nancy 1869 brillirte Bruckner als unbestrittener Sieger. Er heimste in Paris, Brüssel u. s. w. als Orgelspieler die höchste Anerkennung ein. [... London, Ehrendoktorat ...] Bruckner, der alljährlich einige Sommermonate in Steyr verbringt, ist auch derzeit dort anwesend. Am Vorabende seines Geburtstages brachten ihm die musikalischen Vereine „Steyrer Liedertafel”, „Kränzchen” und „Gesellschaft der Musikfreunde” im Verein mit der Musikcapelle des uniformirten bewaffneten Bürgercorps ein Ständchen. Am Festtage selbst hat eine Deputation der Stadtgemeindevertretung, geführt von dem Bürgermeister Redl, dem Dr. Anton Bruckner die Glückwünsche der Stadt Steyr ausgesprochen." (e),

in der »Presse« Nr. 243 auf S. 9:
"                  Anton Bruckner.
                               Wien, 3. September.
     Morgen (Dienstag) begeht Anton Bruckner, wie von uns schon angekündigt wurde, sein 70. Geburtsfest.
     Anton Bruckner wurde am 4. September 1824 zu Ansfelden in Oberösterreich geboren; [... Lebensstationen (u. a.: "Windhop bei Freistadt", 1876 2. Symphonie (G-moll) [sic]) ... die 8. Symphonie erreichte] eine überwältigende Wirkung.
     Am 7. November 1891 stand der damals 67jährige Bruckner [...] als Candidatus philosophiae vor dem Rector magnificus Dr. A. Exner [... Ehrendoktorat ...].
     Paul Heyse hat vor einigen Jahren von München aus [... 4. Symphonie ...] an den Meister folgendes "Dankschreiben" gerichtet: "Verehrtester Herr Bruckner! Als ich gestern unserem Freunde Levi mein Entzücken über Ihre vierte Symphonie aussprach [... kompletter Brieftext vom 13.12.1890 ..] Sie haben München neu erobert. Ihre Freunde werden dafür sorgen, daß diesem großen Siege noch viele neue nachfolgen. Nehmen Sie meinen innigsten Dank entgegen für einen Genuß, den ich zu den höchsten und unvergeßlichsten meines ganzen Lebens zähle. In wärmster Verehrung grüßt Sie Ihr Paul Heyse."
     Anton Bruckner weilt gegenwärtig, wie bekannt, im Pfarrhofe zu Steyr. Man rüstete sich in dieser Stadt, den Ehrentag des Meisters festlich zu begehen, aber eine Unpäßlichkeit des Meisters verhinderte diesen, wie von uns gleichfalls schon mitgetheilt wurde, geräuschvolle Ovationen entgegenzunehmen." [keine Signatur] (f)

im Linzer Volksblatt Nr. 202 auf S. 1f:
"                          Dr. Anton Bruckner.
     Dieser große Meister der Tonkunst feiert morgen den 4. Sept. seinen 70. Geburtstag, welcher allen Freunden des edlen und biederen Oesterreichers Gelegenheit bietet, ihm ihre dankbare Verehrung auszudrücken.
     Bruckner wurde am 4. September 1824 als Sohn des Schullehrers zu Ansfelden in Oberösterreich geboren. [... Biographisches ("Germanenzug" 1862 [sic]) ... Einfluss der gegnerischen Presse ...].
     Daß Bruckner ein tiefreligiöser Katholik, ein treuer Sohn der Kirche und ein aufrichtiger Freund des Clerus ist, ist allgemein bekannt. Möge die Feier seines 70 Geburtstages ein echter Freudentag für ihn sein! An Ehrenbezeugungen wird es nicht fehlen. Möge Gott noch lange erhalten den biederen Patrioten, die Zierde und Ehre des österreichischen Lehrerstandes!*) [keine Signatur]
[Fußnote:] *) Vorstehenden Artikel entnehmen wir der in Wien erscheinenden, sehr empfehlenswerten Zeitschrift "Christlich=pädagogische Blätter."   D. R." [20.8.1894, siehe auch 29.8.1894] (g)

und der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 4944 auf S. 7:
"           Dr. Anton Bruckner.
                        
     Wien, 3. September.
     Anton Bruckner, der größte vaterländische Tonkünstler unserer Zeit, feiert morgen seinen 70. Geburtstag. [... später Ruhm ... biographischer Gegensatz zu Rossini ... Diskrepanz zwischen Herkunft und Lebensführung und künstlerischem Schaffen ... Angaben zur Biographie ...]. Im Jahre 1891 ernannte die Wiener Universität den Künstler zu ihrem Ehrendoctor. Voraussichtlich wird Dr. Anton Bruckner auch anläßlich seines 70. Geburtstages Gegenstand von Ehreungen und Huuldigungen werden." [keine Signatur] (h).

Der Artikel des Linzer Volksblatts ist ein Nachdruck aus den Christlich-pädagogischen Blättern (i).

Die "Freien Stimmen" (Klagenfurt) Nr. 106 bringen auf S. 4 nur eine kleine Notiz:
"                Kunst und Literatur.
 
    – Anton Bruckner, der gewaltige Componist, der sich erst nach einem Leben voll Enttäuschungen zu der Höhe, auf der er jetzt steht, durchgerungen, feiert heute seinen 70. Geburtstag." (j).

C. Geschriebenes (Briefe in alphabetischer Reihung)

Brief von Anna Bayer (Penzing) an Bruckner: Gratuliert als Tochter des Jugendfreundes Amand Spallinger zum Geburtstag (Bb1).

Brief von Carl und Emilie Brunner (Steyr) an Bruckner:
Glückwünsche zum Geburtstag von »eifrigsten Bewunderern« (Bb2).

Brief von Irma Neweklowski (Fuchsengütl) an Bruckner:
Sendet Rosen als Geburtstagsgruß (Bn).

Brief von Franz Ferdinand Poeschl (Wien) an Bruckner:
Gratuliert nochmals - sein Telegramm zitierend - als Landsmann und begeisterter Hörer, auch im Namen seiner Familie und seiner Schwester Mina [Klavierschülerin Bruckners in Linz] zum Geburtstag (Bp).

Brief von Julius Stern an Bruckner: Geburtstagsgrüße. Wird ihn später persönlich besuchen (Bs).

D. Gesendetes (Telegramme, alphabetisch sortiert)

Telegramme von:
Guido Adler (Weckersdorf) (Ta1),
Almeroth (Ta2),
Studentenverbindung »Austria« (Ta3),
Breslmayr (St. Florian) (Tb),
Familie Christ (Wien) (Tc),
Julius Epstein (Gossensass) (Te),
Dr. Födinger (Linz) (Tf1),
Liedertafel »Frohsinn« (Tf2),
Gauturnrat Fröhlich aus Stockerau (Tg1),
Studentenverbindung »Germania« (Tg2),
Josef Gruber (Tg3),
Dr. Grübl (Bürgermeister von Wien) (Tg4),
Gutmann (Tg5),
Josef Hafferl (Linz) (Th1),
Albert von Hermann (Wien) (Th2),
Familie Högelsberger (Wien) (Th3),
»Leopold bei Bögelsberger« [recte Högelsberger?] (Th4),
Musikschule Kaiser (Wien) (Tk1),
Stift Klosterneuburg (Tk2),
Josef [Kluger] aus Klosterneuburg (Tk3),
Theodor Köchert (Wien) (Tk4),
Franz Köstinger (Singverein der GdM Wien) (Tk5),
Theobald Kretschmann (Votivkirche) (Tk6),
Graf Josef Lamberg (Tl1),
Otto Leßmann (Tl2),
Hermann Levi (Reichenhall) (Tl3),
Linder (Tl4),
Marie Marböck (Melk) (Tm1),
Mayfeld (Tm2),
Max Morold zusammen mit Josef Reiter (St. Veit) (Tm3),
[Franz Xaver?] Müller (Tm4),
Oberleithner (To1),
Siegfried und Lotte Ochs (To2),
Gräfin O'Hegerty mit Gräfin Lobkowicz (Enns) (To3),
Ernst Orthner (Linz) (To4),
Franz Ferdinand Poeschl (Wien) (Tp1),
Prof. Prix (Kirchdorf) (Tp2),
Carl Reder mit Albin Dierkes (Tr1),
Hans Richter und die Wiener Philharmoniker (Tr2),
Anton Riss (Stockerau) (Tr3),
Sängerbund Linz (Wolf) (Ts1),
Franz Schalk (Mals) (Ts2), Bürgermeister Dr. Schauer (Wels) (Ts3),
Schubertbund Wien (Fetzmann) (Ts4),
Heinrich Schuster (Ts5),
Carl Terpinitz (Perg) (Tt1),
Männergesangsverein Troppau (Tt2),
drei Universitätshörer [fast unleserlich: Küchtern? Rigler? Rücker?] (Tu),
anonyme »Verehrer in Wien« (Tv),
Wiener Männergesangverein (Olschbaur) (Tw1)
und der Pfarrer von Windhaag (Tw2).

In der Ehrenmitglieder-Karteikarte des Wiener Männergesangvereins ist notiert »[Datum] 4/9.1894 [Anlaß] 70. Geburtstag [Art] Adresse« (Tw3).
Der Jahresbericht (51. Vereinsjahr 1893/94) erwähnt auf S. 147 die Gratulation ebenfalls:
"    In der bergumgürteten Stadt Steyr in Oberösterreich feierte am 4. September Oesterreichs größter lebender Tondichter, unser Ehrenmitglied, Dr. Anton Bruckner, sein 70. Geburtsfest. Dem greisen Meister, dessen Bedeutung bei uns leider sehr spät voll und ganz erkannt worden ist, wurden aus diesem Anlasse die mannigfachsten Huldigungen und Ehrungen zutheil. Der Wiener Männergesangverein beglückwünschte sein berühmtes Ehrenmitglied in würdiger Weise."
und nochmals auf S. 192: "Dem Ehrenmitgliede Dr. Anton Bruckner wurden zum 70. Geburtstage [...] die innigsten und herzlichsten Glückwünsche zum Ausdruck gebracht." (Tw4).

Telegramme und Schreiben weiterer Personen sind auch erwähnt im Artikel der NFP vom 6.9.1894.


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189409045, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189409045
letzte Änderung: Jan 20, 2024, 20:20